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STUTTGART: Uraufführung „WASTE!“ von Gianina Carbunariu  im Kammertheater

19.03.2022 | Theater

STUTTGART: Uraufführung „WASTE!“ von Gianina Carbunariu  im Kammertheater am 18.3.2022

Der Mensch als kollektive Fischfigur

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Foto: Björn Klein

Dieses Dokumentar-Märchen mit dem beziehungsreichen Titel „Waste!“ der rumänischen Autorin Gianina Carbunariu  ist eigentlich eine lange Recherche darüber, wie Müll aus den westlichen Ländern in rumänische Zementfabriken gelangt. Zugleich erfährt man, dass beispielsweise die Rolle des Staatsanwalts für Umweltangelegenheiten kurzerhand gestrichen wurde.

Die Darsteller Boris Burgstaller, Elias Krischke, Jannik Mühlenweg, Sebastian Röhrle und Christiane Roßbach lassen im Pfauengewand und diversen Fischkostümen diesen erschreckenden industriellen Prozess Revue passieren. Das Leben der Gemeinde wird dadurch nämlich erheblich beeinträchtigt. Die Firma HeidelbergCement betreibt drei Fabriken in unterschiedlichen Teilen des Landes. Der Märchen-Stil bewahrt zugleich die Distanz. Das Ensemble spielt auf der Bühne eine Vielzahl von Figuren – darunter auch Behörden und die Polizei. Es geht vor allem auch um jene, die mit der Anlieferung von Müll aus europäischen Ländern Geld verdienen. Der Abfall ist hier Kapital und Bedrohung zugleich. Dabei spielt auch die extreme Rechte eine Rolle, für die das Thema Umwelt nie auf dem Programm stand. Aber immer mehr Leute in Rumänien fühlen sich von dieser Gesinnung angezogen. Die Inszenierung von Gianina Carbunariu (Bühne und Kostüme: Dorothee Curio) verdichtet dieses Geschehen zu einem manchmal fast alptraumhaften Szenarium, bei dem nicht nur über die italienische Mafia, sondern auch über Putin und Trump phantasiert wird. Gleichzeitig wird bei der Inszenierung auch deutlich, wie stark und geradezu fanatisch die Menschen an einen wirtschaftlichen Aufschwung glauben. Weltkonzerne und die extreme Rechte gehen dabei eine starke Verbindung ein. Das neoliberale Gedankengut täuscht hier vor, Gemeinschaften aufzubauen. Das zeigt sogar der kuriose Auftritt der „Kollektiven Fischfigur“ in der zweiten Szene. Dieser suggestive Chor aus vier Forellen schildert, wie tausende von diesen Fischen nach einem sogenannten Betriebsunfall durch eine Ammoniakvergiftung starben. Die Betonfabriken behaupten dabei, dass sie Abfall als Brennstoff verwenden und dadurch in Wahrheit den Planeten  retten.

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Copyright: Björn Klein

Satirischer Spielwitz und Ironie sind eindeutig die Stärken dieser Aufführung, die irgendwie surrealistisch wirkt und manche dramaturgische Schwäche vergessen lässt.  Stellenweise wirkt der Klamauk manchmal zu grell. „Ein Rumäne, der nichts zu tun hat, beschwert sich“, lautet die allgemeine Devise. Man stellt sich schließlich die Frage, wie viel Müll in Deutschland und in Rumänien recycelt wird. Die ideale Kreislaufwirtschaft wird immer wieder unterbrochen. Es stehen nur rumänische, keine deutschen Figuren auf der Bühne. Sie leiten Strafverfahren ein, dadurch bekämpfen sich die Leute und zerstören am Ende ihre Gemeinschaften. Nachbarschaftskonflikte nehmen immer wieder geradezu groteske Ausmaße an. Der demokratische Kapitalismus des Westens verliert hier zunehmend an Bedeutung. Dagegen erhält der autoritäre Kapitalismus des Ostens eine zunehmende Anziehungskraft. Die Musik von Emilian Gatsov erfasst überzeugend subtile Vorgänge des Unterbewusstseins.

Alexander Walther

 

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