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STUTTGART/ Wilhelma-Theater: DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR mit der Opernschule der Musikhochschule am 6. Februar 2020
Tohuwabohu mit der Ritterrüstung
In der subtilen Regie von Bernd Schmitt und dem recht rustikalen Bühnenbild von Birgit Angele werden die komödiantischen Elemente dieser Oper von Otto Nicolai (der ja als „Vater“ der Wiener Philharmoniker gilt) grell herausgestellt. Die Szene spielt in einem Wirtshaus, das allerlei visuelle Verwandlungen erlebt. Da Sir John Falstaff mit seinem adeligen Stand Probleme hat, ist er auf die Idee gekommen, über das Herz einer gewissen Frau Fluth an den Schlüssel von Herrn Fluths gut gefüllter Geldkiste zu kommen. Deswegen schreibt er ihr einen Liebesbrief. Nichtsdestotrotz schreibt er einen zweiten Liebesbrief an die Nachbarin von Frau Fluth, Frau Reich, um ja nichts anbrennen zu lassen. Schon dieses kleine Verwirrspiel wird bei der rasanten Inszenierung mit psychologischer Glaubwürdigkeit herausgestellt. Deswegen beschließen die beiden Damen, sich an Sir John Falstaff in raffinierter Weise zu rächen.
Die Figur Falstaffs hat Bernd Schmitt gekonnt überzeichnet, denn er kommt in einer schweren Ritterrüstung daher. Die Damen haben hier also ihre liebe Not, seine wahre Identität zu erkennen. Zudem wollen sie auch ihren Ehemännern noch eins auswischen. Herr Fluth soll für seine Eifersucht büßen und wird als Jäger auf Falstaff angesetzt. Falstaff wird schließlich sogar im Wäschekorb gefangen. Das Verwirrspiel nimmt so immer verzwicktere Ausmaße an. Und Frau Reich kann sich mit ihrem Mann nicht einigen, wer der bessere Ehemann für ihre Tochter Anna ist. So kommt es doch zu erheblichen Turbulenzen und einem unsäglichen Verwirrspiel, bei dem alle ihr Gesicht verlieren. Als Frau Fluth die Ritterrüstung intensiv begutachtet, erklingt sogar Edith Piafs Chanson „Non, je ne regrette rien“. Über den Sinn dieser Einlage kann man sich streiten. Schließlich rächt sich die Menge an Sir John Falstaff durch einen nächtlichen Überfall, der für den Ritter deswegen eher glimpflich ausgeht, weil er die Ritterrüstung schon längst verlassen hat. Im Hintergrund macht er beim blindwütigen Angriff des Pöbels einfach mit. Eine hintersinnige Deutung von Bernd Schmitt. Doch wie wild prügeln die Leute auf die Rüstung ein, die letztendlich in verschiedene Teile auseinanderfällt. Im Wirtshaus gibt es aber auch noch eine offene Bühne, deren Vorhang einfach zurückgezogen wird. Anna als Titania reicht Fenton in der erhabenen Gestalt Oberons vor dem zukünftigen „Ehebett“ die Hand. So sind denn alle zufrieden und glücklich: Ende gut, alles gut! Selbst ein „Schwulen-Pärchen“ wird zuletzt noch zum Teufel gejagt.
Copyright: Christoph Kalscheuer
Gelegentlich verliert sich diese Inszenierung in zu vielen Slapstick-Details, die aber wie ein missglücktes Mosaik allmählich zerfallen. Aber das musikalische Niveau dieser Aufführung ist wirklich hervorragend. Das Stuttgarter Kammerorchester und Studierende der Stuttgarter Musikhochschule musizieren unter der einfühlsamen Leitung von Bernhard Epstein mit viel Verve und Esprit. Die Ouvertüre klingt zwar nicht so wunderbar befreit wie bei Carlos Kleiber, doch nicht nur die Staccato-Akzente erhalten starke Prägnanz. Die Elemente der romantischen und der komischen Oper werden sehr gut herausgestellt. Zarte Geister- und Elfenromantik wechseln sich mit einem hintergründigen Humor ab. Das sind Aspekte, die in der Inszenierung zuweilen etwas zu kurz kommen. Ein musikalisches Glanzstück ist das Duett der beiden Frauen Fluth und Reich zu Beginn der Oper, wo sich Alice Rossi als brillante Frau Fluth sowie Elena Tasevska als Frau Reich mit blühenden melodischen Kantilenen gegenseitig überbieten. Ausgesprochen kapriziös wirkt zudem Frau Fluths Arie „Nun eilt herbei, Witz, heitre Laune“. Die dynamischen Steigerungen des ersten Finales betont Bernhard Epstein mit dem Stuttgarter Kammerorchester in ausgezeichneter Weise. Dabei fällt auch eine gewisse harmonische Durchsichtigkeit auf.
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Obwohl der Bass von Daniel Pastewski als Sir John Falstaff nicht sonderlich voluminös ist, gelingt ihm doch eine profunde Charakteristik dieser fulminanten Rolle. Dies zeigt sich nicht nur beim Trinklied „Als Büblein klein“. Und auch das Buffoduett „Wie freu ich mich“ kommt rhythmisch ausgesprochen gepfeffert daher. Übermut und Wut halten sich hier immer die Waage. Paul Sutton kann als Fenton bei der Arie „Horch, die Lerche singt im Hain“ mit geradezu schwärmerischem Impetus überzeugen. Und der Geist Wolfgang Amdeus Mozarts triumphiert in galanter Weise beim gewitzten Terzett der beiden Frauen mit Falstaff. Tänzerischer Schwung blitzt bei dieser Interpretation Bernhard Epsteins mit dem Stuttgarter Kammerorchester auf. Amber Norelai verkörpert Jungfer Anna Reich mit weichem Timbre. Dimitrios Karolidis überzeugt als Herr Fluth mit markantem Bariton. Kabelo Lebyana kann als Herr Reich mit des Basses Grundgewalt plastisch darstellen, dass er mit seiner Frau seine liebe Not hat. In weiteren Rollen gefallen noch Jose Carmona als Junker Spärlich, Hans Porten als Dr. Cajus und Frazan Kotwal als Erster Bürger. Der Chor ist mit Carolin Jurkat, Kiki Sirlantzis, Jasmin Hofmann, Melanie Mayer, Luna Teslimoglu, Melis Vlahovic, Kyle Fearon-Wilson, Gregor Jenne, Gabriel Klitzing und Frazan Kotwal opulent besetzt. Dass Nicolai gerade die polyphonen Formen oft meisterhaft karikiert hat, kommt bei dieser gelungenen Interpretation immer wieder zum Vorschein. Die dynamische Balance bleibt hier aber stets gewahrt. Die Neigung Otto Nicolais zu permanenter Vorhaltbildung bei einzelnen Worten ist zwar spürbar, mindert aber die Wirkung nicht. Sentimentale Merkmale werden nicht übermäßig betont. Die Gestik des Melos sowie die reine Deklamation erhalten ihren gebührenden Platz. Der Klangzauber der Modulationen gewinnt klare Konturen. So gab es zuletzt einhelligen Jubel für das gesamte Team – und auch für den Chor, der überwiegend aus „Polizisten“ bestand.
Alexander Walther