Stuttgarter Ballett
„DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG“ 6.+ 9.5. – Unerschöpfliches Ballett-Komödien-Reservoir
Leidenschaft und Sprung-Emphase: Ciro Ernesto Mansilla als Petrucchio im 1.Akt. Copyright: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
Lange hat es diese Spielzeit gedauert bis Ciro Ernesto Mansilla wieder in einer großen Rolle zu erleben war. Der leider viel zu wenig eingesetzte Solist mit Format fürs Erste Fach hat sich bereits bei seinem Debut als Petrucchio am Ende der letzten Saison als idealer Interpret erwiesen. Als ob all die während der langen Wartephase aufgestaute Emphase und Leidenschaft explodieren würde, warf er sich jetzt mit einer Lust und Leidenschaft in die rundum herausfordernde, in ihrer Gesamtwirkung aber auch äußerst dankbare Rolle des Katharinas Herz mit vielen Kämpfen der List und des harten Prüfens erobernden Edelmanns. Mansilla wahrt ihm trotz einiger legitimer Grobschlechtigkeiten die Würde und den Stolz eines Mannes seines Standes. Er setzt sowohl in kräftigen Sprüngen, rasant gesteigerten Drehungen und im Geschick der komplizierten Hebeaktionen einen hohen Maßstab, spart nicht am Ausspielen teils halsbrecherischer Aktionen und trifft wohl auch deshalb ins Herz, weil er sich auch einige kleine Nachlässigkeiten zugunsten spontaner Einfälle gestattet.
Da seine gemeinsame Debut-Partnerin vom letzten Jahr die Compagnie inzwischen verlassen hat, wurde er nun mit Anna Osadcenko konfrontiert. Seine stürmisch erfrischende Ader forderte die erfahrene Tänzerin sichtlich so belebend heraus, dass sie die Entwicklung von der Kratzbürste zur liebenden Ehefrau mit viel erhellender Mimik mehr sichtbar werden ließ als in früheren Aufführungen. Auch rein choreographisch zeigt sich die langjährige Erste Solistin voll auf dem Posten und schont sich keinem Moment ihrer raubeinigen Attacken.
Bei Agnes Su kommt das Kämpferische als wesentlich jüngerer Tänzerin geschmeidiger, wie eine Wildkatze zum Tragen. Mit Leichtigkeit und ganz im rhythmischen Einklang mit der Musik wirft sie sich in alle Verteidigungsstellungen und schwungvoll ineinander verketteten Hebungsaktionen. Ihre Wandlung ist als Auftauen und Gefühlserwachen im Bewegungsgestus und Gesicht transparent ablesbar. Ausgangspunkt dafür ist der bei aller männlichen Macho-Potenz gefühlvoll fröhliche und nun auch an Spielfreude gewonnene Petrucchio in Gestalt von Adhonay Soares Da Silva. Damit wurde der Brasilianer jetzt auch zu einem ernst zu nehmenden Partner in Gestaltung und technischem Können. Letzteres spielte er erwartungsgemäß in den beiden Soli mit ihren eruptiven Sprung- und Drehkombinationen aus, während in der finalen Coda-Runde das Timing zur Musik nicht so richtig klappen wollte.
Über Marti Fernandez Paixa als Lucentio kann nichts Treffenderes formuliert werden wie das Beispiel eines ganz in sich selbst ruhenden, technisch und gestalterisch glänzenden Künstlers. Besonders seine federleicht, wie aus dem Nichts absolvierten Hebungen sind ein Hingucker. Veronika Verterich hat sich zu einer inzwischen gelösteren, spielerisch aufgetauten Bianca mit höchst zuverlässiger Spitzen-Technik entwickelt. Beider Pas de deux: ein Traum an Harmonie, in dem die Zeit stehen zu bleiben scheint.
Mackenzie Brown ist als Bianca eine Frohnatur gekoppelt mit souveränster Technik, Daniele Silingardi ein zunächst etwas ernster, dann sein Glück umsomehr verstrahlender und wiederum klassisch sicher versierter und locker partnernder Lucentio
Köstlich einfallsreiches Trio: v.l. Martino Semenzato (Hortensio), Marti Fernandez Paixa (Lucentio) und Alessandro Giaquinto (Gremio). Copyright: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
Sein Sinn für komische Charaktere lässt Alessandro Giaquinto als liebenswert tolpatschiger Gremio immer wieder neue köstlich abgewandelte Details zwischen „Gesangsständchen“ und erzwungenem Ehejoch zu Tage fördern. Christopher Kunzelmann zeigt eine etwas snobistischere Variante des Gecken mit wiederum anderen spontanen Ideen im Konflikt mit seinem Umhang und später mit Schal. An beiden Abenden kontrastiert dazu Martino Semenzato als ein eitler Musiker Hortensio, der sein durch Katharinas Kinnhaken verschoben geglaubtes Profil die ganze Aufführung über mit erhobenem Kopf zu korrigieren können meint.
Als schließlich zu Ersatz-Heiratskandidatinnen für die sonst leer ausgehenden Bianca-Anwärter werdenden beiden Freudenmädchen lassen sowohl Elisa Ghisalberti und Daiana Ruiz sowie Vittoria Girelli und Alicia Torronteras keine Gelegenheit aus Crankos komödiantische Vorlage genüsslich auszuspielen.
Matteo Crockard-Villa bewährt sich als Profit gieriger Wirt und salbungsvoller Priester, Ballettmeister Marc Ribaud als immer wieder um Fassung ringender Vater Baptista.
Zusammengefunden: Agnes Su (Katharina) und Adhonay Soares Da Silva (Petrucchio). Copyright: Roman Novitzky/Stuttgarter Ballett
An der Spitze des Corps de ballets, die als Nachbarn, Faschings- sowie Hochzeitsgesellschaft stimmig ins Geschehen integriert sind, stehen 3 Paare im Pas de six sowie Petrucchios blödelndes Diener-Quartett.
Wie sehr sich der Witz in Kurt Heinz Stolzes nach Domenico Scarlatti-Sonaten arrangierter Musik spiegelt bzw. entsprechende Signale von dort ausgehen, ließ das Stuttgarter Staatsorchester unter der beflügelten Leitung von Wolfgang Heinz diesmal mit erfreulich viel Exaktheit und Pointierung hörbar werden.
Udo Klebes