Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/ Staatsoper: WERTHER von Jules Massenet – konzentriert auf engem Raum. Premiere

12.07.2021 | Oper international

Bild
Foto: Twitter

Premiere „WERTHER“ von Jules Massenet am 11.7.2021 in der Staatsoper/STUTTGART

Konzentriert auf engem Raum

Johann Wolfgang von Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ aus dem Jahre 1775 ist als dem Suizid eines Bekannten nachempfundenes Selbstmordprotokoll bekannt. Der Franzose Jules Massenet interpretierte diesen Text mehr als 100 Jahre später nochmals neu. Bei ihm wird Werther zum Emotions-Terroristen, auf dessen Versprechen eines anderen Lebens sich Charlotte gefährlich weit einlässt. Der Regisseur Felix Rothenhäusler erklärt, dass Massenet in seiner Oper alles direkter mache, er stelle Werther heraus, lasse die Figuren in ihrer Vereinzelung aufeinanderprallen. Diese Oper sei die radikal werdende Liebesemphase. Sie wolle nichts sein als das und entwerfe darüber hinaus kein soziales Tableau, es gebe nichts als das Verlangen, das radikale Suchen nach einer einzigen Gestalt.

Allerdings wird dieser Sachverhalt in der Inszenierung nur angedeutet. Denn eigentlich handelt es sich hier eher um eine konzertante Aufführung, wobei ein Bodenrondell  in weißem Halbrund im Zentrum steht.  Ganz im Hintergrund auf der Bühne agiert das Staatsorchester. Alles konzentriert sich auf einen engen Raum. Kinder und Jugendliche sitzen dabei teilweise im Publikum, gehen langsam auf die Bühne. Ein Security-Mitarbeiter ist ebenfalls mit von der Partie. Später folgen noch Erwachsene nach. Der unglückliche Werther erscheint immer wieder mit einem Blumenstrauß – gerade so, als wolle er Charlotte von seiner bedingungslosen Liebe überzeugen. Beim Sebsmord Werthers regnet es massenweise rote Flocken auf das Rondell, er sinkt wie entseelt zu Boden, ein Pistolenschuss löst sich allerdings nicht. Die Figuren treffen nicht direkt aufeinander. Charlottes Ehemann Albert möchte Werther eigentlich nicht richtig wahrnehmen, dabei geht es auch um die Abwesenheit von Intensitätserfahrungen. Das Problem der seelischen Leere wird hier grell herausgestellt und ergreift die drei Protagonisten Werther, Charlotte und Albert ganz unmittelbar. Und es wird ebenso deutlich, dass Werthers Selbstmord auch Charlottes Ende ist. Der öffentliche Austausch ist dabei sehr stark in den Hintergrund getreten.

Preview: Werther | Staatsoper Stuttgart - YouTube

Preview/ Youtube-Video

Man spürt bei dieser Inszenierung, wie positiv die Erfahrung mit einer größeren Menschengruppe nach der schwierigen Corona-Zeit empfunden wurde. Die Raumkonstruktion achtet aber auch stark auf Gefühlsmomente. Charlottes Schwester Sophie ist hier ein Gegenpol zu Charlotte. Sie weiß nicht recht, wie sie mit der Depression ihrer Schwester umgehen soll. Die Inszenierung spielt virtuos mit der zentralen Frage, was Drohungen beim Gegenüber ausmachen. In diesem Sinne erpresst Werther die Gesellschaft und Charlotte. Doch dieses Problem hätte man stärker in den Mittelpunkt stellen müssen.  Die Frage, wen man überhaupt erreichen will, steht für Rothenhäusler im Zentrum des Geschehens (Bühne: Katharina Pia Schütz; Kostüme: Elke von Sivers). Werther stellt eine Attacke auf die sozialen Verabredungen dar, vor allem den Ehefrieden. Das ist eine Tatsache, die man in dieser Inszenierung aber noch greller und schroffer herausarbeiten könnte. Rituale und Regeln des Zusammenlebens werden so teilweise außer Kraft gesetzt. Das deutet Felix Rothenhäuslers Inszenierung aber nur an. In gewissem Sinne gehen hier aber auch Energien von Kindern und Jugendlichen aus. Dabei wird ein Gefühl von Nähe geschaffen, das unmittelbar berührt. Die Rollen von Schmidt, Johann, Käthchen und Brühlmann wurden gestrichen. Die im Raum vorhandene Öffentlichkeit ist aber Teil der Inszenierung.

Die Innerlichkeit dieser Musik steht auch bei der musikalischen Darbietung im Zentrum des Geschehens, die noch mehr überzeugt wie die szenische. Daran haben vor allem der Dirigent Marc Piollet und das mit glühender Intensität musizierende Staatsorchester Stuttgart einen entscheidenden Anteil. Der Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick sprach übrigens lobende Worte über die Musik von Massenets „Werther“. Und die Harmonien und Melodien überwältigten auch Claude Debussy. Die Charakterisierung der weiblichen Seele gelingt bei dieser Aufführung ausserordentlich gut. Dies liegt vor allem an Rachael Wilson als berührende Charlotte, die einen schweren psychologischen Wandlungsprozess  durchmacht und dies auch überaus packend verkörpert. Ihre Arie „Va! Laisse couler mes larmes“ wirkt hier überaus emotional, klangfarbenreich und berührt aufgrund der mit sensibler Schlankheit geführten Kantilenen. Arturo Chacon-Cruz als Werther überzeugt mit seinem strahlkräftigen Tenor, der zu imposanten Höhenflügen fähig ist. Dies zeigt sich nicht nur bei seinem Lied „Pourquoi me reveiller“. In weiteren Rollen gefallen Pawel Konik (Bariton) als robuster Albert, Shigeo Ishino (Bariton) als Amtmann sowie Aoife Gibney (Sopran) als Sophie, Charlottes Schwester. Marc Piollet interessiert sich als Dirigent vor allem für die Details, die er aber nicht unbedingt kammermusikalisch deutet. So gelingen die Mondnacht des ersten Aufzugs („Claire de lune“), die weinselige Septemberatmosphäre zu Beginn des zweiten Aktes sowie Werthers wild-romantische Ossian-Rezitation ausgesprochen präzis. Emotionalität wird hier oftmals klug gezügelt – und die leidenschaftlichen Aufschwünge sind danach umso heftiger und unmittelbarer. Die Finalszene des Dramas findet allerdings nicht als Winterdarstellung statt. Dafür legt der Regisseur Felix Rothenhäusler aber auf psychologische Aspekte besonderen Wert. Vor allem beim Liebesduett zwischen Werther und Charlotte am Ende des ersten Aktes blüht das musikalische Geschehen regelrecht auf. Das überwältigende Nocturne von Cello, Klarinette und Flöte im Achteltakt besitzt dabei fast leitmotivartigen Charakter. Auch der von Bernhard Moncado sorgfältig einstudierte Kinderchor fügt sich nahtlos ein. Interessant ist, dass der Direktor der Opera-Comique das Werk wegen dessen düsteren Inhalts zunächst ablehnte. Doch auch die Wiener Hofoper bemühte sich um das Werk.

Am Schluss gab es in Stuttgart vor allem für die Sängerinnen und Sänger große Ovationen. Das Regieteam bekam allerdings auch Unmut zu spüren.

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken