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STUTTGART/ Theater Atelier: DER SANDMANN nach E.T.A. Hoffmann

21.12.2019 | Theater

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Theater Atelier/STUTTGART Der Sandmann“ nach E.T.A. Hoffmann am 20. Dezember 2019

Beklemmende Bilder

In der subtilen Inszenierung von Ksenia Lakmut und den ausdrucksvollen Kostümen von Lara Kamysina konnte sich diese Inszenierung voll entfalten. Vor allem das Unheimliche und Dämonische arbeitete die Regisseurin in einem packenden Licht- und Schattenspiel voll heraus. Im Bühnenbild von Tascha Hamm zeigte sich der von Oleg Kamalov facettenreich-dämonisch dargestellte Sandmann als böse Gestalt, die zu den Kindern kommt, um ihnen Sand in die Augen zu streuen, wenn sie nicht zu Bett gehen. Als Mutter überzeugte ferner Elena Andreeva, die Nathanael jeden Abend Gruselgeschichten vom Sandmann erzählte. Dieser war sich sicher, in der Person des Sandmanns den Advokaten Coppelius zu erkennen, der am Tod seines Vaters (stets ängstlich: Adrian Jakob) schuld war. Als junger Student verlobte sich Nathanael mit Clara (nuancenreich: Vanessa Geiger) – und er schien alle traumatischen Erlebnisse seiner Kindheit verloren zu haben. Eines Tages traf er auf den ebenfalls von Oleg Kamalov diabolisch verkörperten Wetterglashändler Coppola, der dem Sandmann zum Verwechseln ähnlich sah.

Im unheimlichen Kerzenschein wurden die grausigen Geschehnisse in dieser Inszenierung angesichts unheimlicher Figuren und gespenstisch beleuchteter Gesichter höchst lebendig. Bald darauf verliebte sich Nathanael in die schöne Olimpia (wandlungsfähig dargestellt von Elena Andreeva), die Tochter seines Professors. Spalanzani (Adrian Jakob) ließ sie dann vor Publikum mit einer Bach-Arie auftreten (Vokalise: Viktoriia Vitrenko), bis Coppola dieser Vorstellung jäh und rüde ein Ende bereitete, als er die Puppe einfach entführte. Nathanael driftete allmählich in den Wahnsinn ab, was die verzweifelte Clara nicht verhindern konnte.

Gerade diese Szenen kamen bei der gelungenen Inszenierung am besten zum Vorschein. Zuletzt stürzte er sich von einer Mauer herab, nachdem er Coppelius wieder in der Menge entdeckte. Dieses Geschehen wurde hier aber nur angedeutet, denn im Gegensatz zum Originaltext stand Coppelius ganz oben auf der Empore und blickte höhnisch hinab. In raschen Szenenwechseln wurde hier die Handlung in raffinierten dramaturgischen Winkelzügen auf die Spitze getrieben. Das war alles sehr gekonnt und auch professionell gemacht (SFX Kreativberater: Viktor Schiwago). Diese skurrile Welt zwischen Traum und Realität trat immer wieder grell zwischen eindrucksvollen Musikeinlagen hervor. Die Bühnenbilder wurden ständig verschoben, alles drehte sich hin und her. Zuletzt sah man Clara mit einem Baby, das sie von einem anderen Mann bekommen hatte. In E.T.A. Hoffmanns Originaltext heißt es: „Es wäre daraus zu schließen, dass Clara das ruhige häusliche Glück noch fand, das ihrem heitern lebensdurstigen Sinn zusagte und das ihr der im Innern zerrissene Nathanael niemals hätte gewähren können.“ Zuvor hatte der von Adrian Jakob emotional verkörperte Lothar noch Claras Leben gerettet, das der wütende Nathanael zerstören wollte. Die diffuse Angst vor dem Gruseligen wurde in dieser Inszenierung von Ksenia Lakmut auf die Spitze getrieben. Nathanaels Gesicht war durch ein riesiges Auge regelrecht entstellt, die dunkle Seite des Lebens kam bei dieser Aufführung in beklemmenden Bildern zum Vorschein. Im Hintergrund erlebte man beispielsweise den Tod des Vaters mit, der in einer heftigen Explosion den Tod fand. Dass die Brief-Form hier zur formgebenden Bestimmung einer Schreibweise wurde, ließ die Inszenierung ebenfalls deutlich werden. Man bediente sich hier auch der Elemente des Ausdruckstanzes und der starken mimischen Darstellung, deren Intensität ständig zunahm. Dabei betrat die begabte Regisseurin Ksenia Lakmut Neuland. Die häufige Ansprache des imaginierten Lesers durch den bedauernswerten Physik-Studenten Nathanael erhielt hier eine besondere Note. Nathanaels schrecklicher Zustand erschien dabei auch häufig in Claras Diagnose, die dem ausufernden Geschehen aber immer hilfloser gegenüberstand. Die Begegnung mit dem seltsamen Wetterglashändler Coppola war realistischer gezeichnet als die dunklen Szenen mit Coppelius. Christoph Daecke stellte Nathanaels Selbst-Isolation und sein Scheitern am „wirklichen“ Leben drastisch heraus. Dazwischen sah man überall Augen, die der Wetterglashändler neben den vielen Brillen in seinen Taschen versteckte. Nathanael erschien bei dieser überaus sehenswerten Inszenierung  aber auch als Doppelgänger des anonymen Ichs. Die Furcht vor dem Ich kam so immer wieder suggestiv zum Ausdruck. Auch das grässliche Funkeln in Coppelius‘ Gesicht berührte die Zuschauer unmittelbar. So gewann man von diesem Abend einen ausgezeichneten Eindruck.    

  Alexander Walther

 

 

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