Staatsoper Stuttgart: „NORMA“ 27.4.2022 (WA) – packender Belcanto
Jolanda Auyanet, Diana Haller. Foto: Martin Sigmund
Auch wenn Vincenzo Bellinis berühmteste Oper ein Gipfelwerk des Belcanto repräsentiert, darf es nicht als selbstverständlich gelten, dass die doch nicht zu den beständigen Publikums-Favoriten gehörende Tragödie nach einem Schauspiel von Alexandre Soumet mit nur wenigen Unterbrechungen zwanzig Jahre lang im Repertoire eines Opernhauses verbleibt. Doch die bis zur jetzigen Neueinstudierung von nur wenigen Details abgesehen bewahrte Personenregie von Jossi Wieler und Sergio Morabito im durchaus stückdienlichen, die Handschrift Anna Viebrocks verratenden Bühnenraum und Kostümen sowie die über viele Jahre maßgeblich von Catherine Naglestad geprägte Interpretation der Titelpartie haben für stetes Interesse gesorgt. Auch nach deren Abtritt bzw. Verabschiedung von dieser Rolle wiederholte sich bereits bei der letzten Wiederaufnahme im Vor-Corona-Jahr 2019 der große Erfolg verbunden mit der Neugier auf eine neue Protagonistin (die anderen Partien und der Dirigent haben von Anfang an immer wieder gewechselt).
Die Spanierin Jolanda Auyanet entpuppte sich auch drei Jahre nach der Erstbegegnung wieder als mit allen technischen und gestalterischen Mitteln gewaschene Druidenpriesterin. Sensibel in der Phrasierung, flexibel im Spannen von langen Bögen und voller Aplomb im Attackieren. Nie am Limit, beherrscht sie die Tessitura mit dynamischem Gespür und allenfalls geringer Neigung zur Übersteuerung in den Forte-Höhen. Zwischen der kultgerecht mit Sichel und Mistelzweig vollbrachten Auftritts-Kavatine „Casta diva“ und den mit zunehmenden Schuldgefühlen immer erregter werdenden Ausbrüchen tiefer Verletztheit und Rachegedanken erzeugt sie mit ihrem leicht dunkel getönten Sopran eine Spannkraft, die bis zur erschütternden Selbstanklage und Abführung zur Hinrichtung reicht.
Ihre Haupt-Mitspieler garantieren vollumfänglich dafür, dass die ganze Aufführung zu einem beständig neue Höhepunkte setzenden Belcanto-Drama wird.
Diana Hallers temperamentvolle, auch leichte komödiantische Ansätze nicht scheuende Adalgisa vermittelt die hin und her gerissene Novizin auf erfrischend unkonventionelle Art und durchmisst das umfangreiche Register ihrer Partie mit einer spielerischen Leichtigkeit in den Koloratur-Läufen und teils immensen Tonsprüngen. In den Duetten mit Norma vereint sich ihr heller, in entscheidenden Momenten kontrastierend dunkel leuchtender Mezzo zu fast zwillingshaft anmutender Innigkeit und Präzision.
In den ersten Jahren konnten die Interpreten des römischen Prokonsuls Pollione vokal betrachtet nie mit dem Niveau der beiden Damen mithalten. Nach einer Steigerung im Lauf der diversen Wiederaufnahmen erfüllt nun Martin Muehle alle Wünsche an diese im heiklen Bereich zwischen kultivierter Linie und hoch notierter heldischer Emphase liegenden Partie. Sein attraktiv heroisch getönter Tenor entfaltet sich in allen Lagen mit Expressivität und Leuchtkraft und bleibt konstant sauber in der Intonation. Ein Künstler wie er, der auch in Erscheinung, Haltung und Spiel den Verführer so glaubhaft verkörpert, hat es verständlicherweise nicht nötig mit dem Riskieren von eingelegten Extrem-Noten pures Protzen zu demonstrieren.
Jolanda Auyanet. Foto: Martin Sigmund
Goran Juric gibt dem Oberhaupt Oroveso mit grundsolide eingesetztem Bass-Bariton passend strenges Gewicht, bleibt nur bei der doch so bewegenden Enthüllung von Normas Muttersein etwas verhalten in der Reaktion.
Angel Macias vom Opernstudio macht als Flavio mit potentem Tenor bereits auf größere Aufgaben neugierig, Regina Friedek ist als präsente und stimmlich adäquate Clotilde voll auf dem Posten. Spielerisch sinnvoll eingebunden sind Normas Kinder Elena und Johann Pirwitz.
Der Staatsopernchor (Einstudierung: Bernhard Moncado) untermauert seine Stellung als eines der führenden Ensembles im Musiktheater mit einer individuell aufgeschlüsselten Zeichnung der Glaubensgenossen und einer vom Piano bis zum donnernden Forte des Kriegsgesangs leuchtend klaren Intonation.
Ermöglicht wurde dieses Belcanto-Fest nicht zuletzt durch Andriy Jurkevych am Pult, der mit dem Staatsorchester Stuttgart einen ebenso federnd schmissigen wie in den Stimmungsmalereien einfühlsam herauf beschworenen Bellini realisiert. Außerdem zeigt er sich mit hinreichendem Ausgleich zwischen Zurücknahme und Anziehung in Tempo und Lautstärke als sehr rücksichtsvoller Anwalt der Sänger.
Alles in allem ein viele Belcanto-Wonnen und emotionale Bewegtheit bescherender, im erfreulich fast komplett belegten Opernhaus entsprechend gefeierter Opernabend.
Udo Klebes