Tosca, 1. Akt. Copyright: Martin Sigmund/ Staatstheater Stuttgart
Stuttgart: „TOSCA“ 9.1.2018 – Die Krone dem Dirigenten
Ob Willy Deckers klassische, aufs Wesentliche reduzierte Inszenierung aus dem Jahr 1998 auch unter der im Herbst beginnenden vierten Direktion erhalten bleibt oder die hier besprochene 114. Vorstellung den Abschied von einer äußerst repertoiretauglichen Produktion markierte, bleibt angesichts der noch nicht veröffentlichten Pläne des neuen Leiters Viktor Schoner vorläufig unbeantwortet. Die Entsorgung dieser entrümpelten, aber hinsichtlich der wesentlichen Requisiten und Kostüme (Wolfgang Gussmann) traditionellen szenischen Ausrichtung wäre jedenfalls ein herber Verlust, auch weil sie inmitten vieler speziell ausgerichteter Regien des Hauses die heute doch eher selten gewordene Möglichkeit bietet, mit einem immer wieder neu zusammen gestellten Protagonisten-Trio sowie Dirigenten auch kurzfristige Umbesetzungen leicht zu verkraften. Die Wahrscheinlichkeit der oft problematischen Zweiteilung, dass ein Einspringer von der Seite aus den Noten singt und der ursprünglich angesetzte Interpret oder gar ein Regie-Assistent das Spiel auf der Bühne übernimmt, dürfte hier jedenfalls äußerst gering sein.
Im Rahmen der wichtigsten Vorgaben der immer noch bemerkenswert gut erhaltenen Personenführung nutzte auch die hier erstmals zusammen gekommene Hauptrollen-Konstellation die sich aus den spontanen Emotionen ergebenden Freiräume für eigene Gestaltung. Cellia Costea, vor vielen Jahren noch als Mozart-Sängerin (Figaro-Contessa) Gast in Stuttgart, verfügt über alle Attribute einer Verismo-Stilistin, die genau weiß, wie expressiver Al fresco- und liniengenauer Schöngesang miteinander kombiniert werden können, wo die Grenzen des guten Geschmacks liegen, wenn es um die exaltierten Momente geht. Das leicht angeraute, eher dunkle Timbre der Rumänin entwickelt sowohl in den zarteren Passagen der Liebesduette und des effektiv gesteigerten Bekenntnisses „Vissi d’arte“ als auch den glutvoll durchs Orchester flutenden Ausbrüchen sowie des ohne Nachdrücken mühelos ansprechenden Tiefenregisters einen besonderen Reiz. Dass ihr am Ende des zweiten Aktes ein Fehler unterläuft, indem sie den Raum mit dem gemeuchelten Scarpia noch vor dem Ertönen des sie eigentlich erst aufschreckenden Trommelwirbels verlässt, ist ihr im Hinblick auf eine gesamtheitlich würdige Verkörperung Toscas zwischen Diva und Liebender gut nachzusehen.
Dmytro Popov als Cavaradossi bringt die im Spiel entwickelten Zärtlichkeiten gegenüber Tosca vokal erst bei den „dolci mani“ des dritten Aktes durch etwas mehr vokale Nuancierung zur Entsprechung. Ansonsten imponiert der gut aussehende, schlanke und drahtige Ukrainer (von 2009-2012 war er fixes Ensemble-Mitglied) mit seinem jederzeit gut ansprechenden, in den Höhen etwas geraden, aber durchaus strahlkräftigen Tenor, abgesehen von einem nicht sonderlich schmelzreichen Timbre, ohne Einbussen. Den Wechsel auf der Engelsburg von tiefer Verzweiflung zu neuer Entflammtheit bringt er glaubhaft über die Rampe.
Als ebenfalls früheres Ensemble-Mitglied hat sich Markus Marquardt in freiem Schaffen inzwischen ein beachtliches Rollen-Spektrum erarbeitet. Neben hier bereits vorgestellten Verdi-Partien (Rigoletto und Nabucco) steht dem körperlich etwas gedrungenen, aber aus der Ruhe sehr viel Präsenz erzielenden Bariton der noble Schurke Scarpia ganz gut, auch wenn er in der tiefen Lage manchmal an seine Grenzen gerät. Mit relativ wenig Körpereinsatz, aber großem Ausdrucksreichtum und spannkräftiger Höhenlage bleibt er dem begehrenden Machtmenschen kaum etwas schuldig.
Lang bewährte Rollenträger sind wiederum Karl Friedrich Dürr als Mesner und Heinz Göhrig als Spoletta, Ashley David Prewett gehört zu den Angelottis, denen die Fluchtsituation des ehemaligen römischen Konsuls in gehetzter Verfassung und mit drängendem Stimm-Einsatz wirklich abgenommen werden kann.
Die komplette Erfüllung des Puccini-Reißers bot indes der inzwischen am Haus viel beschäftigte Giuliano Carella. Erst vor wenigen Tagen ließ er Händels „Ariodante“ erfrischend sprühen, jetzt bewegte er sich mit dem wiederum gut aufgelegten Staatsorchester Stuttgart in der dazu völlig konträren Stimmungswelt Puccinis mit viel Intuition und Geschick für die wesentlichen Sinnfälligkeiten der Partitur. Dazu gehörte vor allem die spürbar mit Liebe heraus gekitzelte Lautmalerei der atmosphärisch unterschiedlich ausgerichteten Akte, das Umschmeicheln der Sänger hinsichtlich Tempi und individueller Bedürfnisse, und besonders auffallend, weil oft verhetzt herunter dirigiert – der massig schwere Ausklang des Te Deums (darin äußerst akkurat der Staatsopernchor) und die letzten Takte nach Toscas Todessprung, in denen Carella das Entsetzen der zurück Gebliebenen so erschütternd nachklingen läßt, als ob der Zuhörer selbst in die Tiefe gerissen würde.
Der starke Einheits-Applaus (mit lediglich leichten Ovations-Ansätzen für Popov) entsprach mangels Differenzierung leider nicht den gebotenen Leistungen. Begeisterung klingt anders….
Udo Klebes