Phantasiewelt in Rosa: das Ensemble. Copyright: Regina Brocke
Theaterhaus Stuttgart
Gauthier Dance „BULLSHIT“ 23.2.2018 (Uraufführung 20.2.) – Ein (Alp-)Traum in Rosa!
Die musikalische Einleitung zu Cole Porters Musical „Anything goes“, die den Zuschauer bei noch erhelltem Zuschauerraum einstimmend begrüßt, nimmt im wahrsten Sinne des Wortes vorweg, was für die nächsten rund 70 Minuten gilt: alles geht, alles ist möglich in Nadav Zelners Phantasiewelt, die uns der erst 25jährige Choreograph aus Israel durch seine rosarote Brille zeigt. Die Tourmanager von Gauthier Dance hatten den noch unbekannten Schrittemacher vor drei Jahren bei einer Tanz-Gala in Tel Aviv entdeckt und zunächst zwei Stücke von ihm ins Repertoire übernommen, ehe nun als Auftragsarbeit seine erste abendfüllende Kreation entstanden ist. Der Titel mag für eine öffentliche Präsentation mehr als irritieren, zumindest klingt er für unsere deutschsprachigen Ohren nicht so abstoßend wie in der Übersetzung, doch hat ihn Zelner mit dem Verweis auf das ausgewählt, was ihn an unserer kapitalistischen, auf Statussymbole ausgerichteten Welt so stört: die Achtlosigkeit gegenüber einem elementaren unkäuflichen Wert, der viel wesentlicher ist: die Liebe!
Phantasiewelt in Rosa: das Ensemble. Copyright: Regina Brocke
Diesen Makel, der ihm durch den Urlaubsbesuch bei einem afrikanischen Stammesvolk bewusst wurde und ihn zu diesem Projekt inspiriert hatte, veranschaulicht er sprichwörtlich auf einer ganz in rosa gehaltenen Bühne mit sie auskleidenden Stoff-Streifen, die in immer wieder wechselndes Licht getaucht werden, mal ganz blass, dann schreiend intensiv, mal ins Lila oder Blau hinüber gleitend, dann wieder mehr dem Roten angenähert. Das optische Ergebnis bietet somit ganz unabhängig vom Tanz die Wandelbarkeit zwischen billig süßer Konfektion und raffiniert installiertem Kunstwerk: Eine rosa Höhle als Anspielung auf Platons Gleichnis einer geschlossenen, nach ihren eigenen Werten lebenden Gemeinschaft (Bühnengestaltung: Netta Dror). Gekennzeichnet ist diese utopische Gesellschaft durch Kostüme, die nur auf den ersten Blick einen einheitlichen rosa-weiß schimmernden Schnitt aufweisen, doch bei genauerem Hinsehen Unterschiede in der Länge der Shorts und der Rüschen-Drapierung der Oberteile aufweisen. Gemeinsam ist ihnen das heraus stechendste Detail: die in einer auffallend markierten Art von Kunststoff-Schale verhüllten Genitalien. Sie markiert das Männliche, während Betonungen im Schritt auf das Weibliche verweisen. Durch die Vereinigung beider werden die Geschlechter mehr oder weniger aufgehoben bzw. vereinheitlicht (Kostümdesign: Maor Zabar). Und doch können sich unterschiedliche Typen, orientiert an den Charakteren der TänzerInnen behaupten und gegenüber anderen heraus ragen: allen voran die prägnantesten und inzwischen zur Identität von Gauthier Dance beitragenden Mitglieder: der charismatisch weiche Rosario Guerra, der süffisante Maurus Gauthier, die reizvoll herbe Garazi Perez Oloriz, die fraulich geschmeidige Anna Süheyla Harms und die wiztig freche Anneleen Dedroog. Sie und all die anderen, die fairerweise namentlich erwähnt sein müssen ( Jonathan Dos Santos, Theophilus Veselý, Francesca Ciaffoni, Alessio Marchini, Luke Prunty, Sandra Bourdais, Alessandra La Bella, Barbara Melo Freire, David Rodriguez, Nora Brown und Reginald Lefebvre) dürfen sich in Zelners Bewegungssprache in alle Richtungen austoben, oft uni-sono in Gruppen oder in wechselnden Zusammensetzungen. Dazwischen sind kurze Soli für alle Beteiligten, teilweise ganz in die Stille oder zu weit entfernten Klängen geschoben. Da gibt es Tierisch-Komisches mit entsprechenden Verlautbarungen, Formationen in der Hocke oder am Boden mäandernd, mit erhobenen Händen, gespreizten Fingern, zu hauptsächlich afrikanisch grundierten Trommel-Sequenzen und Gospel-Gesängen rhythmisch Bewegtes, wozu in die Hände geklatscht oder die Köpfe im Takt genickt werden. Und als Überraschungsmoment der von zwei Männern mit Schwung gewagte Wurf einer Tänzerin in die Arme eines Anderen. Manche Passagen erinnern an Showtänze, andere mit teils grotesker Mimik an pantomimisch geprägtes Tanztheater, die Nähe zum Musical ist ebenso vorhanden wie Zeichen eines poetisch angehauchten Ausdruckstanzes mit fast sentimentaler Klaviermusik. Damit endet auch der bunte Reigen, ohne auf einen Höhepunkt, der doch irgendwie in der Luft lag, zugesteuert zu haben. Die doch sehr beliebige, wie aneinander gereiht wirkende Struktur des Stückes lässt die Spannung immer mal wieder etwas durchhängen oder die Aufmerksamkeit abflachen. Das ist das einzige Manko in diesem von Leichtigkeit und Humor bestimmten „Nonsens“. Zelner möchte mit diesem Blick in seine rosa Traumwelt viele kleine Geschichten innerhalb der Gemeinschaft erzählen, sie erschließen sich allerdings nur bruchstückhaft in einzelnen Gesten oder etwas überbetonter Mimik. Manches wie die Tänze einzelner in einem Lichtkreis umringt von den anderen ist in der puren tänzerischen Freude schön anzusehen, und darum dürfte es wohl in erster Linie auch gehen: die Losgelassenheit eines von Leidenschaft geprägten Tanzes, dem es dann trotz aller Fragwürdigkeiten schwer fällt, sich zu entziehen. Und das Ensemble von Gauthier Dance macht spürbar, dass sie alle auch eine Gemeinschaft sind, die im Zeichen der Liebe zum Tanz zusammenhalten.
Solo in der Gemeinschaft: David Rodriguez, Reginald Lefebvre und Rosario Guerra. Copyright: Regina Brocke
Der Publikumserfolg bleibt ungebrochen – im stets ausverkauften Saal herrschte auch an diesem Abend große Begeisterung, die die TänzerInnen nicht so schnell von der Bühne ließ.
Udo Klebes