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STUTTGART/ Staatsoper: „REQUIEM POUR L. “ als Gastspiel von Fabrizio Cassol & Alain Platel

Neues Ritual der Trauer

02.11.2018 | Oper


Copyright: Chris van den Burght

„Requiem pour L.“ als Gastspiel von Fabrizio Cassol & Alain Platel am 1. November 2018 in der Staatsoper/STUTTGART

NEUES RITUAL DER TRAUER

Dass Mozarts „Requiem“ unvollendet blieb, ist allgemein bekannt. Differenzierte gedankliche Regungen mit Todesfurcht und gläubige Hoffnung spielen hier eine große Rolle. Im Jahr 2017 haben der Komponist Fabrizio Cassol und der Choreograf Alain Platel vierzehn Musikerinnen und Musiker aus Afrika und Europa eingeladen, Mozarts „Requiem“ mit ihren ungewöhnlichen Welten zu konfrontieren. Jazz, Oper, afrikanischer Pop und diverse Gesangstraditionen werden so kunstvoll miteinander verwoben. Das Wahre wird dabei durchaus zur Schönheit.

In einer Video-Konstellation von Simon Van Rompay ist eine sterbende Frau zu sehen. Im Vordergrund sieht man in schwarzen Blöcken das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Die Fragmente von Mozart werden unter der fundierten musikalischen Leitung von Rodriguez Vangama dabei gleichsam fortgeschrieben. Auch eine bestimmte Form der Polyphonie kommt nicht zu kurz. Laut eigenen Worten ist die Re-Interpretation von Fabrizio Cassol angesichts von Mozarts „Requiem“ in d-Moll KV 626 für ihn selbst das riskanteste musikalische Abenteuer. Hinzugefügt wird Mozarts Komposition nämlich eine suggestive zeitgenössische Ebene, die aus Musik anderer Kulturen besteht. Auch über den Tod wird neu nachgedacht. Es geht außerdem um ein neues Ritual der Trauer. Der Tod wird hierbei zur Kollektiv-Angelegenheit, die Frau stirbt öffentlich. Cassol ersetzt den Chor durch Individuen, die sich in alternativen Ausdrucksräumen fortbewegen. Dies besitzt große Faszination. Die Melodien folgen allerdings aufeinander – für diese Gesangsparts verwendete Cassol einige lyrische Stimmen. Er hat sich für Dreieckskonstellationen entschieden – der Bass fällt aus.

Diesem Trio lyrischer Stimmen stehen schwarze Stimmen gegenüber: Fredy Massamba, Boule Mpanya und Russell Tshiebua. Cassol will ganz bewusst ein Architekt dieser Musik sein, Mozarts Geist bleibt glücklicherweise immer spürbar. Man darf nicht vergessen, dass Mozart dieses Werk für sich selbst komponierte. Die rauen Harmonien werden bei der Aufführung ganz bewusst in greller Weise herausgearbeitet. So treffen im „Confutatis“ beispielsweise Rhythmen, Einflüsse und Welten aufeinander. Das Euphonium oder die Tuba verkörpert den Todesengel. „Tuba Mirum“ und „Hostias“ illustrieren die Situation der sterbenden L. höchst emotional. Das Akkordeon unterstreicht detailliert die Vokalharmonien – und die Percussionsinstrumente fallen durch heftige Staccato-Attacken auf. Laut Einstein ist der Tod bei Mozart kein Schreckbild, sondern ein Freund. Dem Tod wird der Schrecken genommen. Der Mensch vermag friedlich zu sterben. Die sterbende Frau ist in die Zärtlichkeiten der sie umgebenden Personen gleichsam eingebettet. Man gibt ihr Liebe, das macht alles leichter.


Copyright: Chris van den Burght

Und genau dieser Aspekt kommt in der gelungenen Inszenierung von Alain Platel voll zum Vorschein. Les ballets C de la B agieren hier sehr minuziös auf die vielfältigen thematischen Beziehungen. Die Kostüme von Dorine Demuynck (Kamera: Natan Rosseel) passen sich dem Geschehen an. Die afrikanischen Voodoo-Welten zwischen Ekstase und rhythmischen Konvulsionen brechen immer wieder mit Urgewalt auf. Der lyrische Gesang von Nabulumko Mngxekeza, Owen Metsileng und Stephen Diaz/Rodrigo Ferreira beeindruckt aufgrund der differenzierten dynamischen Kontraste. Joao Barradas (Akkordeon), Kojack Kossakamvwe (E-Gitarre), Niels Van Heertum (Euphonium), Bouton Kalanda, Erick Ngoya und Silva Makengo (Likembe) sowie Michel Seba (Perkussion) frischen die dunkle, ernste Klangtönung Mozarts in erheblicher Weise auf. Der orgiastische rhythmische Zauber steht jetzt deutlich im Mittelpunkt. Die Wärme und Farbigkeit des Mozartschen Klangbilds zeigt sich in all ihren Nuancen und Facetten (Dramaturgie: Hildegard De Vuyst).

Jubel für das Ensemble.

Alexander Walther

 

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