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STUTTGART/ Staatsoper: RUSALKA – vom Waldsee zur farbfunkelnden Glitzerwelt

10.06.2022 | Oper international

Stuttgart / Staatsoper: „RUSALKA“ – VOM WALDSEE ZUR FARBFUNKELNDEN GLITZERWELT – 9.6.2022

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Foto: Matthias Baus

 Gegenwärtig gibt es europaweit zahlreiche Neu- und auch ältere Inszenierungen der „Rusalka“ von Antonín Dvořák, für jeden Geschmack etwas, sogar eine (ältere) Inszenierung in der Prager Staatsoper, die mit einer gekonnten Mischung aus Film und Opernbühne die ursprüngliche Handlung auf die Bühne bringt und immer für volles Haus sorgt. Für den, der sich ein bisschen mit (alt-)böhmischer Natur, Kultur und Sagenwelt beschäftigt, ist „Rusalka“ die Inkarnation dieser (alt‑)böhmischen Mentalität, die inzwischen auch im Wandel begriffen ist, aber Dvořáks Musik strahlt noch immer diese ursprüngliche Gefühlswelt aus und kann auch aus heutiger Sicht noch sehr bewegen.

Von den vielen Neuinszenierungen dürfte die Stuttgarter in der Regie von Bastian Kraft die farbenprächtigste und glamouröseste sein. Hier wird alles aufgeboten, was Effekt macht, farbenfrohe Kostüme (Jelena Miletic), Einsatz der Bühnentechnik mit raffinierten Effekten (Bühne: Peter Baur), Videoeinblendungen (Sophie Lux), Spiegelungen, der Blick von oben, Verwirrungen und eine psychologische Durchdringung, die weit über das ursprüngliche Sujet hinausgeht. Die romantische Wassernixenwelt wird zur farbenprächtigen Glitzerwelt.

Die Bühne hebt und senkt sich. Sogar der Orchestergraben mit dem perfekt und transparent spielenden, auch Nuancen auslotenden Staatsorchester Stuttgart, das auch die Nähe zu Brahms und Wagner hörbar werden lässt, mit der „zackig“ dirigierenden Oksana Lyniv am Dirigentenpult und auch der Zuschauerraum werden minutenlang eingeblendet. Jede handelnde Person hat mindestens ein Pendant, eine imaginäre Ergänzung, verdoppelt und verdreifacht sich, Rusalka erscheint sogar vierfach, alle immer mit gleichen Kostümen aber in sehr unterschiedlicher Größe. Alle scheinen zu singen, zumindest meint man das anhand der Mundbewegungen, aber nur eine(r) singt wirklich – ein Riesenaufwand an Personen und Probenarbeit.

Eine farbenprächtige Glitzerwelt, die in ihrer Vielfalt verwirren und benommen machen kann und psychologische Vorgänge ins Blickfeld rückt. Sorgt für Abwechslung. Es kann keine Langeweile aufkommen, denn immer neue Bilder beherrschen die Szene und wecken immer neue Assoziationen. Es ist alles in Bewegung, alles fließt, aber einen Versuch, das alles bis ins Detail zu durchdenken und mit der ursprünglichen Handlung in Einklang zu bringen, sollte man besser nicht unternehmen, zu viel stürzt da auf einen ein.

Zunächst betrachten und „kommentieren“ singend die Nixen von einer schlichten Galerie aus die Vorgänge, die weiter unten auf der Bühne stattfinden, und sehen sich auch selbst. Eine Leiter verbindet beide Ebenen und dazwischen liegt der See, ein (Wasser-)Spiegel, der  alles Mögliche reflektiert, teils Wasser, teils Spiegel, auch Seelenspiegel. Alles fließt und ist ständig in Bewegung.

Ehrliche, aufrichtige Liebe, nach der sich Rusalka sehnt, gibt es hier allerdings nicht bzw. nur musikalisch. Es ist alles sehr modern überhöht und in eine kühle, reizüberflutete Welt, bei der Liebe mit erotischer Verführung übersetzt wird, transformiert, fernab aller (Spät-)Romantik des 19. Jahrhunderts. Während vom Orchestergraben aus die Polonaise mit ihrer zündenden Musik als Höhepunkt des Hochzeitsfestes ins Blut geht, machen sich die Gäste in einem relativ statischen Bild erst noch ein wenig zurecht.

Bei aller optischen Ablenkung bot aber auch die musikalische Seite einen besonderen Eindruck. Esther Dierkes gestaltete mit ihrer leistungsfähigen Sopranstimme eine beeindruckende Rusalka, wandlungsfähig, mit gesanglichen Qualitäten, dramatischen Steigerungen und viel Innigkeit in den Arien.

David Junghoon Kim gestaltete die Partie des Prinzen sängerisch nuancenreich und glaubwürdig. Überzeugen konnten auch Allison Cook mit ihrem ausdrucksvollen Sopran als fremde Fürstin und Goran Juric, als Wassermann mit profundem Bass, bei dessen warm tönender Tiefe auch das väterliche Mitgefühl für Rusalka mitschwang (choreografische Imagination: Alexander Cameltoe). Der inszenatorisch herausgehobenen Hexe Jeizaba gab Katia Ledoux, Alt, Stimme und Profil (tänzerische Entsprechung: Judy LaDivina, und mit Augenzwinkern parlierend Torsten Hofmann dem Heger und Alexandra Urquiola dem Küchenjungen.

Den Jäger gab Angel Macias. Als Elfen fungierten Natasha Te Rupe Wilson mit Vava Vilde (1. Elfe), Catriona Smith mit Lola Rose (2. Elfe) und Leia Lensing mit Purrja (3. Elfe). Die Choreografie lag in den Händen von Judy LaDivina (Elfen) und Reflektra/Joel Small (Rusalka). Die Einstudierung des Staatsopernchores Stuttgart, der keine Wünsche offen ließ, oblag Manuel Pujol.

Eine Sonder-„Nummer“ bot der australische Tänzer, Travestiekünstler und Choreograf Reflektra alias Joel Small zunächst als „Refklexion“, Imagination, Entsprechung, Pendant zu Rusalka, sich am Schluss aber als Mann outend, indem er sich des Kostüms entledigt und abschminkt und in einem Schlussbild als farbig schillernder (Zier‑)Fisch-Mensch nach oben gleitet.

Ingrid Gerk

 

 

 

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