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STUTTGART/ Theaterhaus; SCHATTENKIND von Eva Baumann als Tanz- und Figurentheaterstück

23.01.2022 | Ballett/Tanz

STUTTGART/ Theaterhaus: „Schattenkind“ als Tanz- und Figurentheaterstück am 22.1.2022 im Theaterhaus/STUTTGART

Ein suggestives Wechselspiel

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Foto: Daniela Wolf

Das Tanz- und Figurentheaterstück „Schattenkind“ von Eva Baumann war bislang nur online zu sehen. Jetzt konnte man es im Theaterhaus erleben. Corona hat das Problem häuslicher Gewalt an Kindern verschärft. Bitter und ironisch zugleich geht Eva Baumann dieses Problem an. Für die Künstlerin hängen das Ideal der Mutterliebe und mütterlicher Gewalt untrennbar zusammen. Dies setzt sie auch tänzerisch sehr konsequent um. Als Gegenüber fungiert hier eine zunächst geschlechtslose Puppe, die sich aber allmählich mit Hilfe von Videosequenzen in eine Frau verwandelt. Ein Stuhl ist zu sehen, der an riesigen Seilen hängt, außerdem ist der Raum mit Kisten und Leuchtstäben ausgestattet, die an- und ausgeknipst werden. Die Choreographin, Solo-Performerin, Bühnenbildnerin und Videokünstlerin Eva Baumann fragt bei diesem seltsamen Duett intensiv nach, warum die Grenzen zwischen den Identitäten verschwimmen.

Wer ist hier Opfer, wer Täterin? Und wer ist die Mutter, wer die Tochter? Das lässt sich nicht eindeutig beantworten. So entstehen starke seelische und körperliche Kämpfe zwischen diesen Figuren. Die menschengroße Gliederpuppe entwickelt im Lauf des Stücks ein geradezu unheimliches Eigenleben. Aber die Tänzerin kommt nicht von der Puppe los. Zeitgenössischer Tanz und Figurenspiel gehen ganz ineinander über, ergänzen sich, löschen sich aber nie aus. So fesselt eine intensive Körper- und Bildsprache den Zuschauer.

Zusammen mit ihrer künstlerischen Partnerin Nina Kurzeja hat sie intensiv recherchiert. Im Video sieht man Gartenzwerge und eine auf dem Rücken liegende Fliege, was die Tristesse der gesamten Situation visuell eindringlich  beschreibt. Einmal glaubt man sogar einen Geburtsvorgang zu erleben, der  durch einen lauten Schrei und die Trennung der Nabelschnur beendet wird. Mensch und Puppe hängen hier unmittelbar zusammen. Zugleich hat man den Eindruck, Mütter- und Töchterstimmen zu hören. Im Programmheft geht Eva Baumann auch der Frage nach, warum Männer im „world wide web“ Frauen als Monster darstellen, die ihre Kinder quälen. Es scheint, dass dabei eine Erklärung für die Aggression und Gewalt von Männern gegen Frauen gesucht wird. Im „Schattenkind“ soll der Zuschauer immer wieder seinem eigenen Schatten begegnen, der ihn jahrzehntelang begleitet. Und doch sind hier auch Ruhepunkte wichtig. „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“, sagte der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Diese Maxime hat Eva Baumann auch auf ihr Stück übertragen.  So werden die Mechanismen mütterlicher Gewalt bloßgestellt. Seelische Verletzungen bleiben so ganz bewusst im Verborgenen.

Die Stärke des Stücks besteht auf jeden Fall in der szenischen Umsetzung, auch wenn manche Fragen offen bleiben.

Alexander Walther

 

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