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STUTTGART/ Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO – Verwechslungen im Möbelhaus. Premiere

02.12.2019 | Oper

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Copyright: Staatsoper Stuttgart

STUTTGART/ Staatsoper: Premiere von Mozarts „Le nozze di Figaro“ am 1. Dezember 2019

Verwechslungen im Möbelhaus

Wie können wir zusammenleben? Diese Frage steht bei Christiane Pohles Inszenierung von Mozarts „Hochzeit des Figaro“ eindeutig im Mittelpunkt. Wir befinden uns in einem Verkaufsraum des schwedischen Möbelherstellers IKEA. Susanna und Figaro wollen heiraten. Das Problem ist nur, dass der Graf Almaviva, der seine Zustimmung zur Hochzeit geben muss, selbst ein Auge auf Susanna geworfen hat. Susanna ist der Gräfin Almaviva dienstlich und freundschaftlich verbunden. Gemeinsam versuchen sie, den Eifersuchtsanfällen des Grafen zu entgehen. Die Hochzeit von Susanna und Figaro soll arrangiert werden. Und auch um die gestörte Liebesbeziehung der Almavivas will man sich kümmern. Cherubino sorgt zusätzlich für Verwirrung, in dem er alles ad absurdum führt. Letztendlich finden dann aber die richtigen Paare zusammen.

Die Hochzeitsvorbereitungen von Figaro und Susanna stehen ganz im Mittelpunkt des Inszenierungskonzepts von Christiane Pohle (Bühne: Natascha von Steiger; Kostüme: Sara Kittelmann). Die seriell produzierten, stereotypen Lebensentwürfe bilden das Zentrum des turbulenten Geschehens. Allerdings ist der Handlungsverlauf bei diesem Regiekonzept recht gleichförmig, nur die Konstellationen des Bühnenbildes verändern sich immer wieder. Gegen Ende hin steigert sich der visuelle Eindruck, denn es gibt wiederholt Video-Einblendungen (Anna-Sophie Lugmeier), die sogar den Dirigenten zeigen. Normierte Wohneinheiten werden hier für die Menschen zu einem Lebensproblem. Das kommt recht plastisch zur Geltung. Alles wird von austauschbarer Massenware bestimmt, was die Protagonisten gleichzeitig heftig verwirrt. Die Zimmer scheinen so schon millionenfach bewohnt worden zu sein. Das persönliche Glück wird nur noch von kapitalistischen Interessen geprägt, was natürlich ein Problem ist. Gelegentlich tauchen geheimnisvolle und sogar metaphysische Momente auf – etwa dann, wenn sich im Hintergrund in einer riesigen Blase eine Art Lebensbaum mit großen Wurzeln in die Höhe bewegt. Das sind dann Szenen, die diese doch recht eintönige Inszenierung beleben. Sogar aus den berühmten „Bäsle“-Briefen Mozarts wird per Computerknopfdruck zitiert.

Allerdings vermisst man bei diesem Konzept einen tieferen Zusammenhang. Immerhin wurde das Stück von Beaumarchais sogar am französischen Königshof gespielt. Ein historischer Bezug hätte der Inszenierung nicht geschadet. Das Staatsorchester Stuttgart arbeitet unter der kompetenten Leitung von Roland Kluttig den komplexen Hintersinn und die Komik dieser Intrigenkomödie mit harmonischen Finessen heraus. Der sprudelnde Ausdruck der Ouvertüre könnte sogar noch lebendiger sein. Im Unisono der Streicher und des kecken Fagotts entwickeln sich die Piano-Spitzfindigkeiten wie von selbst. Verhaltene Bläserklänge führen dann zu einem jubilierenden Fortissimo-Ausbruch. Ein ständiges Auf und Ab gipfelt in einem bewegenden harmonischen Wogen, das sich reizvoll auf die Sänger überträgt. Sforzato-Momente führen zu ausgelassenem Wirbel. Die Höhen und Tiefen der Charaktere werden minuziös ausgeleuchtet. Die durchkomponierten Szenen der beiden großen Finale des zweiten und vierten Aktes besitzen starke formale Klarheit. Und die Ausgewogenheit zwischen Solonummern und Ensembleszenen kommt nicht zu kurz. Die Schönheit der melodischen Linienführung ist bei dieser Interpretation sogar noch steigerungsfähig.

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Foto: Martin Sigmund

Johannes Kammler (Bariton) überzeugt als Graf Almaviva mit einem psychologisch durchdachten Rollenporträt. Sarah-Jane Brandon (Sopran) zeigt als Gräfin Almaviva klare gesangliche Konturen und Strahlkraft. Noch leuchtkräftiger ist die durchaus reizvolle Susanna (Sopran) von Esther Dierkes, während der Figaro von Michael Nagl (Bass) ein überaus tragfähiges stimmliches Fundament bildet. Glänzend ist ferner der funkensprühend-feurige Cherubino von Diana Haller (Sopran), die das Geschehen wesentlich mitträgt. Helene Schneiderman (Mezzosopran) verleiht Marcellina facettenreiche klangfarbliche Tönungen. Insgesamt kann man sagen, dass die gesanglichen Leistungen die Qualität der Inszenierung weit überragen.


Esther Dierkes (Susanna), Michael Nagl (Figaro). Foto: Martin Sigmund

In weiteren Rollen gefallen noch Friedemann Röhlig als burschikoser Bartolo, Heinz Göhrig als Basilio, Christopher Sokolowski als Don Curzio, Claudia Muschio als Barbarina, Matthew Anchel als Antonio sowie Elisabeth von Stritzky und Teresa Smolnik als zwei Mädchen. Vlad Iftinca (Continuo, Hammerklavier) und Philipp Körner (Violoncello) bereichern das Staatsorchester. Unter der souveränen Leitung von Bernhard Moncado bietet der Staatsopernchor wieder einmal Bestleistungen. Wechsel der Motive und strukturelle Dynamik fördern bei dieser Wiedergabe eine geradezu befreiende Beweglichkeit der klanglichen Konstellationen. Die Sänger stellen hervorragend den bewussten Eigenimpuls der Gefühle heraus. Die Verwirrung und Beschämung des Grafen manifestiert sich in Motiven von fliegender Unruhe und Hektik. Roland Kluttig betont mit dem Staatsorchester aber auch das Drängen nach Versöhnung. Susannas Hervortreten führt dann zu rhythmischen Entwicklungen, die an das „Don Giovanni“-Menuett erinnern. Und der furiose Streit zwischen Graf und Gräfin verdeutlicht sich in einem mächtigen Unisono-Anstieg. Und im C-Dur-Andante kommt es zu reizvollen Klangverfärbungen, als sich Susanna und die Gräfin zunächst auf die Seite des Grafen schlagen. Diese ungemein bewegliche Dialektik kommt bei dieser Aufführung wesentlich besser zum Ausdruck als in der Inszenierung. Sarah-Jane Brandon verleiht der Es-Dur-Cavatina der Gräfin betörenden Schmelz. Die Ensemble-Szenen sind immer wieder das Herzstück dieser Vorstellung. Sie trösten über die vielen Schwachstellen der Inszenierung hinweg, die nur für die Chorszenen wirklich tragfähige und packende Lösungen bietet.

So gab es zuletzt „Bravo“-Rufe für die Sänger, das Staatsorchester und den Dirigenten – aber auch für den Staatsopernchor. Das Regieteam musste jedoch „Buh“-Rufe einstecken.   

Alexander Walther

 

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