Stuttgart / Wilhelma-Theater: „LA WALLY“ von Alfredo Catalani – große Oper für junge Leute – 8.6.2022 Pr
Auf der Suche nach einer Oper für eine neue Hochschulproduktion, wo – ähnlich der weltweit oft inszenierten „La Bohème“ – junge Leute die Träger der Handlung sind, fiel die Wahl auf die, in unserer Zeit ziemlich selten gespielte „La Wally“ von Alfredo Catalani, von der im Allgemeinen nur die Aufnahmen der berühmten Arie der Wally „Ebben? Ne andrò lontana“, die Catalani ursprünglich 1878 als Chanson Groënlandaise komponiert und dann in die Oper aufgenommen hat, schon wegen der Aufnahmen mit berühmten Sängerinnen, darunter Maria Callas, sehr bekannt ist, der „Rest“ aber kaum und wenn, dann von den wenigen Inszenierungen an großen Opernhäusern oder von dem 1940 gedrehten Film „Die Geierwally“.
Die Oper gilt als gesanglich sehr anspruchsvoll und erfordert viel Ausdrucksstärke, was die Gefahr in sich birgt, dass die Studierenden überfordert werden. Es bestand das Problem, dass das Dramma lirico mit großem Orchester die jungen Stimmen „zudeckt“ und ihnen nicht zuträglich wäre. Die praktische wie geniale Lösung war die sehr gut auf ein Kammerorchester zugeschnittene Fassung von Christopher Brand, die einerseits der Größe des Orchestergrabens und andererseits den Sängern sehr gut angepasst ist.
Unter der musikalischen Leitung von Johannes Pell, der es verstand, die Handlung mit ihren vielfältigen, oft zwiespältigen Emotionen eindrucksvoll musikalisch umzusetzen, spielte das Stuttgarter Kammerorchester exzellent. Die jungen Bläser der Hochschule fügten sich sauber in diese magischen Klangwelten ein, so dass . sehr beseelte und empfindsame, bei Zuspitzung der Handlung aber auch sehr dramatische, aufwühlende Klangwelten entstehen konnten.
Man vermisste kein großes Orchester, denn das ausgezeichnete Kammerorchester erfüllte unter Pells sehr umsichtiger und außerordentlich inspirierender Leitung die schwierige Aufgabe perfekt und trug sehr sicher das Geschehen auf der Bühne, das er stets auch im Auge hatte. Ihm oblag die gesamte musikalische Einstudierung und Leitung. Mit sehr viel Engagement, Erfahrung und Sachkenntnis hat er mit den Sänger*innen die schwierigen Partien fortlaufend voranschreitend erarbeitet und geführt, wofür er am Schluss der gelungenen Vorstellung mit viel Applaus gefeiert wurde – die jungen Sänger*innen, die ihr Bestes gaben, natürlich auch.
Über die stilisierende Inszenierung von Bernd Schmitt mit Bühnenbild und Kostümen von Birgit Angele, ergänzt durch Video-Einblendungen mit Ausschnitten aus dem Film „Die Geierwally“ am oberen Bildrand (Felix Hecker), wurde bereits im Online-Merker in der Kritik von Alexander Walther ausführlich berichtet.
Schmitt reduziert die vielschichtige Handlung des, 1870 erschienenen Romans „Die Geier-Wally“ von Wilhelmine von Hillern, der in Anlehnung an eine wahre Begebenheit und das harte Leben einer selbstbestimmten Frau unter den rauen Lebensbedingungen und verstockten Traditionen des 19. Jahrhunderts in den Bergregionen, hier in den Ötztaler Alpen, entstand und der Oper (Libretto: Luigi Illica) zugrunde liegt, auf eine (übliche) Dreiecksbeziehung, wo die jungen Sänger-Darsteller außer in den italienisch gesungenen Gesangstexten kaum mit den außergewöhnlichen Situationen konfrontiert werden, sondern „Probleme“ ihrer Generation im Heute und „sich selbst“ spielen können, was ihnen entgegenkommt.
