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STUTTGART/ Studientheater: HEISENBERG – ein Reiz-Reaktion-Spiel – am 25.Mai 2018
EIN REIZ-REAKTION-SPIEL
„Heisenberg“ von Simon Stephens am 25. Mai 2018 im Studiotheater/STUTTGART
Als Metzger ist der von Stefan Viering einfühlsam und virtuos dargestellte Alex Priest ausgesprochen feinsinnig. „Ich mag die Tiere“, sagt er. „Tiere haben Nähte“. Lisa Wildmann spielt hier sehr emotional und bewegend Georgie Burns, die den allein lebenden 75jährigen am Londoner Bahnhof St. Pancras in den Nacken küsst und dadurch in ein Gespräch verwickelt. Sie ist über seinen Metzger-Beruf überrascht und hält ihn eher für einen Professor. „Wenn man etwas intensiv genug beobachtet, begreift man, dass man unmöglich sagen kann, wohin es sich bewegt und wie schnell es dorthin gelangt“, bemerkt sie. Ihr Sohn ist untergetaucht – und die 42jährige hat diesen Verlust nicht verkraftet. Georgie beginnt nun in der subtilen Regie von Benjamin Hille und in einer kargen Umgebung mit Plattenspieler (Bühne und Kostüme: Leonie Mohr, Hannes Hartmann), ständig neue Versionen ihrer Identität für Alex zu entwerfen. Er lenkt sie vom Verlust ihres Sohnes ab. Seine Wohnung und ihr Büro als Grundschul-Sekretärin wechseln facettenreich ab, denn es wird ständig das Licht ausgeknipst. Der britische Dramatiker Simon Stephens bezieht sich in „Heisenberg“ auf den gleichnamigen deutschen Physiker, dessen Unschärferelation die Grundlage der „Kopenhagener Deutung“ der Quantentheorie wurde. Zwei äusserst gegensätzliche Elemente begegnen sich hier und versetzen sich gegenseitig in Schwingungen.
Von diesen elektrisierenden Schwingungskräften war auch im Studiotheater in Stuttgart viel zu spüren, denn das ausgeklügelte Reiz-Reaktions-Spiel zwischen den Personen nahm immer präzisere Formen an. „Ich mag Messer“, bemerkt Alex lakonisch. Aber er liebt auch die Musik Johann Sebastian Bachs und philosophiert über den Kontrapunkt und die Kompositionstechnik des Barock. „Ich bin viel zu alt, um eine Freundin zu haben“, stellt Alex Priest ernüchtert fest. Und obwohl Georgie mit ihm schlafen möchte, kommt es nicht richtig dazu – trotz Rotlicht-Aura und Schummer-Beleuchtung. Schließlich tanzen die beiden in durchaus erotischer Weise Tango. Georgie fordert von Alex schließlich Geld, was bei diesem einen Wutanfall auslöst. Die Lebensgeschichten der beiden kreuzen sich und nehmen so immer wieder eine andere Wendung, was in der Inszenierung gut verdeutlicht wird. Die beiden Personen agieren wiederholt wie Schachspieler, die sich gegenseitig manipulieren. Alex gibt Georgie letztendlich das Geld, wobei nicht sicher ist, ob er das wirklich aus Liebe oder doch nur aus Berechnung tut. Dennoch nähern sich die beiden immer mehr einander an, was Benjamin Hilles Regie klar macht. Diese berührende Form der gegenseitigen Annahme wird bei dieser geglückten Kammerspiel-Inszenierung nie geleugnet.
Jubel und starker Schlussapplaus.
Alexander Walther