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STUTTGART/ Stiftskirche: BACHS „MATTHÄUS-PASSION“ mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben und Handel’s Company Orchester für Alte Musik

25.03.2024 | Konzert/Liederabende

Bach Matthäus-Passion am 24.3.2024 mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben in der Stiftskirche/STUTTGART

Vollendeter formaler Aufbau

 Für Karfreitag 1729 schrieb Johann Sebastian Bach seine „Matthäus-Passion“ BWV 244 und arbeitete sie dann noch dreimal um. Der vollendet ausgewogene Aufbau dieses Meisterwerks kam in der Aufführung mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben sowie Handel’s Company Orchester für Alte Musik unter der Leitung von Rainer Johannes Homburg in bewegender Weise zum Vorschein. Die menschlichen Züge der Heilandsfigur traten hier deutlich hervor, was ja in der „Johannes-Passion“ weniger der Fall ist. Trotz der zugespitzten Dramatik war kein Missverhältnis zur Lyrik zu spüren. Der doppelchörige Glanz blieb immer leuchtkräftig hörbar. Leidvoll erregt wogten die Klanglinien beim Chorbeginn „Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen“ auf und nieder. Es war ein unruhiger Klagegesang voll innerer Glut, den die  Stuttgarter Hymnus-Chorknaben hier anstimmten. Die Cantus-firmus-Elemente waren beim ständigen Auf- und Abwogen stets präsent. Der gewaltige Doppelchor des Chorals „O Lamm Gottes unschuldig“ verfehlte seine Wirkung nicht. Mit stillen Episoden setzte der Passionsbericht ein, wieder unterbrochen von ausdrucksvollen Chorälen, scharf charakterisierenden Chören und den Christus-Worten, die milde aufleuchteten. Warme Streicherakkorde der frühen venezianischen Oper des 17. Jahrhunderts bildeten hier das Fundament. Marion Eckstein (Alt) gestaltete wunderbar ausgewogen die Arie „Buß und Reu“ mit melancholischen „Seufzern“. Jutta Hochörtler (Sopran) gab der Arie „Blute nur“ klagenden Charakter, der den Verrat des Judas vor den Hohenpriestern eindringlich beschrieb. In die weihevolle Abendmahlsszene  war wieder ein berührend gesungener Choral eingeblendet – und Jutta Hochörtler gestaltete dann filigran (begleitet von zwei Oboen d’amore) die G-Dur-Arie „Ich will dir mein Herze schenken.“ Während der Ölberg-Szene ertönte die ergreifend gestaltete Choralmelodie „Erkenne dich, mein Hüter“. Diese Melodie war übrigens die Lieblingsweise Bachs, Rainer Johannes Homburg intepretierte sie besonders eindringlich. Sehr  vielfältig spiegelte sich das Gethsemane-Bild bei dieser Aufführung am Palmsonntag. Der Chor der „Gläubigen“ begleitete seine ängstlichen Passagen furchtsam mit dem leisen Choral „Was ist die Ursach'“. Jesu Gebet klang dann berührend nach in der zweiten Arie, die der fulminante Bassbariton Kai Preußker sang. Der Choral vor der Gefangennahme „Was mein Gott will, das g’scheh‘ allzeit“ zeigte sich in geheimnisvollen Klangfarben.  Als Jesus gefesselt abgeführt wurde, klagten Sopran und Alt fassungslos „So ist mein  Jesus nun gefangen“. Stockend brachen die Gläubigen in die erregten Zwischenrufe „Lasst ihn, haltet, bindet nicht!“ aus. Da spitzte sich das dramatische Geschehen bei dieser Wiedergabe erheblich zu. Die Wut der Elemente tobte dabei gegen den Verräter: „Sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden?“ Der Chor mit seiner ernsten Klage „O Mensch, bewein‘ dein‘ Sünde groß“ bildete hier eine leidenschaftlich interpretierte, packende Fantasie über den gleichnamigen Choral. Den zweiten Teil eröffnete dann Marion Eckstein ergreifend mit der Arie „Ach, nun ist mein Jesus hin“, deren Situation Schweitzer so deutet, dass die klagende Tochter Zion ratlos suchend im nächtlichen Garten hin und her eilt, während der Chor der „Gläubigen“ ihr folgt und sie trösten will. Eine Choralmelodie schob sich in die Gerichtsszenen, die Martin Lattke (Tenor) als Evangelist elektrisierend schilderte. Bewegt vertiefte sich der Tenor Martin Lattke in die Episode der „falschen Zeugen“, seine Arie „Geduld, Geduld“ malte die beklemmende Situation aus. Höhnisch schrie das Volk seine gehässigen Spottrufe gegen den Angeklagten, das harmonische Gerüst verdichtete sich immer mehr.

Rainer Johannes Homburg hielt die Fäden der Themen und Motive jedoch souverän zusammen. Mystisch und herzzerreissend gestaltete Marion Eckstein (Alt) die Klage „Erbarme dich“. Ein Choral ließ diese Stimmung nachklingen.  Traumentrückt interpretierte Jutta Hochörtler die Sopran-Arie „Aus Liebe will mein Heiland sterben“. Gellend folgte  die Forderung „Lass ihn kreuzigen!“ Aus der motivischen Malerei der Geißelhiebe formte sich die melodische Linie der Alt-Arie „Können Tränen meiner Wangen“, die Marion Eckstein glutvoll sang. Wie in der Johannes-Passion züngelten entfesselte Urtriebe auf in den fanatischen Verhöhnungen des Gekreuzigten. Christoph Schweizer (Bass) interpretierte die Jesus-Worte immer wieder eindringlich. Voll realistischer Bildkraft schilderten die Worte des Evangelisten das Erdbeben. Rechthaberisch-erregt erklang der Chor „Herr, wir haben gedacht“. Besonders ergreifend erklang der Choral „Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir“ im Pianissimo. Die feine Struktur der Arien mit ihrer Da-capo-Form kam nicht zu kurz. Sie waren von bemerkenswerter Schlichtheit und Einprägsamkeit. Und der berührende Schlusschor „Wir setzen uns mit Tränen nieder und rufen dir im Grabe zu: Ruhe sanfte, sanfte Ruh!“ hallte noch lange nach. Als großer Grablegungsgesang war er in der Form der großen Da-capo-Arie eingebaut. Auch die ostinate Rhythmik der unisonospielenden Violinen stach deutlich hervor – wie überhaupt der gesamte Streicherapparat hier überaus präsent war. Als Konstrast zu diesem Ostinato erklang der schmerzlich erregte Klagegesang der Holzbläser und Singstimmen. Die unruhige Sechzehntel-Bewegung machte sich bemerkbar. Begeisterter Schlussapplaus für das gesamte Ensemble.

 

Alexander Walther

 

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