Premiere „fort schreiten“ von Konstantin Küspert am 18. Oktober 2024 im Studiotheater/STUTTGART
Science- fiction mit Gott
Foto: Stefan Haase
Hier wird sogar die Bibel zitiert: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde…“ In Konstantin Küsperts Science-Fiction-Stück „fort schreiten“ ist die Menschheit zu weit gegangen und hat den Bogen eindeutig überspannt. Sie muss von dem als unbewohnbar geltenden Planeten Erde evakuiert werden. In der Inszenierung von Nadine Klante und der opulenten Ausstattung von Michaela Springer befinden wir uns tatsächlich im Weltall und erkennen einige Planeten. In diesem letzten großen Schritt wird die Menschheit auf dem Generationenschiff GRANDA PASO zu einem neuen Planeten fahren, der auch bewohnbar ist. Hitzewellen, Missernten und Stürme sind endgültig vergessen. Proxima Centauri B heißt dieser Hoffnungsträger, der den Menschen eine neue Zukunft geben soll.
Die Schauspieler Bjön Luithardt, Angela Neis und Uwe-Peter Spinner agieren hier teilweise als Gott. Caroline Sessler mimt nicht ohne Ironie die Kommandantin Alix der Granda Paso und Tobias Wagenblaß ist der Gewerkschaftsvertreter Ponto. Doch irgendetwas stimmt an dieser obskuren Menschheitsgeschichte nicht. Man wird nämlich mit den technologischen Errungenschaften nicht fertig. Schließlich tritt auch noch Carl Benz auf und hält einen köstlichen schwäbischen Monolog über Autos und das Autofahren. Da der Bauplan fehlerhaft ist, gelingt das Voranschreiten nur schwer. Am Segen der menschlichen Innovationskraft hängt offensichtlich ein Fluch. Der Erde droht die Kollision mit einem unbekannten Asteroiden. Wie kann man als Mensch überhaupt sinnvoll voranschreiten? Diese Frage steht offen im Raum.
Foto: Stefan Haase
Mit schwarzem Humor wird hier immer wieder die wechselvolle Geschichte der Menschheit beleuchtet. Begleitet werden die Protagonisten von KIM, einer künstlichen Intelligenz, die Angela Neis selbstvergessen und täuschend echt mimt. Die Crew steht hier wie im „Raumschiff Enterprise“ wirklich vor einem Neustart. KIM ist dafür programmiert worden, diese Mission zu einem Erfolg zu führen. Dazu hört man dann sogar Musik aus „Carmina Burana“ von Carl Orff und den verpopten C-Dur-Beginn der Tondichtung „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss. Das sind sehr effektvolle Momente, obwohl manchmal der rote Faden fehlt. Monokultur und Massentierhaltung bleiben die spannenden und großen Themen, die die Welt hier immer wieder bewegen. Caroline Sessler steigert sich dabei als Mathematikerin und Visionärin immer mehr hinein. Zuletzt wird die Geschichte der Bibel einfach auf den Kopf gestellt: „Und Gott sah, dass es nicht gut war…“
Der Herr der Schöpfung möchte einen Neubeginn wagen, aber ohne Menschen. Vielleicht hilft auch der Asteroid weiter, der sich auf Kollisionskurs zur Erde befindet. Viel Ironie und beissender Spott machen den besonderen Zauber dieses Stücks aus, das beim Publikum bestens ankam. So gab es zuletzt viele „Bravo“-Rufe.
Alexander Walther