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STUTTGART/ Studiotheater: GIRLS & BOYS von Dennis Kelly – Psychogramm einer verletzten Frauenseele

17.03.2022 | Theater

„Girls & Boys“ von Dennis Kelly am 16. März 2022 im Studiotheater/STUTTGART 

Psychogramm einer verletzten Frauenseele

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Sabine Fürst. Foto: Stephan Haase

Das Stück des britischen Dichters Dennis Kelly reflektiert eine verletzte Frauenseele, der die Darstellerin Sabine Fürst in eindringlicher Weise Leben verleiht. Um ihren seelischen Aufruhr zu beruhigen, streicht sie fortwährend Wände an.  Es geht hier um die Mutter zweier heranwachsender Kinder, die sich aus einfachen Verhältnissen aus eigener Kraft beruflich und sozial nach oben gearbeitet hat. Die Regie von Benjamin Hille konzentriert sich ganz auf die Hauptdarstellerin. Und die Ausstattung von Leonie Mohr und Hannes Hartmann unterstreicht eher die bedrückende Stimmung des Geschehens mit fahler Schlichtheit. Nach einer sexuellen Sturm- und Drang-Phase verliebt sie sich in der Warteschlange  des Easy-Jet-Schalters in einen seltsamen Mann, der ihr zunächst nicht sonderlich attraktiv erscheint, sie dann aber doch durch seine Schlagfertigkeit beeindruckt: „Der Sex war unfassbar!“ Gemeinsam starten sie in ein neues Leben.

Im Stück wird auch der Frage nachgegangen, was es bedeutet, dass unsere Gesellschaft von Männern für Männer errichtet wurde. Wann etwa „toxische Männlichkeit“ in einer Katastrophe enden kann, beschreibt dieser Monolog. Und es gelingt der facettenreichen Darstellerin Sabine Fürst, auch die sehr negative Entwicklung dieser Beziehung in bewegender Weise darzustellen. Man erfährt, dass die kleine Lina bereits Baupläne für New Yorker Wolkenkratzer entwirft, während der Sohn  Benni vor allem an deren Zerstörung interessiert scheint. Schließlich werden beide Kinder vom Ehemann der Frau erstochen und die Handlung steuert auf einen tragischen Höhepunkt zu. Es wird dabei auch der Frage nachgegangen, was Männer und Frauen in unserer Gesellschaft ausmacht und voneinander unterscheidet: „Wir haben diese Gesellschaft nicht für Männer geschaffen, sondern um ihnen Einhalt zu gebieten.“ In Sabine Fürsts suggestiver Darstellung kommt der sarkastische und funkelnde Witz der Protagonistin grell zum Vorschein. Sie ist frei von Selbstmitleid und erzählt emotional packend von ihrem schweren Schicksal. Denn ihr Mann unternimmt zuletzt noch einen Selbstmordversuch, den er überlebt. Doch beim zweiten Suizidversuch mit einem Esslöffel stirbt er schließlich, nachdem sie ihm letztendlich noch vorgeworfen hatte, dass seine Reue aufgrund der schrecklichen Taten nicht ausreiche. Auch die Schlichtheit des Lebens ohne Mann und Kinder vermag Sabine Fürst  hier sehr plastisch zu verdeutlichen. Wut, Trauer und Verhaltenheit gehen so nahtlos ineinander über. Das verstörende Stück ist auch ein Beitrag zur weltweiten „Me too“-Debatte. Manche Fragen werden jedoch nicht beantwortet. Das Bild vom Mann als Jäger, Krieger oder Brotverdiener ist zwar immer noch aktuell, hat hier aber deutlich an Wert verloren. Statt dessen philosophiert sie über Marie Antoinette, Margaret Thatcher und Vlad, den Pfähler.

Alexander Walther

 

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