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STUTTGART/ Staatsoper: RUSALKA. Dragqueens als Publikums-Anreiz

10.11.2022 | Oper international

Staatsoper Stuttgart

„RUSALKA“ 9.11.2022 – Dragqueens als Publikums-Anreiz

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„Reflektra“ als Rusalka-Double. Foto: Matthias Baus

Eine erstaunliche Beobachtung ist derzeit an der Stuttgarter Oper zu machen. Das bei der breiten Bevölkerung nicht unbedingt gängige Hauptopernwerk Antonin Dvoraks geht vor weitgehend vollen oder sogar ausgebuchten Sitzreihen über die Bühne, während parallel gespielte Klassiker eher gebremstes Interesse finden. Offensichtlich hat die zentrale Idee des Produktionsteams Bastian Kraft (Regie), Peter Baur (Bühne) und Jelena Miletic (Kostüme) die Wasserwessen von choreographisch-spielerisch eingesetzten Dragqueens zu doubeln und so das Kernthema des Andersseins sinnfällig zu beleuchten, viele Neugierige angelockt, die sonst kaum den Weg ins Opernhaus finden. Sicher mag sich auch herum gesprochen haben, dass die schillernde visuelle Umsetzung des Stoffes in Verbindung mit Dvoraks ebenso stimmungsvoller wie zupackender musikalischer Kontur genauso sehens- wie hörenswert ist.

Die Reduktion des Bühnenraums auf zwei fahrbare Spielebenen, eine kippbare Spiegelfläche, und nur wenige Requisiten, wodurch die vielfarbigen, mit Applikationen der Wasserwelt versehenen Kostüme deren Bewohner, unterstützt von einer Magie schaffenden Lichtgestaltung (Gerrit Jurda) besonders zur Geltung kommen, richtet die Konzentration ganz auf Spiel und Bewegung der Akteure.

In der Titelrolle war wieder Esther Dierkes mit ihrem im lyrischen Bereich schattierungsreichen Sopran zu erleben, der in der Mittellage noch etwas mehr Tragfähigkeit und in den sich übers volle Orchester erhebenden Höhen an Glanz und Wärme gewinnen dürfte. Ihre verinnerlichte Darstellung korrespondiert mit der leichtfüßig expressiven Veranschaulichung ihres Doubles Reflektra, hinter dem sich der australische Tänzer und Performer Joel Small verbirgt, der auch für die Choreographie verantwortlich zeichnet.

Eine deutliche Verbesserung gegenüber der Premierenserie im Frühsommer ist der Prinz von Kyungho Kim, dessen attraktiv wohllautender Tenor mit beseeltem Vortrag, leichtem Höhenregister und dynamischer Dosierung die melodische Kraft seines Parts schönstens entfaltet. Und dazu in dezentem Spiel den unbedachten und später zerknirschten „Jäger“ skizziert.

Eine sichere Bank in jeder neuen Rolle ist Adam Palka. Sein Wassermann vereint Macht über seine Welt mit der Güte väterlicher Zugewandtheit, verlautbart durch seinen flexiblen, in allen Lagen klangreichen, mal donnernden, mal zart zurück genommenen Bass, der die Klage im zweiten Akt über Rusalkas Los mit belcanto-nah warm strömendem Tonfluss ergreifend erfüllt. Da kann sein etwas schmächtiges und eher zurück haltendes Double Alexander Carneltoe nicht mithalten. Auch nicht Attila Jun, der einige Wochen zuvor in derselben Partie zu hören war, mit zwar mächtigem, aber auf Dauer monotonem und bei Weitem nicht so ausgeglichen intonierendem Bass.

Katia Ledoux, die als noch junge verführerische Hexe in lila Varièté-Glitzer so gar nicht den herkömmlichen Vorstellungen einer hässlichen Alten entspricht, unterstreicht ihre wirkungsvollen Auftritte wieder mit ihrem voll im Saft stehenden Mezzosopran, der sowohl über eine expansive Tiefe wie eine explosive Höhe verfügt. Allison Cook zeichnet  vor allem durch ihre Präsenz in rotem Kleid und hochhackigen Schuhen eine mit der Unsicherheit des Prinzen spielende Fremde Fürstin, der ein teilweise noch etwas schmeichelhafterer Sopran gut anstehen würde. Dennoch bietet sie mit einer hier durchaus legitime Schärfen aufweisenden, durchsetzungsfähigen und die unangenehm hoch notierten Passagen klar bewältigenden Stimme eine adäquate Leistung.

Torsten Hofmann (Heger) und Alexandra Urquiola (Küchenjunge) überspielen ihre fragwürdig bleibende Funktion als Müllmänner in Gesamtheit locker und agil im vokalen Einsatz und sorgen so für unterhaltsame Intermezzi in dieser sonst so traurig anmutenden Geschichte.

Julie Martin du Theil, Catriona Smith und Leia Lensing harmonieren wieder als einfühlsames Elfenterzett mit ihren gleichfalls synchron aufeinander eingespielten Drag-Doubles. Angel Macias lässt in seinem kurzen Solo als Jäger bereits auf größere Rollen hoffen. Seinen Kurzauftritt im zweiten Akt nützt der Staatsopernchor (Einstudierung: Manuel Pujol) erneut für eine Probe seiner weitreichenden Musiktheater-Fähigkeiten.

Nachdem gleich zu Beginn der Saison GMD Cornelius Meister am Pult die Leitung von Oksana Lyniv übernommen und mit einem ganz auf breite und gleichzeitig klar durchleuchtete Romantik setzenden Dirigat das Werk deutlich in der Tradition des 19. Jahrhunderts verortete, bot hier sein Assistent Killian Farrell eine etwas schlankere, die dichte Instrumentierung des Komponisten so gut wie möglich sängerfreundlich im Zaum haltende Lesart. Auf der einen Seite voll ausgekostete getragene Passagen, demgegenüber immer wieder mit Zügigkeit allzu vielem Pathos ausweichende Abschnitte.

Wie auch immer, die Begeisterung fürs Gesamte dieser Produktion ist garantiert!

Udo Klebes

 

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