Staatsoper Stuttgart
„SALOME“ 13.10.2024 (WA-Premiere) – Konsequent vergegenwärtigt, aber visuell überfrachtet
Simone Schneider (Salome) und David Steffens (Jochanaan). Foto: Martin Sigmund
An der Wiener Staatsoper hat Kirill Serebrennikov jüngst mit seiner Inszenierung von Verdis „Don Carlo“ für heftige Publikums-Empörung mit Beinahe-Unterbrechung gesorgt. Seine 2015 für die Stuttgarter Oper geschaffene Regie zu Richard Strauss drittem Bühnenwerk wurde weit weniger heftig kritisiert und erwies sich jetzt bei der Wiederaufnahme mit größtenteils neuer Besetzung als zumindest teilweise das Stück sinn- und spannungsvoll tragende Arbeit. Der hier ins Heute einer Hochsicherheits-Zentrale mit totaler elektronischer Überwachung und mit von ihm selbst entworfenen, in dunklen Tönen gehaltenen Kostümen transferierte Stoff enthebt alle Personen ihres geschichtlichen Kontextes, weist vor allem den zahlreichen Nebenfiguren andere Funktionen zu und erzielt damit eine in sich stimmige Abhandlung im Zeichen von kompletter Kontrolle, deren Konzentration durch die bei ihm wohl unverzichtbaren, dauerhaft an der Rückwand flimmernden Fernsehbildern politischer Nachrichten unnötig beeinträchtigt wird. Der Kälte und skrupellose Macht verkörpernde Bühnenraum von Pierre Jorge Gonzalez mit einem oberhalb positionierten gläsernen Schlafzimmer, wo sich Herodias mit knackigen Männern ihrer Lüste hingibt, steht vor allem dort im Kontrast zur Musik, wo Strauss mit raffinierten instrumentalen Details eine schwül-sinnliche Atmosphäre geschaffen hat.
Insofern war es schlüssig, dass Tomas Hanus mit dem in allen Gruppen glänzend aufgelegten Staatsorchester Stuttgart auf eine explizite Herausarbeitung dieser Nuancen verzichtet und stattdessen auf eine eher glatt expressive Interpretation setzt, die aber zum Glück das immer wieder aufflammende typische Strauss Melos nicht ausspart und Salome und Jochanaan mit gebührend aufgebauten Bögen stützt. In der Dynamik erzielte der inzwischen an vielen ersten Häusern gefragte Dirigent eine erfreuliche Transparenz für Zwischentöne und Nebenstimmen, konnte aber auch großzügig aufdrehen, weil die in der Titelrolle wieder angesetzte Simone Schneider mit ihrer stabilen Mittellage und leuchtenden Höhen die Orchesterwogen mühelos durchflutet. Der Luxus verwöhnten Salome gibt sie demgegenüber auch legitim fahle Töne der Verzogenheit und exaltierter Sinneslust. Statt des Schleiertanzes, der in diesem szenischen Konzept nicht passen würde, ist sie Protagonistin eines Traumspiels mit Kindheits-Erinnerungen, das allerdings in Korrespondenz zur fein gesteigerten Ekstase der Musik schwach und langweilig wirkt.
David Steffens ist zwar kein Heldenbariton, aber ein versierter Bass-Bariton, der sein Rollendebut als Jochanaan (gedoubelt von Luis Hergón) mit durchweg klarem, sicher gestütztem Vortrag und dank seines kernig zentrierten Höhenregisters ohne nennenswerte Abstriche meistert. Der Radius der Tongebung von zartem Gefühl bis zum eruptiven Ausbruch lässt sich sicher noch intensivieren, um den hier als Populisten unserer Zeit vors Mikrofon Tretenden noch autoritärer wirken zu lassen.
Als Herodias mit blonder Perücke und für einsame Farbtupfer sorgenden Kleidern in Silber und Dunkelrot gab Sophie Koch ein von Persönlichkeit geprägtes Debut, das von ihrem dramatischer gewordenen Mezzosopran zeugt, der neben ausdrucksvollem Sprechgesang auch so richtig keifend und doch klangvoll aufdrehen kann.
Simone Schneider (Salome), Sophie Koch (Herodias) und Chad Shelton (Herodes) mit den Juden. Foto: Martin Sigmund
Spürbar rollenerfahren ereiferte sich Chad Shelton (statt des ursprünglich vorgesehenen Gerhard Siegel) mit hell tönendem und eher begrenzte Stimmfarben aufweisendem Tenor als Herodes, der seinen psychischen Knacks auch in übersteuert grellen Ausschweifungen zur Geltung bringt. Von den mehrheitlich weiteren Rollen-Premieren im Ensemble ist Moritz Kallenbergs von klarem Tenorstrahl und mühsam unter Kontrolle gehaltener Fassung erfüllter Narraboth hervor zu heben. Lana Maletics Page würde neben einer sauberen Tongebung noch etwas mehr dunkle Fülle gut anstehen. Einheitlich gutes Niveau bestimmten das Judenquintett (Torsten Hofmann, Heinz Göhrig, Leopold Bier, Joseph Tancredi, Andrew Bogard), die beiden Nazzarener (Michael Nagl, Jacobo Ochoa) und Soldaten (Jasper Leever, Aleksander Myrling) sowie den Kappadozier (Marius-Sebastian Aron).
Ein Trupp von Statisten beiderlei Geschlechts erfüllte die Aufgaben der in verschiedener Form beschäftigten Angestellten.
Udo Klebes