Stuttgart: Gauthier Dance Juniors „RENAISSANCE“ 14.11.2024 (Theaterhaus) – ein Sextett voller Individualität
2007 hatte Eric Gauthier sein Tanzensemble gegründet, das anfangs aus sechs Tänzern bestand (heute sind es 18!). Deshalb erinnert der Aufbau seiner Junior-Gruppe mit sechs Mitgliedern sofort an die Anfänge des Franko-Kanadiers, der vor seiner Selbstständigkeit gut zehn Jahre beim Stuttgarter Ballett (zuletzt als Solist) getanzt hatte. Zum ersten Programm, das im Januar Premiere feierte, gehören auch kleine Filmchen, in denen sich die drei Tänzerinnen und die drei Tänzer mit erstaunlich tiefgründigen Gedanken zu ihrem Beruf vorstellen und auch ohne Tanz völlig verschiedene Persönlichkeiten erkennen lassen. In einem weiteren von Gauthier selbst gedrehten Beitrag nehmen wir an einer originellen Art Reise ins Innere seiner Landsmännin Mathilde Roberge teil, die vom klassischen Ballett kommt, aber ihre (laut eigener Aussage) Hyperaktivität in erweiterten Ausdrucksformen ausleben muss.
UMBRA PENUMBRA von Rena Butler – Rebecca Amoroso und Rong Chang. Copyright: Jeanette Bak
Der vielleicht auffälligste Charakter ist Rong Chang, ein kleiner, aber trotz zierlichem Körperbau ungemein drahtiger und gleichzeitig konzentriert gefühlvoller Taiwanese, der als einziger an allen fünf gezeigten Choreographien beteiligt ist. Diese wiederum sind kein billiges Futter noch unbekannter Tanzschöpfer, mit dem sich so mancher Nachwuchs vorerst begnügen muss, sondern dank Gauthiers weitreichenden Kontakten in der Tanzwelt allesamt renommierte Vertreter ihrer Kunst. Und damit auch hohe Ansprüche an ihre Interpreten stellen. Chang kann sich gleich in zwei Pas de deux präsentieren. Einmal in „UMBRA PENUMBRA“ (= Halbschatten), einer Auftragsarbeit an die hauptsächlich in den USA tätige Rena Butler, in einem ganz freien, voller dynamischer Wechsel steckenden Stil. Als vermummter Schatten der großen blonden Rebecca Amoroso setzt er genauso wie sie sehr wendig geschmeidige Akzente, die der bedrohlichen Situation (unterstützt von rhythmischem Gesang), die sich im Verlauf durch einen Rollentausch wandelt, eine faszinierende Leichtigkeit geben. Nicht weniger eindringlich beweist Chang seine Intensität im Männer-Pas deux „MIDNIGHT RAGA“, den Marco Goecke 2017 für das NDT2 kreiert hatte. Gemeinsam mit dem südländisch charmanten Katalanen Joan Jansana Escobedo lässt er in dem hier leichter als sonst wirkenden Flatterstil des Choreographen ein gutes Gespür für das Timing des mit symmetrischen Spiegelungen arbeitenden Stücks erkennen. Indische Musik von Ravi Shankar und kraftvoll röhrender Soul von Etta James fördern die soghafte Entwicklung der Bewegungen.
Sehr rätselhaft bleibt das eingangs gezeigte „SARA“ der aus der Batsheva Dance Company hervorgegangenen Tänzerin Sharon Eyal, ein im Dunkeln verharrendes, von ihrer Trippelschritt-Technik geprägtes Werk, in dem eine isolierte Frau (die mit langen grazilen Armen und Sensibilität auffallende Garance Goutard-Dekeyser) und eine meist synchron auf einer kleinen Fläche agierende Gruppe in schwarz glänzenden Ganzkörper-Trikots zu elektronischen Klängen laut Kurzbeschreibung dem Geheimnis einer (Schatz-)Perle, die sich schließlich auflöst, Gestalt geben. So ganz nachvollziehbar ist das bei aller Phantasie allerdings nicht.
AT THE RIVER STYX von Barak Marshall – Joan Jansana Escobedo mit Ensemble: Copyright: Jeanette Bak
„AT THE RIVER STYX“, einer Uraufführung des derzeitigen Choreographer in Residence Barak Marshall, irritiert zunächst als Reaktion auf den Tod seines geliebten Vaters, entpuppt sich jedoch bald als tragikomisch antwortendes Spiel mit Absurditäten wie Wiederbelebungen mit Blasebalg und ihr letztes Mahl bestellenden Sterbenden, bevor sie in einem Kahn die Bühne bzw. diese Welt verlassen. Ein bunter Musikmix von Folklore, Walzern und Jiddischen Gesängen begleitet die Stimmungsbilder, in denen jeweils ein Tänzer im Mittelpunkt steht. Spätestens hier ist auch der Sechste im Bunde, der Australier Atticus Dobbie zu erwähnen, der als athletischer Blondschopf sein tänzerisches -und hier auch spielerisches Talent zeigt, zumal das Konzept mehr tänzerisch angereicherten Spielszenen in Kostümen einer vergangenen Zeit von Gudrun Schretzmeier gleicht.
BOLERO von Antonis Foniadakis – mehr Spaß als Sinnlichkeit. Copyright: Jeanette Bak
Neben Maurice Béjarts berühmter „BOLERO“ Version, die beständig vor dem geistigen Auge vieler Tanzfreunde erscheint, kann sich diejenige von Antonis Foniadakis durchaus behaupten, auch wenn statt der sinnlichen Kraft und dem Sog des zentralen Solisten auf dem roten Tisch hier in schrill bunter Kleidung mehr der Spaß am Herumhopsen auf Mini-Trampolins zum Tragen kommt. Das wiederum erfordert in der sehr begrenzten Fläche ein enormes Maß an Konzentration, auch wenn die Bewegungs-Komplexität sehr eingeschränkt ist. Zweifellos ist es aber auch für alle fünf Beteiligten ein enormer konditioneller Akt, zuletzt aufgeheizt mit hohen Sprüngen und einem Niederfallen auf die final rot glühenden Sportgeräte. Der Jubel war den Youngsters sicher und wird sie hoffentlich auch mit dem nächsten Programm 2025 begleiten. Ausverkaufte Vorstellungen beweisen, dass sie bereits ihr Publikum gefunden haben.
Udo Klebes