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STUTTGART/Theaterhaus: „GALA zum 80. Geburtstag von EGON MADSEN“ – – ein Abend für den großen Tänzer, Mimen und vor allem Menschen

29.09.2022 | Ballett/Tanz

Stuttgart

„GALA zum 80. Geburtstag von EGON MADSEN“ 28.9. 2022 (Theaterhaus) – ein Abend für den großen Tänzer, Mimen und vor allem Menschen

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Egon Madsen – der gefeierte Jubilar. Foto: Jeanette Bak

Ein Tanzfest, eine Feier ganz nach Stuttgarter Art – aber nicht vom Stuttgarter Ballett ausgerichtet, was bei der langjährigen Zugehörigkeit zu diesem Ensemble und seinem Status als einer des berühmten Quartetts unter John Cranko durchaus nahe gelegen wäre. Nein, diese Gala zu Egon Madsens 80. Geburtstag und zugleich seinem 70. Bühnenjubiläum!!, den er im August begangen hatte, wurde vom Theaterhaus Stuttgart ausgerichtet. Die eher nüchtern schwellenlose Heimspielstätte der zweiten Stuttgarter Ballett-Compagnie Gauthier Dance, das der Jubilar von seiner Gründung 2007 an als Trainer, Coach, Berater, Regisseur und Choreograph mit aufgebaut und begleitet hatte, bot für den jung gebliebenen, locker und voller Lebenslust steckenden auf der dänischen Insel Fünen geborenen Künstler den vielleicht sogar passenderen Rahmen als das feierlich altehrwürdige Opernhaus.

Für diesen besonderen Abend waren wieder einmal viele der großen Stuttgarter Ballett-Familie von dies- und jenseits der Bühne zusammengekommen, um den ungeheuer vielseitigen, vorbildhaften und menschlich auf dem Boden gebliebenen Egon Madsen würdig zu ehren. Das Programm setzte sich aus diversen Filmbeiträgen vergangener Tage, einer Gesprächsrunde mit wichtigen Weggefährten sowie natürlich explizit ausgewählten tänzerischen Präsentationen zusammen, die noch einmal jene Rollen beleuchteten, die für den 80jährigen einst geschaffen wurden oder deren Interpreten ihm ein persönliches Bedürfnis sind.

Nach den wohl gewählten, leider etwas steif vom Blatt abgelesenen Grußworten des Hausherrn Werner Schretzmeier wurde das Feld dem Moderator des Abends überlassen – wer sonst als Eric Gauthier, dessen lässig humorvolles Präsentationstalent hinlänglich bekannt ist, hätte diese Aufgabe treffender und vor allem auch in einer solchen persönlichen Verbundenheit zu Madsen ausfüllen können!

Filmausschnitte aus vergangenen Tagen waren geschickt in die tänzerischen Auftritte eingestreut, zuerst aus seinen Anfangszeiten als Schüler und bei ersten Auftritten mit dem Aarhus Kinderballett in seinem Heimatland Dänemark, wo der schon in dieser frühen Phase  nicht allzu groß gewachsene Tänzer von gleichaltrigen Partnerinnen fast überragt wurde. Sein späteres Engagement beim Tivoli-Pantomimentheater legte den Grundstein für seine auffallenden und später vielfach bei der Rolleninterpretation eingesetzten Fähigkeiten in dieser Kunstform. 1961 kam er zum Stuttgarter Ballett und stieg dort innerhalb kurzer Zeit zu einem der Stars von Crankos späterem Ballettwunder auf. Archiv-Aufnahmen des damaligen Süddeutschen Rundfunks machten angesichts des schmerzhaften heutigen Randdaseins dieser Kulturform bewusst, wie damals in den 60er und beginnenden 70er Jahren Premieren und Tourneen, aber auch Probenmitschnitte noch Eingang in die tägliche Abendschau gefunden hatten. Madsens Kombination aus Danseur noble und dichter Interpretationsgabe, sowohl tragischer, melancholischer oder heiterer Ausprägung forderten außer Cranko weitere Choreographen zu speziellen Rollenkreationen heraus. Als er nach Zwischenstationen als Ballettdirektor in Frankfurt, Stockholm, Florenz und Leipzig sowie einer vorübergehenden Rückkehr zum Stuttgarter Ballett als Ballettmeister und stellvertretender Leiter zur Jahrtausendwende von Jiri Kylian zur Seniorentruppe des Nederlands Dans Theater auch als Tänzer berufen wurde, fühlten sich erneut Choreographen inspiriert für ihn und diese Gruppe aus Tänzern über 40 zu kreieren.

Die Teilnehmer der illustren Gesprächsrunde zu Beginn des zweiten Gala-Teils brachten ihre persönliche Bedeutung Madsens zum Ausdruck: die langjährige Tanzgefährtin Birgit Keil schwärmte von der Authenzität seiner Gestaltungskraft, die unmittelbar und zutiefst berührt, die Ballettdirektoren Tamas Detrich (Stuttgart) und Ivan Cavallari (derzeit Montreal) würdigten seinen Einsatz für die Nachkommenden, seine ratgebende Unterstützung für ihre Manager-Tätigkeiten, Italiens führender Choreograph Mauro Bigonzetti, der in der unmittelbaren Nachbarschaft von Madsens Wahlheimat Italien lebt, seine Zuverlässigkeit bei gemeinsamen Projekten (ihr letztes Gemeinschafts-Projekt „King Lear“ kommt auch jetzt im November wieder auf die Bühne des Theaterhauses), und Stuttgarts Weltstar Friedemann Vogel lobte seine Vorbildfunktion für die jüngeren Tänzer-Generationen. Und für Eric Gauthier, der mit Madsen häufig in Christian Spucks Zwei-Personen „Don Q.“ aufgetreten war, ist er kurz und bündig umrissen ein Freund und Seelenverwandter.

