Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/ Staatsoper: NORMA. Wiederaufnahme

Mit neuen Kräften

12.07.2019 | Oper


Yolanda Auyanet (Norma), Massimo Giordano (Pollione) und Diana Haller (Adalgisa). Foto: Martin Sigmund

Stuttgart: „NORMA“ 11.7. (Wiederaufnahme) – mit neuen Kräften

Seit der Premiere im Juni 2002 maßgeblich geprägt von Catherine Naglestad in der Titelrolle und nach ca. 60 Vorstellungen erfolgter Streichung dieser Partie aus ihrem Repertoire schien eine Wiederauflebung der Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito kaum mehr denkbar bzw. galt sie als abgespielt. Umso größer nun die Überraschung, dass mit der ersten der drei vom ehemaligen Operndirektor und seinem Chefdramaturgie-Partner entworfenen Bellini-Opern doch nochmals ein neues Kapitel aufgeschlagen wurde, und auch die Freude über die Feststellung, dass das szenische Konzept stark genug ist, um auch ohne ihr bisheriges Kraftzentrum auszukommen.


Yolanda Auyanet (Norma) mit Staatsopernchor. Foto: Martin Sigmund

Die Verlegung der Handlung in den Zweiten Weltkrieg, genauer gesagt in die Zeit der Resistance der Franzosen gegen die deutschen Besatzer, liegt zwar fern von der originalen Bekämpfung zwischen den Galliern und belagernden Römern, doch der zentrale Konflikt Normas  behält auch in dieser veränderten Konstellation und dank der ausdrucksintensiven Personenregie seine Gültigkeit. Nicht zuletzt ist es aber auch Beweis, wie sich die neue Titelinterpretin Yolanda Auyanet  in musikalischer und gestalterischer Hinsicht behauptet. Die aus Gran Canaria stammende Sopranistin gebietet über eine natürliche, auch in extremen Momenten unaufgesetzte Ausstrahlung und hat diesen vokalen Belcanto-Prüfstein sicher und zuverlässig  in Körper und Kehle verankert. Sie muss nie zu irgendwelchen Tricks greifen oder Schwächen durch stilfremde Anleihen kaschieren, ist der anstrengenden Partie in allen Gefühlslagen mit vielen Tonsprüngen, den langen Bögen der melodie lunghe, den Koloraturen, aber auch den Kontrasten zwischen Innigkeit und Attacke gewachsen. Auch ohne ein beim ersten Hören speziell auszumachendes Timbre-Charakteristikum gelingt es ihr Norma Kontur und führende Kraft zu verleihen, sie zum Mittelpunkt des Geschehens zu machen. Bei noch zunehmender Intensität dürften mit ihr noch nachhaltig effektivere und erinnerungswürdigere Vorstellungen möglich sein.

Wobei es ihr die Adalgisa von Publikumsfavoritin Diana Haller nicht leicht macht, doch die kroatische Mezzosopranistin drängt sich bei aller Potenz nie in den Vordergrund, ist ihr in den Duetten eine kollegial mitziehende Partnerin. Dennoch übertrifft sie sie in der Feinheit atemtechnischer Phrasierungskunst, kombiniert spannungsreich helle und dunkle Stimmfarben in der Offenbarung ihres Gefühls-Zwiespalts und durchmisst die breite Tonskala von einer gesättigten Tiefe bis zum strahlend den Raum erfüllenden Höhenregister ohne jegliche Anstrengung und Trübung. Dazu macht sie aus ihrem Temperament in der Auseinandersetzung mit dem zuerst verehrten und dann verachteten Pollione auch körperlich keinen Hehl.

Diesen zwischen den beiden Frauen stehenden Pollione interpretiert Massimo Giordano mit attraktiver Erscheinung und immer wieder spürbar zum Platzen neigender Aggressivität als glaubhaften Frauenhelden, der erst unter vehementen Drohungen Reue zeigt. Für seinen sehnig dunklen Tenor ist der heldisch angelegte Part kein Grenzgang, allerdings dürften ihm die flotten Tempi des Dirigenten sehr entgegen kommen, weil er eher über Details hinweg huscht als dynamisch damit zu spielen. Der auf Dauer etwas einsilbige Vortrag passt indes genau zum Charakter Polliones. Dennoch schien der Tenor seine Vorzüge als Cavaradossi im letzten Winter vor Ort idealer zur Geltung gebracht haben.

Eine sichere Bank ist Liang Li als Oberhaupt Oroveso, sowohl in der Verschmelzung seines Basses von sämigem Belcanto-Wohllaut mit autoritärer Strenge als auch im szenischen Profil. Der Moment der Abführung seiner Tochter zur Hinrichtung kostet auch ihn einige Tränen, obwohl er sich trotz ihrer letzten Bitten vehement von ihr losgesagt hat.

Regina Friedek ist eine agile, mit ansprechendem Sopran ausgestattete Vertraute Clotilde, Daniel Kluge mit strengem (wie wohl ausdrucksvollem) Tenor als Polliones Gefährte Flavio der einzige „Fremdkörper in diesem Belcanto-Umfeld. Katarina Tomic und Konstantin Vogel erhöhten als spielerisch einbezogene Kinder Normas die Drastik ihrer Situation.

Es fällt immer schwerer noch andere Worte des Lobes über den Staatsopernchor Stuttgart  zu finden, und so soll an dieser Stelle zusammengefasst vermeldet sein, dass hier situationsgemäßer Ausdruck und die Ansprüche eines edel kultivierten Belcanto-Klanges vorbildlich miteinander verknüpft werden (Einstudierung: Bernhard Moncado).

Neu am Pult und erstmals im Haus der noch junge Italiener Giacomo Sagripanti, der gleich mit der Ouvertüre die Gangart des Abends vorlegte: überaus zügige, in langsamen Abschnitten fast zu rasche Tempi, aber doch mit aller Rücksicht auf begleitende Nuancen und klaren rhythmischen Impuls sowie exakten Einsätzen nicht nur für das sich klangreich entfaltende Staatsorchester Stuttgart, auch für die Bühne. Das Ergebnis war eine wackelfreie Wiedergabe wie aus einem Guss mit hinreichend gesteigerten Höhepunkten, die mit lautstarker Begeisterung gewürdigt wurde.

 Udo Klebes

 

Diese Seite drucken