Premiere von „Im Unterland“ am 27.4.2022 im Studiotheater/STUTTGART
Schöpfung und Bewahrung
Foto: Stephan Haase
Unter dem vielsagenden Motto „KlimACT!“ stehen die Theaterwochen im Studiotheater. Damit wird der rasante Klimawandel auf der Erde beleuchtet. Den Auftakt macht das Stück „Im Unterland“ nach dem Sachbuch von Robert Macfarlane. In der Regie und Textfassung von Christof Küster überzeugen Sebastian Schäfer (auch Keyboardspiel) und Karlheinz Schmitt als einfühlsame Schauspieler bei diesem facettenreichen Stück. Bühne und Kostüme von Maria Martinez Pena geben die Sicht auf eine mit Kabeln übersäte Bühne frei, die Videosequenzen einschließt. Aus der Tiefe steigen hier Schätze auf, die Reichtum verheißen. Die Rede ist auch vom Totenreich, wo die menschliche Gier beginnt und endet. Das Stück schildert den Weg, als Robert Macfarlane sich aufmacht, jene Orte zu suchen, die uns bis in unsere Alpträume verfolgen. Christof Küster hat daraus einen spannenden Theaterdialog gemacht. Die Geschichte in diesem Sachbuch erzählt von einer abwechslungsreichen Expedition durch Höhlen, Gletscherspalten und Tunnel. Hier wird die Kommunikation der Bäume durchforscht. Und die Protagonisten bereisen das erste atomare Endlager in Finnland. Dabei erleben sie in einer der kältesten Regionen der Welt die Eisschmelze. Die Schönheit des Verborgenen wird hier mit dem unerforschten und unfassbaren Reichtum unter der Erde verbunden. Man erkennt dabei, dass man auf einer ruhelosen Erde lebt, wo geheimnisvolle Militärstützpunkte an den kalten Krieg erinnern. Viele Kabel werden dabei immer wieder zusammengebunden. So begegnet man dem unfassbaren Reichtum unter der Erde. Der gigantische Klimawandel und der gnadenlose Raubbau an der Natur wird so sichtbar. Auch die fesselnde Situation unter dem Meer wird von den beiden Darstellern präzis beobachtet. Der Mond wirft seine Schatten auf den Boden, Penisse werden auf Steinwände gekritzelt. In einem Weltuntergangsschutzraum hortet man 90 Millionen Samen, die einen eventuellen Atomkrieg überleben sollen. Ein geheimnisvolles Netzwerk vereinigt dabei die Bäume. Man spricht vom „Baumknutschen“ – also vom Küssen zwischen den Bäumen. Die Natur wird also immer wieder genau betrachtet – und dies nicht nur von einem Botaniker, der seinen Doktortitel an der Universität Cambridge absolviert hat.
Die besondere Ausstrahlungskraft liegt auch am speziellen Betrachtungswinkel. Umwelt, Natur, Schöpfung und Bewahrung stehen im Zentrum der Handlung. Experimente werden mit betrunkenen Affen gemacht, die in einen Eimer pinkeln. Man rasiert Hummeln, um Schilder anzukleben. Schneegänse wirbeln durch die Luft – und Karlheinz Schmitt zieht sich seine Expeditionsrüstung an, um die Geheimnisse der Welt zu erobern. Donnerschläge hallen durch den Ozean. Der Kampf gegen die Ölfirmen beginnt – man sieht die Ereignisse auch auf einem Monitor. Der Forscher rutscht plötzlich in den Gletscher, es kommt zu gefährlichen Situationen. Die Inselspitze ist zugefroren. Man macht Witze über eine Nachbildung von Albert Einstein. Es gibt auch Assoziationen zu Edvard Munchs Bild „Der Schrei“. Wüstenwinde rauschen in d-Moll heran. Musik und Sprache bilden immer wieder eine Einheit.
Das Sachbuch von Robert Macfarlane hat übrigens den NDR Kultur-Sachbuchpreis erhalten. Die Theaterfassung von Christof Küster ist eine gelungene Adaption von Macfarlanes Arbeit.
Alexander Walther