Stuttgarter Ballett
„ROMEO UND JULIA“ 16.+17.11. – bemerkenswerte Debuts in einem brillanten Ensemble
In totalem Glück: Agnes Su (Julia) und Adhonay Soares Da Silva (Romeo) . Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
Im Rahmen von Ballett-Rezensionen wird das Corps de ballet selten entsprechend gewürdigt und oft nur am Rande erwähnt. Anhand dieser beiden Aufführungen von Crankos ältestem Handlungs-Klassiker sollen die Tänzer und Tänzerinnen des Ensembles mal zuvörderst für ihren so exakt wie animiert pfiffigen Einsatz in den immer wieder faszinierend strukturierten Volksszenen auf dem Marktplatz von Verona hervorgehoben werden. Wie dicht da Solistisches mit der Gruppe verwoben ist, das eine sich aus dem anderen heraus löst und fließend ineinander übergeht, springt bei einem solchen Engagement wieder besonders ins Auge. Ein besonderer Hingucker ist auch immer wieder der 5köpfige Faschingstanz mit der Gummi gleichenden Bein-Akrobatik.
Nun aber zu den Neulingen an vorderer Front. Für die erfreulichste Überraschung am 16.11. sorgte Adhonay Soares Da Silva, der als Romeo mit seiner formidablen Technik erwartungsgemäß die Choreographie wie aus dem Lehrbuch umsetzte, dazu jedoch in einer bestechenden Großzügigkeit aus doppelt so schnell wirkenden Drehungen und Schraubsprüngen und einer Maßstab setzenden Tempo-Dynamik zwischen Be- und Entschleunigung. Vor allem jedoch dürfte diese Partie in dem Brasilianer einen Knopf zum Vordringen in eine differenziertere schauspielerische Welt geöffnet haben, indem sich in seinem Gesicht die Begegnung mit Julia in der weiteren Folge als beglückendes erstes richtiges Liebes-Erlebnis und auch Zeichen des Kummers und der Nachdenklichkeit über ihre bedrohte Zweisamkeit wider spiegeln.
Die ebenfalls ihren Rolleneinstand feiernde Julia an seiner Seite ist Agnes Su, die in ihrer auch technisch locker unaufgeregten Art das Portrait eines an ihrer Liebe wachsenden Mädchens mit zwar noch etwas verhaltener Intensität, aber in allem Natürlichkeit wahrender Emotionalität zeigt. In weiteren Vorstellungen könnte sie genauso wie ihr Partner darstellerisch reifen.
Temperament und Gestaltungskraft: Ciro Ernesto Mansilla (Mercutio) . Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
Dass Ciro Ernesto Mansilla als Mercutio eine goldrichtige Besetzung ist, war von dem Argentinier mit ausgeprägtem Theater-Instinkt und manchmal kaum zu bändigem Temperament zu erwarten. Er bleibt auch in den schnell bewegten Ensemble-Szenen immer sichtbar, reflektiert das Geschehen mit reicher Gestik und Mimik, und ist das beste Beispiel, dass eine totale Verkörperung auch die oder andere Linien-Freizügigkeit zulässt. Die Sterbeszene lädt er mit gut dosierten Details bis zum Exit spannend auf. So überschäumend (mit eingelegten Handstand-Überschlägen) seine tänzerische Hingabe, so spontan und doch wohl überlegt ist seine Gestaltung.
Edoardo Sartori ergänzte als Benvolio das Freundes-Trio aus dem Hause Montague speziell im Pas de trois mit durchaus nicht zurück stehender Kapazität in den Drehsprüngen und solidem spielerischem Engagement. Martino Semenzato stellte wieder einen Tybalt auf die Bühne, dem die Freude am Stunk-Machen ins Gesicht geschrieben ist. Fabio Adorisio ist ein charakterstarker, nicht bloß nobler Graf Paris.
In der darauf folgenden Vorstellung stand Solist Henrik Erikson nach einer Verletzungspause im Mittelpunkt des Geschehens und legte seinen ersten Romeo mit unterschwellig noch spürbarer Vorsicht und Konzentration an, ohne aber wesentliche Punkte im technischen und interpretatorischen Ablauf vermissen zu lassen. Rein choreographisch betrachtet wahrt er in allem eine mühelos klare Form., in der Entwicklung der Rolle gelingen die Stimmungswechsel indes noch etwas zu abrupt wie in der plötzlichen Entschlusskraft zur Rache für Mercutios Tod. Der bislang als äußert durchdachter Schauspieler aufgefallene Tänzer benötigt nun weitere Gelegenheiten, diese Komponente auszubauen, was ihm leider vorerst nicht gegeben ist.
Letzte Liebesnacht: Mackenzie Brown (Julia) und Henrik Erikson (Romeo). Foto: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
Als adäquater Partner bewies er sich indes für Mackenzie Brown, die nach ihrem Rollendebut vor vier Wochen noch auf der Bühne zur Ersten Solistin ernannt wurde. Die für diesen Status noch sehr junge Amerikanerin ist in der Tat ein außergewöhnliches Talent in der Verbindung von technischer Sicherheit und einer Verbindung aus jugendlicher Frische und durchaus schon vorhandener menschlicher Reife. Julias Wachsen in ihrer Liebe zu Romeo vollzieht sie mit der gleichen Situation wie ihr Partner und äußert sich auch in ihrem vertrauensvollen Fallenlassen in den Pas de deux.
Einen äußerst finsteren Tybalt mit heftigen, individuell angelegten Aufbäumungs-Versuchen nach dem tödlichen Schwertstreich stellt Adrian Oldenburger auf die Bühne. Matteo Miccini wiederholte seinen strahlend quirlig präzisen Mercutio, Alessandro Giaquinto seinen kumpelhaft ehrlich, technisch diesmal etwas nachhängenden Benvolio. Clemens Fröhlich seinen freundlich gesonnen um Julia bemühten Graf Paris.
Alternativ zu den von der WA bewährten Zigeunerinnen warfen am 17.11. Alicia Torronteras, Juliane Franzoi und herausragend Mizuki Amemiya ihr tänzerisches Temparement in die Waagschale.
Mikhail Agrest schaffte es mit dem diesmal in den Bläsern hin und wieder etwas unkonzentrierten Staatsorchester Stuttgart Prokofieffs treffgenau schildernde Musik in ihrer ganzen Bandbreite zwischen rhythmischer Härte und flächigen melodischen Passagen mit dynamischem Pinselstrich zu entfalten. Das ist im Ballettalltag keine Selbstverständlichkeit.
Udo Klebes