Staatsoper Stuttgart: „TOSCA“ 24.1. 2025 – erhöhte Spannung durch kurzfristigstes Einspringen
Gefährliches Charisma: Lucio Gallo als Scarpia (2.Akt). Copyright: Martin Sigmund
Puccinis unverwüstlicher Opern-Krimi ist als solcher schon spannend genug. Wenn dann eine Vorstellung um eine halbe Stunde später beginnen muss, damit die Hauptdarstellerin noch genügend Zeit für Ankleidung und Maske hat, erhöht dies den Adrenalinspiegel dies- und jenseits der Bühne noch zusätzlich. Opernintendant Victor Schoner hielt das mit u.a. rund 300 Schülern gefüllte Auditorium mit einer seiner wie immer aus dem Stegreif detailliert erklärenden Ansagen bei so guter Laune, dass die Begeisterung für das Folgende schon ein Stück weit aufgebaut war und es soviel Zwischenapplaus gab, der bei diesem fast durchkomponierten Werk äußerst ungewöhnlich ist.
Jedenfalls hatte die vorgesehene Tosca dieser Aufführungsserie Olga Busuioc am Mittag aufgrund eines Hexenschusses abgesagt. Die polnische Sopranistin Ewa Vesin, die mit der goldwert vorbildlichen Inszenierung von Willy Decker durch einige Vorstellungen im letzten Frühjahr vertraut war, wurde am Nachmittag eilends aus Breslau eingeflogen und erreichte erst gegen 19 Uhr, als die Vorstellung beginnen sollte, das Opernhaus. Wie sich bald herausstellte, benötigte sie keinen Bonus, gestaltete vielmehr eine Tosca, die es an keinerlei Ansprüchen an diese Partie mangeln, sondern in einer explosiven Mischung aus ausgewogener dramatischer und lyrischer Vokalität, einem farbenreichen Spielen mit ihrer dunkel getönten Stimme sowie hoher emotionaler Spontaneität, von der jede Aufführung aufs Neue lebt, gewaltig zünden ließ. Ihr „Vissi d’arte war ein spürbar ehrliches Bekenntnis getragen von tiefer Verzweiflung.
Es blieb nicht nur bei einer anderen Titelrolleninterpretin, auch der Cavaradossi mußte, immerhin schon zwei Tage davor, umbesetzt werden. Statt Atalla Ayan wurde mit Dmytro Popov ein Einspringer gefunden, der in dieser Rolle hier schon vor vielen Jahren zu erleben war und mit ihr international unterwegs ist. Sein heller, in der Mittellage und Tiefe aber etwas dunkel abschattierter und klangarmer Tenor hat an Flexibilität und gefühlvoll nuancierter Phrasierung gewonnen und in den melodischen Aufschwüngen und Spitzen an Strahlkraft gewonnen. Leider fehlt ihm der weiche Schmelz fürs italienische Fach und manchmal auch die Leidenschaft für den revolutionären Maler, gewinnt andererseits durch sympathisch aufrichtiges Spiel.
Lucio Gallo ist im besten Sinne ein Künstler, der aus der Routine viel Kapital zu schlagen weiß. Charismatisch im Auftreten und in der Haltung (sein Erscheinen in der Kirche lässt nichts an Machtdemonstration zu wünschen übrig), vermittelt er mit seinem vollumfänglich funktionierenden Bariton sowohl autoritäre Härte als auch das falsche Schmeicheln um Toscas Gunst. Im Ganzen einer der Scarpias, vor dem glaubhaft „ganz Rom zitterte“.
Ebenfalls ersetzt werden musste der Mesner von Andrew Bogard, was mit dem ehemaligen Opernstudio-Absolventen und heutigen Mitglied der Deutschen Oper Berlin Padraic Rowan rollendeckend gelang. Der irische Bassbariton setzte feine komische Akzente in den Bewegungen und im stimmlichen Einsatz. Immer noch ein Beispiel für Charakterstärke: Heinz Göhrig als abgefeimter und katzbuckelnder Polizeiagent Spoletta. Jacobo Ochoa beglaubigte den verfolgten Konsul Angelotti durch entsprechend gehetzten und aufgewühlten Ausdruck. Sebastian Bollacher (Sciarrone), Kristian Metzner (Schließer) und Alissa Kruglyakova (Hirt) – am Schluss zurecht auch mit einem Vorhang bedacht – ergänzten diesen bewegenden Opernabend ihren Aufgaben entsprechend. Das i-Tüpfelchen besorgte schließlich die Dirigentin Alevtina Ioffe, am Haus bereits durch eine Neuproduktion von „Hänsel und Gretel“ bekannt, indem sie zu den ganz wenigen Vertretern ihres Berufs gehört, die es schaffen entscheidende Stellen der Partitur nicht zu verhetzen, sondern in aller spannungsvollen Dichte in den Raum zu stellen. Abgesehen davon vereinte sie eine gleichwertige Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse der Solisten, des im TeDeum machtvoll tönenden Staatsopernchores und Kinderchores (Einstudierung: Bernhard Moncado) und des seitens aller Stimmgruppen voll mitziehenden Staatsorchesters Stuttgart, wofür sie und die drei Protagonisten so richtig gefeiert wurden.
Udo Klebes