Die ursprüngliche, für damalige Zeiten reichlich Zündstoff bietende Handlung, die auch heute noch unter die Haut geht, bleibt weitgehend außen vor. Mit einem großen, allmählich in die Schräge geratenden Holzkreuz, hölzernen Tischen und Bierflaschen (auch mit -kästen) statt urigen Bierkrügen im Wirtshaus und grauen Bällen, immer mehr Bällen (die zuweilen von Bühnenarbeitern in die gewünschte Stellung gebracht werden und mit denen auch die problematischen Liebesbeziehungen (oder auch nicht) angedeutet werden, wird die Alpenwelt sehr abstrahiert dargestellt. Dazwischen scheint eine Art schwarz gekleideter Mephisto oder weiß der Teufel, welch mystische Gestalt mit Palmwedel die Schicksalsfäden zu führen.
In manche traditionsreiche Oper wird so mancher Konflikt hineininterpretiert, der der Oper eher abträglich ist. Hier hätte sich eine stringentere Zuspitzung mancher Situation angeboten. Wenn nicht ab und an ein Adler mit Jungen in seinem Horst eingeblendet würde, gäbe es kaum eine Beziehung zu Titel und Person „Geier-Wally“, eigentlich Walburga, die ihren Namen von den Dorfbewohnern erhielt, weil sie im Roman als Kind von ihrem hartherzigen Vater, dem reichsten Bauern im Dorf, gezwungen wurde, an einem Seil hängend, einen Adlerhorst an einer Felswand, zum Schutz der Schafherden auszunehmen, eine Arbeit die nur den Männern oblag war, die sich jedoch wegen einem nur knapp verhinderten Unglück im Vorjahr weigerten.
Sie nimmt das Adler-Junge mit nach Hause und lebt seitdem mit ihm als „Haustier“ in einer Almhütte hoch oben in den Bergen, was ihr auch einen etwas unheimlichen Nimbus verschafft. Durch ihren Vater, ihr extrem hartes Leben und ihre einzige wirkliche, zunächst schwer enttäuschte Liebe wird sie zur Außenseiterin der Gesellschaft. Im Roman gibt es noch ein kurzes Happy end, in der Oper nicht.
In der, von Härten befreiten Inszenierung nimmt die eigenwillige junge Frau, von ihrem Vater vor die Alternative gestellt, entweder den ungeliebten, von ihm bestimmten Mann zu heiraten oder zu gehen, ihre paar Sachen und verlässt resolut das Haus, in heutiger Zeit kaum ein Problem, früher aber eine Existenzfrage.
Karolina Petuchovaite verleiht ihr eine beachtliche Sopranstimme, Spielfreude und Kondition und scheint über ein noch weiter steigerungsfähiges Potential zu verfügen. Inmitten der ständig wechselnden Situationen bleibt sie stimmlich und darstellerisch immer präsent und die zentrale Gestalt, begleitet von Annija Adamsone und Kyriaki Sirlantzi, die sich in die Rolle des Zitherspielers Walter teilen und als geflügelte Figuren, sängerisch überzeugend, mit agiler Darstellung wie zwei Schutzengel den steinigen Weg der Wally begleiten. Christina Maier, Mezzosopran, bereicherte die Szene als junge, unbeschwerte Gastwirtin, Gegenspielerin und Widersacherin Wallys.
Junoh Lee sang den Stromminger mit voluminöser Bassstimme und Dimitrios Karolidis, Bariton, den Vincenzo Gellner mit entsprechender Präsenz, während der Tenor Piotr Gryniewicki als der eigentiche Held Giuseppe Hagenbach eher zurückhaltend wirkte und Gabriel Klitzing als Pedone di Schnals deine entsprechende Stimmtechnik vermissen ließ.
Der stets präsente Chor der Hochstoffler (Esther Schneider, Thalia Hellfritsch, Leopold Bier, Hannes Nedele und Lukas Krimmel) begleitete die insgesamt sehr ansprechende, musikalisch sehr beachtliche Aufführung, zuverlässig, bei der die kammermusikalische Orchesterfassung durch ihre faszinierende Umsetzung kein großes Orchester vermissen und den jungen Sänger*innen genügend Freiraum zur Entfaltung ließ.
Ingrid Gerk