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STUTTGART/Theaterhaus: THE GIFT – Ein Soloabend für und mit ERIC GAUTHIER

Zum Abschied doch noch einen Augenblick Prinz sein

23.03.2018 | Ballett/Performance


Eric Gauthier: Abschied als Tänzer. Copyright Regina Brocke

Stuttgart

„THE GIFT“ – Ein Soloabend für und mit ERIC GAUTHIER

 21.3. 2018 (Theaterhaus) – Zum Abschied doch noch einen Augenblick Prinz sein

Seit gut 20 Jahren bereichert Eric Gauthier die Stuttgarter Tanzwelt, zuerst als Tänzer beim Stuttgarter Ballett, das er 2007 als Solist verließ, um den Traum einer eigenen Compagnie zu verwirklichen, seither in seiner Universal-Funktion als Direktor und Künstlerischer Leiter von sowie Choreograph und weiterhin Tänzer für Gauthier Dance, und darüber hinaus als Musiker und Songwriter. Seit er obendrein Vater von drei Kindern ist, hat sich so manche/r gefragt, wie er das alles in seinem Leben unterbringt, er der mit seiner perfekten Mischung aus Präzision und Lässigkeit gerade auch in seinen einführenden Grußworten vor jeder Vorstellung dem Publikum stets so ausgeglichen gegenüber tritt und eine lockere Atmosphäre zu schaffen weiß.


Der Sänger Eric Gauthier. Copyright: Regina Brocke

Nun, wo er die 40 überschritten hat, fiel der Entschluss als Tänzer einen Schlussstrich zu ziehen, zumal er sich für seine erwähnten anderen Aufgaben, auch durch die mittlerweile internationalen Gastspiele von Gauthier Dance, genügend fit halten muss. Doch in welcher Form soll dieses Abschiednehmen verwirklicht werden? Durch eine Querschnitt-Präsentation seiner bedeutendsten Rollen? Nein, es mußte schon etwas Originelleres sein! Der israelische Choreographie Itzik Galili, in dessen Arbeiten für das Stuttgarter Ballett er mehrfach mitgewirkt hatte, kreierte ihm unter Einbringung eigener Ideen ein 70minütiges Solo, ganz konzentriert auf die Persönlichkeit des Kanadiers, auf den Leib. Bewusst zweideutig gewählt ist der Titel „The Gift“, der Positives und Negatives gleichermaßen umfasst und auch auf den schraubbaren Mini-Gläsern steht, die beim Betreten des Zuschauerraumes verteilt werden. Jedes soll einen Teil der verschiedensten seiner Erinnerungen enthalten. Wenn er dann einige von ihnen öffnen lässt, ertönen Laute, die er kommentiert: das Schreien des ersten Kindes, die krachende Tür zum Büro seines Mentors Reid Anderson, dem er eines Tages bekundete, als Musical-Sänger nach London gehen zu wollen, und mit den Worten entlassen wurde, er möge morgen wieder kommen, und wenn er dann immer noch diesen Plan hege, könne er gehen!

So wie Gauthier als Tänzer die Gegensätze von ernsthafter Berührung und überschäumendem Humor beherrschte und in seiner Nonchalance ein echter Charakter-Darsteller war, lotete er auch an diesem Abend noch einmal beide Seiten aus.

Im Bühnendunkel flackert zunächst das Licht am Schminktisch, dann rollen nach und nach Erinnerungsgläser in verschiedensten Größen herein; in Lichtquadraten, oder nur mit der Zuhilfenahme eines Stuhls, setzt Gauthier zu den ersten choreographischen Sequenzen an, voller Expressivität im Zwiespalt zwischen Vergangenheit und Zukunft, musikalisch meditativ eingehüllt von ganz nach innen gerichteten Klangmustern. Dann greift er zur Gitarre und philosophiert rückblickend über das Schicksal des Tänzers zwischen extremer körperlicher Disziplin und all der Freude und dem Glück, das er dabei empfunden hat. Kameramann Rainhardt Albrecht-Herz verfolgte ihn quer über die Bühne bis in die Garderobe, so dass alle Vorgänge auch auf einem zentralen Bildschirm zu sehen sind. Dort werden wir Zeuge des Tänzers, der mit seinem Spiegelbild spricht und durch Vorwürfe gedemütigt wird.


Der Kommunikator Eric Gauthier. Copyright: Regina Brocke

In seiner offenen und lockeren Kommunikation machte Gauthier quasi als entspannendes Intermezzo die Zubereitung einer Pasta alla carbonara schmackhaft, indem er die einzelnen Handgriffe zu einer Choreographie verdichtete, die er das zum Aufstehen gebetene Publikum schließlich in Teilschritten wiederholen ließ. Ergänzt durch den einleitenden Kommentar „Jamie Oliver des Tanzes“ dürfte da kaum ein Auge trocken geblieben sein.

Wer doch noch einen Rückblick auf seine Funktion als klassischer Tänzer erhofft hatte, wurde auch bedient. Dabei ließ Eric Gauthier durchblicken, wie gerne er doch mal Prinz gewesen wäre, und deshalb erfülle er sich diesen Wunsch wenigstens für kurze Zeit beim Abschiednehmen. Zuerst im sich steigernden Entrée Desirés in „Dornröschen“, dann mit der köstlich verzögerten Vorbereitung eines Solos des Basilio aus „Don Quijote“ und drittens mit dem in immer größer werdenden Bögen und unter seinem Umhang zum Balkon-Pas de deux ansetzenden Romeo, wobei der Kameramann kurzerhand zur Statistin als Julia verdonnert wird. Da huscht sogar ihm selbst Erheiterung über das Gesicht.

Unversehens wird es wieder ernst, wenn Gauthier Jacques Brels „Ne me quitte pas“ zur persönlichen Bitte an das Publikum umfunktioniert, ihm auch nach seinem Bühnenabtritt bei seinen weiteren Aufgaben die Treue zu halten. Der Schwenk der Kamera fährt nun bedeutungsvoll ins Publikum, das umgekehrt signalisiert, er möge sie trotz Abschieds vom Tanz in seinen anderen Funktionen nicht verlassen. Da ist Gauthier, unterstützt durch seine Muttersprache Französisch ganz bei sich und rührt ans Innerste. Zuallerletzt noch ein stiller fein formulierter Ausdruckstanz, atmosphärisch gestützt von Debussys „Clair de lune“, dann tritt er ab und wird unzählige Male mit donnerndem Applaus und stehenden Ovationen wieder auf die Bühne zurück gerufen.

Abgesehen von ein paar flachen Momenten in der ersten Hälfte ist das eine würdige Hommage an einen Tänzer geworden, der viele Spuren (nicht nur) in Stuttgart hinterlassen hat, die ganz unsentimental, aber tief nachdenklich in einem am Boden eingeblendeten Umriss seines Körpers manifestiert werden. DANKE Eric Gauthier!

 Udo Klebes

 

 

 

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