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STUTTGART/ Studiotheater: WOYZECK von Georg Büchner. Spiel mit Zeitebenen

28.01.2023 | Theater

Georg Büchners „Woyzeck“ am 27.1.2023 im Studiotheater/STUTTGART

Spiel mit Zeitebenen

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Foto: Studiotheater

Woyzeck lebt als einfacher Soldat mit Frau und Kind in ärmlichen Verhältnissen. Um seine Familie zu versorgen, muss er weiteren Arbeiten nachgehen und stellt sogar der Frau Doktor seinen Körper für ein wissenschaftliches Experiment zur Verfügung. Als seine Frau mit einem höher gestellten Militär ein Verhältnis anfängt, gerät er immer tiefer in einen Eifersuchtswahn, der schließlich in die Katastrophe führt.

In der Regie von Christof Küster wird das Geschehen teilweise geschickt in unsere moderne Welt übertragen, wobei der Büchnersche Text jedoch weitgehend erhalten bleibt. Es ist ein raffiniertes Spiel mit verschiedenen Zeitebenen. Dabei erklingt auch zeitgenössische Musik von 9 Lazy 9, Quintron, Zapfenstreich, FuLi, Methruyou, Marcin Przybylowicz und Parov Stelar. Man zitiert verschiedene Stimmen zu „Woyzeck“ im Programmheft: „Ich fand Woyzeck scheiße, aber ich musste das lesen. Es gehört zur deutschen Literatur dazu…Ich musste mir den Film mit Klaus Kinski ansehen und das ist bis heute der schlechteste Film, den ich je gesehen habe...“ Auf der beengten Bühne von Maria Martinez Pena (die auch für die Kostüme verantwortlich ist) kommen die Vorgänge des Unterbewusstseins messerscharf zum Vorschein. So kann man Woyzecks Zwangsvorstellungen immer wieder gut nachvollziehen. Diskriminierung, sexuelle Inhalte, Femizid, Gewalt, Wahnvorstellungen und Alkohol, Blut sowie Schimpfworte vermischen sich hier zu einem bestürzenden Sammelsurium, das das Geschehen nachhaltig prägt. Dass dieses Stück allerdings den Expressionismus beeinflusst hat, kommt in Christof Küsters Inszenierung gut zum Vorschein. Insbesondere die Videosequenzen bei der Ermordung Maries durch Woyzeck, die „Blut“-Szene im Wirtshaus und Woyzecks Suizid im Teich werden alptraumhaft dargestellt. Man denkt dabei wiederholt auch an Alban Bergs Oper „Wozzeck“. Realität und Fiktion vermischen sich, schwimmen zuletzt in einem netzartig dargestellten Gewässer in beklemmender Weise davon.

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Foto: Studiotheater

Die Aufführung besticht vor allem durch hervorragende schauspielerische Leistungen. Dies gilt für Lukas Ullrich als Franz Woyzeck ebenso wie für Paulina Pawlik als Marie Zickwolf. Und auch Boris Rosenberger als höhnischer Rivale und Tambourmajor gewinnt immer mehr Profil. Schirin Brendel brilliert als hysterische Frau Doctor, die Woyzeck zu einem Versuchskaninchen macht. Bei Büchner ist dieser sadistische Doktor ja eigentlich ein Mann. Sebastian Schäfer ist Woyzecks Kamerad Andres, der hilflos zusehen muss, wie dieser untergeht. Karlheinz Schmitt spielt sehr wandlungsfähig den pedantisch-tyrannischen Hauptmann. Selbst der Einfluss von Reinhold Lenz („Hofmeister“, „Soldaten“) ist bei dieser Inszenierung spürbar. Woyzeck ist hier ein Ohnmächtiger und Hilfloser, der verzweifelt gegen die Gesellschaft rebelliert. Und auch die geradezu karikaturistische und satirische Zeichnung der Umwelt kommt nicht zu kurz. Da wird sogar telefoniert und es surrt immer wieder die Filmkamera. An der hinteren Wand gehen Klappen auf, man erkennt einen Affen- und Pferdekopf und nimmt Gliedmaßen wahr. Manches erinnert auch an den Maler George Grosz. Der magische Realismus in Deutschland bis 1933 wird sichtbar. Lukas Ullrich macht deutlich, dass Woyzeck bei der Ermordung Maries vor allem auch gewalttätig gegen sich selbst ist. Er ist nicht in der Lage, sich gegenüber Andres und Marie verständlich zu machen. Die Schläge des Tambourmajors heizen seine Aggressionen noch zusätzlich an. Da besteht auf der bebenden Bühne dann tatsächlich Explosionsgefahr. Die Störungen der Psyche werden bei dieser Inszenierung gekonnt seziert, auch wenn manche Szene in ihrer verwirrenden Vielfalt ausufert. Der Motivkomplex „Messer“ und „Tod“ wird in den Videsequenzen ebenfalls suggestiv dargestellt. Die Bilder brennen sich ins Gedächtnis des Zuschauers, der bis zum Schluss von den Geschehnissen gefesselt ist.

Alexander Walther

 

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