Stuttgarter Ballett „SHADES OF BLUE AND WHITE“ 6.3.2024 – ein Kaleidoskop klassischer Formen
Das dreiteilige Programm im Zeichen der völlig verschiedenen Ausprägungen des klassischen Vokabulars lockte erneut mit einigen neu besetzten Positionen.
Das betrifft vor allem das „KÖNIGREICH DER SCHATTEN“ (Choreographie von Natalia Makarova nach Marius Petipa), in dem sich Agnes Su erstmals als Nikija präsentierte. Von eher kühler unnahbarer Aura umweht beherrscht sie die Partie in all ihren kunstvollen Spitzenküren, sowohl in langsamen als auch in schnell bewegten Phasen, ohne sichtbare Schwächen. Wie bei ihren bisherigen Rollendebuts war auch diesmal keinerlei Premieren-Anspannung zu spüren. Die ihr etwas abgehende würdevolle Größe für die Stellung der führenden Tempeltänzerin gleicht sie durch ihr enorm sicheres Wirken aus.
Effektiv im Königreich: Ciro Ernesto Mansilla als Solor. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
Totalen Kontrast in dieses heilige Reich bringt Ciro Ernesto Mansilla als Solor. Mit dieser Partie eroberte er in Tamas Detrichs erster Spielzeit 2018/2019 bei seinem Einstand in Stuttgart die Bühne, und das tat er auch jetzt wieder garniert mit jener Würze, die nicht nur diese Rolle über eine reine technische Demonstration hinaus hebt. Stilistische und lineare Perfektion sind zwar nicht ganz Sache des argentinischen Solisten, doch weiß er Sprünge und schnelle Drehungen geschickt und spannend zu kombinieren, mit einer ordentlichen Portion Risiko effektiv zu steigern und seine beiden Soli mit siegesgewiss ausgestreckten Positionen zu beenden. Trotz der konträren Temperamente gab es zwischen den beiden Protagonisten keine Führungs-Differenzen.
Von den Solo-Schatten ist Mackenzie Brown (selbst eine majestätisch brillante Nikija) hervor zu heben, schafft sie es doch innerhalb von zwei Minuten ausgeglichene Kompetenz zwischen Adagio und Presto zu beweisen. Das 24köpfige Damen-Corps erzeugte abgesehen von ein paar nicht ganz gleichmäßig gestreckten Beinen meditative Geschlossenheit.
Neue Führung im Königreich: Agnes Su (Nikija) mit Corps de ballet. Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
In William Forsythes „BLAKE WORKS I“, hier 2022 erstmals aufgeführt, zeigten sich alle Beteiligten, angetrieben vom lässigen Sound der Elektro-Popsongs von James Blake wieder in Geberlaune, klassische Linien auf verschiedenste Art zu brechen. Solistisch und in Pas de deux wurden sie diesmal angeführt von Elisa Badenes, Mackenzie Brown, Elisa Ghisalberti, Jason Reilly, David Moore und Flemming Puthenpurayil.
Siebte Sinfonie A.Osadcenko, J.Reilly (vorne), M.Amemija, G.Figueredo (hinten links), A.Torronteras, H.Erikson (hinten rechts). Copyright: Roman Novitzky / Stuttgarter Ballett
Wie viel Freude eine Choreographie den Tänzern bereitet, schwingt jedesmal auch in Uwe Scholz „SIEBTER SYMPHONIE“ mit. Beflügelt von Beethovens unübertrefflich energiereich mittragender Symphonik war nun erstmals in dieser Serie Anna Osadcenko weniger als leicht schwebende, dafür von starker Persönlichkeit und kraftvollem Einsatz profilierte Frontfrau zu sehen. In allen Belangen bestens geführt vom universell einsetzbaren Jason Reilly. Neu dabei die beiden Demi-Paare, wobei es sowohl der viril charismatische Henrik Erikson als auch der schmächtigere elegante Gabriel Figueredo auf Anhieb schafften, ihre beiden Partnerinnen Mizuki Amemija und Alicia Torronteras u.a. in langen Überkopf-Hebungen und schnell wechselnden Aktionen entspannt aussehen zu lassen. Es ist eines der Glanzstücke des Repertoires, das im Zusammenwirken aller weiteren aus allen Hierarchie-Stufen gemischten 18 TänzerInnen immer ohne Einschränkungen gelingt und hellen Jubel auslöst. In den auch jetzt wieder das wacker unterstützende und in den schnellen Sätzen fast einen Tick vorpreschende Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Wolfgang Heinz miteinbezogen wurde.
Udo Klebes