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Finale aus „Cantata“ überragt vom Jubilar. Foto: Jeanette Bak

Die tänzerischen Programmpunkte waren passend ausgewählte Reverenzen des Stuttgarter Balletts, von Gauthier Dance und der John Cranko-Schule. Letztere wurde vertreten von den beiden Akademie Tänzern Alice McArthur und Mitchell Millhollin, die einen Pas de deux aus Uwe Scholz „DIE SCHÖPFUNG“ fein ausbalanciert und mit musikalischer Intuition zelebrierten, und den Wunsch aufkommen ließen, die eine oder andere Choreographie dieses begnadeten Tanzschöpfers möge wieder ins Stuttgarter Repertoire zurück kommen.

Von den im Aufbau begriffenen Juniors von Gauthier Dance präsentierten Arnau Redorta Ortiz und Maria Sayrach Baró Nacho Duatos Pas de deux aus „RASSEMBLEMENT“ mit Leidenschaft und flüssigem Umgang mit neoklassischen Formen.

Das Stuttgarter Ballett gratulierte mit drei Rollen-Preziosen, die allesamt Cranko für Madsen kreiert hatte. Zuerst den Pas seul aus „BROUILLARDS“, wo ein Junge sich von einem auf einer Bank schlafenden Mädchen geliebt wähnt, dies poetisch in feinste Hand- und Beinarbeit übersetzt und sich schließlich getäuscht sieht, wenn das Mädchen aufsteht und von dannen geht. Friedemann Vogel erfüllt diese kleine Kostbarkeit mit Tiefe und immer noch jugendlich strahlender Verliebtheit.

Alessandro Giaquinto schlüpfte für die Gesangsstunde des Gremio aus „DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG“ in eine der köstlichen Charakterpartien des Jubilars und tut dies in würdiger Nachfolge mit fein dosierten Pointen ebenso unaufgesetzt wie seín berühmter Widmungsträger. Adhonay Soares Da Silva wiederum konnte herausgehoben aus dem Gesamtwerk und so ohne den voran gegangenen Handlungsaufbau das klagende Solo des Lenski aus „ONEGIN“ trotz blitzsauberer Linien nicht mit der erwünschten Ausdrucksdichte erfüllen.

Von seinem Ensemble präsentierte Eric Gauthier zunächst Shori Yamamoto in seiner eigenen, 2019 in St.Petersburg uraufgeführten Schöpfung namens „ABC“, in der der Tänzer mit einer bewundernswerten Konzentration und Kondition das Alphabet des Balletts in einer irren Kette aus puren Positionen und Einstellungen sowie kurz angedeuteten Stück- bzw. Rollenmerkmalen durchdekliniert, und mit einem entsprechenden Jubelsturm bedankt wurde.

Das komplette Gauthier Dance Ensemble ergänzt durch die Juniors gestaltete dann das Finale mit drei Ausschnitten aus Bigonzettis hier in mehreren Serien äußerst erfolgreich gezeigter „CANTATA“, einem Fest der Lebensfreude, in die auch melancholische Untertöne hinein spielen, wieder live hinreißend ursprünglich interpretiert von dem neapolitanischen Vokal- und Instrumental-Quartett Assurd. Weil es sich Madsen in seiner auch heute noch bemerkenswerten Beweglichkeit nicht nehmen ließ, auch mit dabei zu sein, hatte ihn Bigonzetti einfach mit hinein choreographiert. Und so schwebte er zum Finale von den Tänzern auf die Schultern erhoben wie ein guter Geist über ihnen. Bereits am Ende des ersten Teiles war er als darstellender Tänzer noch einmal in Hans van Manens „THE OLD MAN AND ME“ an der Seite der nicht weniger präsenten und konzentrierten Milena Twiehaus in Aktion getreten – mit jenen knappen bedeutungsvollen Gesten durchsetzt mit einer Prise Ironie, aber auch bitterer Traurigkeit, die diese Beziehungsgeschichte in mehreren Phasen beleuchtet.

Egon Madsens Unermüdlichkeit auch in den letzten 15 Jahren umriss ein Filmbeitrag mit den wichtigsten Projekten, die z.T. mit Gauthier Dance und Eric Gauthier entstanden waren. Es wurde auch an diesem Festabend nicht der Eindruck erweckt, als ob da einer sich jetzt in seinem Ruhm sonnend zur Ruhe setzen wird, vielmehr zu neuen Taten in welcher Form auch immer schreiten wird – in all seiner natürlich liebenswerten Bescheidenheit und Hilfsbereitschaft.

Ohne die einstige Tänzerin Lucia Isenring, mit der er seit über 40 Jahren verheiratet ist, hätte er all dies nicht geschafft – bekennt Madsen ohne Umschweife und reicht ihr den großen Blumenstrauß des Theaterhaus-Chefs als Dank weiter.

Ausgelassene Feierstimmung herrschte im Publikum, das angeleitet von Eric Gauthier gleich zwei Geburtstagsständchen für Egon Madsen singen durfte – am Beginn zu seinem 80.Geburtstag, nach dem Finale mit allen Mitwirkenden zu seinem 70. Bühnenjubiläum!

 Udo Klebes

 

 

 

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