Foto: Daniela Aldinger
„Die Schulz-Story – ein Jahr zwischen Höhenflug und Absturz“ am 5.4. 2019 im Studiotheater/STUTTGART
SCHWARZER MONTAG FÜR DIE SPD
Wie ein Politiker in einem Jahr vom Heilsbringer und Messias zum einfachen Abgeordneten wird, davon erzählt die „Schulz-Story – ein Jahr zwischen Höhenflug und Absturz“ nach dem „SPIEGEL“-Bestseller von Markus Feldenkirchen. Markus Feldenkirchen hat den SPD-Politiker Martin Schulz intensiv begleitet. Der Regisseur Christof Küster lässt die Zuschauer in der fantasievollen Ausstattung von Maria Martinez Pena hinter die Kulissen schauen. Zwischen Fotoarchiven und Fernsehstudios hetzt Sebastian Schäfer als Martin Schulz immer wieder wandlungsfähig und atemlos hin und her. Der Zuschauer erkennt vor allem, welche Macht und welcher Einfluss die Meinungsforschung wiederholt auf politische Entscheidungen hat. Man sieht jedoch auch, wie ein fähiger Menschen von der Politik und ihren Intrigen im Grunde genommen ruiniert wird. Denn Martin Schulz war seiner Rolle als Kanzlerkandidat trotz allem nicht gewachsen, der wachsende Protest der Parteimitglieder lässt ihn letztendlich zurücktreten. Für ihn ist diese Entwicklung aber auch eine Befreiung. Was gut zum Vorschein kommt, ist die eigentliche Tragödie der SPD: Sie kann sich nicht von der übermächtigen CDU befreien, wird regelrecht von ihr verschlungen.
Und trotzdem besitzt diese wunderbare Inszenierung einen unglaublichen Spielwitz, denn der für die Politik doch so wichtige Humor kommt hier glücklicherweise nicht zu kurz. Moritz Brendel als Markus Feldenkirchen versucht dabei als Autor seinem Protagonisten so nah wie nur möglich zu kommen. Schirin Brendel ist eine hervorragende Merkel-Darstellerin, die aber auch als hysterische Sekretärin und robuste Andrea Nahles Furore macht. So jagt ein Topthema in den Tagesthemen das andere. Schulz wirft Bundeskanzlerin Angela Merkel sogar einen „Anschlag auf die Demokratie“ vor, was ihn strategisch jedoch keineswegs weiter bringt. Dafür sorgen auch Axel Krauße als Schulz-Kontrahent Sigmar Gabriel, Markus Engels und Hubertus Heil sowie Boris Rosenberger als Tobias Dünow, Torsten Albig und Frank Stauss. Brillant ist ebenfalls Gundi-Anna Schick als Natalie Hagemeister, Freund aus Brüssel und Inge Schulz, die den Perfektionswahn der Partei persifliert und in köstlicher Weise ad absurdum führt.
Überhaupt erhebt sich da die Frage, ob Martin Schulz nicht am übertriebenen Anspruchsdenken der Leute gescheitert ist. Zwischen absurden Interviews mit den Redaktionen von „Brigitte“ und „Bunte“ wird Schulz rettungslos aufgerieben und bloßgestellt. Der Medienzirkus geht ihm ungeheuer auf die Nerven, was Sebastian Schäfer ausgezeichnet verdeutlicht. Dieser innere Zirkel der Macht offenbart schwierige Lebensverhältnisse, denn Martin Schulz hat in all dem Trubel kaum noch Zeit für seine Frau Inge, die ihn trösten muss. Christof Küster entlarvt die Mediendemokratie mit ihren hohlen Phrasen und gescheiterten Wahlkampfstrategien als das, was sie ist: Ein fragwürdiges Modell, das „erhebliche Unruhe in der SPD“ auslöst. Der Zuschauer spürt auch, dass der Politiker Martin Schulz hier aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird. Diese spezielle Situation fängt die Inszenierung überzeugend ein. Das eine Lager fragte entsetzt, wie man es zulassen könne, dass Zweifel, Verletzlichkeit und Schwächen eines Spitzenpolitikers sichtbar werden. Das andere Lager fragte hingegen, warum man den Kandidaten Schulz nicht vor der Wahl schon so unverstellt und offenherzig habe erleben dürfen. Martin Schulz muss sich selbst Vorwürfe wegen „Diffamierung der Golfspieler“ gefallen lassen. Ihm bleibt nichts erspart, seine Kanzlerkandidatur wird zunehmend zum verletzenden Spießrutenlauf.
Die Inszenierung nimmt seltsame politische Verhältnisse gnadenlos auf die Schippe, die „Aushöhlung der Demokratie“ schreitet unaufhaltsam fort. Man begreift aber auch, wie gut es Angela Merkel gelingt, scheinbar erfolgreiche Männer zu Fall zu bringen. Es erklingt Musik von Bläck Föös, Randy Newman, The Books, Franz Lambert, Klaus Wunderlich und Gilbert Becaud. Zuletzt erscheinen Schulz und seine Mannschaft ganz im Sinne der SPD mit roten Rosen. Neben Bearbeitungen nach Edith Piaf, Beatles, Rolling Stones ist zudem Wahlkampfmusik der SPD von Coldplay und Gloria zu hören. Schulz selbst erwähnt auch „Roland Kaiser“ als seinen Favoriten.
Das Publikum war von der Vorstellung begeistert.
Alexander Walther