Preisträgerkonzert zum 63. Kompositionspreis der Stadt Stuttgart mit dem Klangforum Wien im Theaterhaus am 6.2.2019/STUTTGART
ALGORITHMEN MIT DEM SUPERCOMPUTER
Große Namen wie Helmut Lachenmann und Wolfgang Rihm erhielten den 1955 ins Leben gerufenen Stuttgarter Kompositionspreis. Er ist mit 12.000 Euro dotiert. Auch in diesem Jahr konnten wieder zwei begabte Nachwuchskomponisten ausgezeichnet werden: Ondrej Adamek und Ole Hübner. Das exzellente Klangforum Wien unter der inspirierenden Leitung von Bas Wiegers interpretierte zunächst „Case Black“ für Ensemble und Elektronik aus dem Jahr 2016 von Mirela Ivicevic. Das Werk bezieht sich auf eine im Frühjahr 1943 gescheiterte Offensive der Achsenmächte in der Nähe des Flusses Sutjeska in Südost-Bosnien. Hier wird auch das aktuelle politische Klima Kroatiens thematisiert, in dem die den Antifaschismus ablehnende Staatsführung den Geist des im zweiten Weltkrieg mit den Nationalsozialisten alliierten Vasallenstaates NDH wiederzubeleben versucht. Klang wird hier aber auch zum Raum der Freiheit, man hört die heterogene Zusammensetzung der antifaschistischen Truppen geradezu heraus. Rituale werden auch rhythmisch minuziös betont. Staccato- und Glissando-Passagen beherrschen facettenreich den Raum, beleben die Dynamik, unterstützen die Arabesken der Flöte. Zuweilen dringen Militär-Anklänge durch.
Von Augustin Braud erklang dann „Golem“ als reizvolles Concertino for double bass and chamber ensemble (2016/17) als deutsche Erstaufführung. Dieses suggestive Werk ist inspiriert von den Mutationen einer formbaren Materie wie dem Ton. Physische und akustische Materie verschmelzen fast magisch. Und der Solist formt sein eigenes Material. Kathryn Schulmeister (Kontrabass) gestaltete hier ihren expressiven Part mit großer Energie. Auch die Arpeggien der Harfe belebten das harmonische Geschehen stark. Triller-Sequenzen verbreiteten eine geradezu elektrisierende Wirkungskraft. Verschiedene rhythmische Impulse durch das Ensemble hinterließen einen starken Eindruck. Vom ersten Preisträger Ondrej Adamek war „Ca tourne ca bloque“ für Ensemble aus dem Jahr 2013 zu hören. Dieses vom hervorragenden Klangforum Wien sehr differenziert dargebotene Werk beschäftigt sich in drei Teilen mit den japanischen Städten Kyoto und Osaka. Auf den Samples ist die Stimme einer Verkäuferin in Osaka zu hören, die sich mit den Stimmen zweier französischer Freunde vermischt. Die Musikalität der gesprochenen Stimme steht hier eindeutig im Zentrum des Geschehens. Wiederholungen von Handlungen des Alltags bestimmen gleichzeitig den mechanischen Fluss der Komposition. Es ist ein sehr kunstvolles Stück, das sich wie ein Mosaik zusammensetzt und dadurch seine besondere Qualität gewinnt. Pizzicato- und Ostinato-Passagen begleiten hier den akustischen Wettkampf um Wörter wie „fantasme“, die an die Wand projiziert werden. Die Musik entsteht hier gleichsam aus Wörtern. Zum Abschluss erklang noch das komplexe Werk „Drei Menschen, im Hintergrund Hochhäuser und Palmen und links das Meer“ für großes Ensemble, vier Sprecher, 8-Kanal-Audioplayback und Elektronik (2016/17) von Ole Hübner. Hier wirkten Sarah Palarczyk, Jonathan Peller, Simon Kluth als Sprecher (Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg) und Mathis Bossert (Knabenstimme) mit. Fotografische Elemente verbinden sich hier mit einem intensiven Hörerlebnis und einem immer wiederkehrenden markanten Moll-Akkord. Personen, Stadtkulisse, Licht und Stimmung verschwimmen miteinander. Das Stück ist als „Hör-Theater“ zu begreifen, was das Klangforum Wien unter der energischen Leitung von Bas Wiegers auch sehr gut unterstrich. Cathy van Eck (Hochschule der Künste in Bern) sprach die Laudatio. Sie betonte, dass sich bei den Stücken Verknüpfungen und Assoziationen auf eine komplexe Art bewegen. Die Sprache werde gerade bei Adamek als musikalisches Material benutzt, da die Musik aus Sprachfetzen bestehe. Die Algorithmen beherrschen den Supercomputer. Die Preisverleihung erfolgte durch den Bürgermeister für Allgemeine Verwaltung, Kultur und Recht Dr. Fabian Mayer. Für die informative Moderation sorgte Friedrich-Koh Dolge, Direktor der Stuttgarter Musikschule. Dieses Konzert war die Eröffnung des diesjährigen „Eclat“-Festivals für Neue Musik, bei dem so viele Uraufführungen erklingen wie noch nie.
Alexander Walther