Von Rivalinnen zu Freundinnen: Yolanda Auyanet (Norma) und Diana Haller (Adalgisa). Copyright: Martin Sigmund
Stuttgart: „NORMA“ 3.10. 2019– Ergreifendes Belcanto-Drama
Die Tragik der Oberpriesterin Norma zwischen Glaubens-Gelübde, verbotener Liebe zu einem römischen Besatzer und mütterlicher Bindung in Kombination mit Vincenzo Bellinis ebenso himmlischer wie mitreißender Melodik gehört ohne Zweifel zu den herausragenden Errungenschaften der Operngeschichte und dürfte wohl nur besonders hartgesottene Gefühlsverweigerer kalt lassen. Auch in dieser vorläufig letzten, 71. Vorstellung der vor der Sommerpause erfreulicherweise noch einmal wieder aufgenommenen Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito im Bühnenraum und Kostümen von Anna Viebrock war die große Anteilnahme des Publikums während der Aufführung zu spüren. Die Solisten sowie Chor und Orchester machten aber auch allesamt spürbar, wie sie selbst von der Emotionalität und Ästhetik des Stückes mitgenommen und zu lebendiger Gestaltung verführt werden.
Bereits bei der erwähnten Neueinstudierung im Juli hatte die aus Gran Canaria stammende Yolanda Auyanet mit einer musikalisch und szenisch verinnerlichten Präsentation der Titelrolle aufhorchen lassen. Die damals noch erhoffte Zunahme an interpretatorischer Intensität hat sich nun eingestellt, die Zerrissenheit von Normas Konflikt im Zusammenspiel von wissender Phrasierung und spontaner Reaktion an fesselnder Spannung gewonnen. Hie und da ein nicht ganz schlackenfreier Ton oder eine etwas verwischte Fioritur bedeutet sogar eine Erweiterung des farblichen Spektrums. Subtilität und Kraft ihres auch in der größten Emphase noch wohl lautenden Soprans sind gut austariert. Eine zu Recht rauschend akklamierte Leistung, die in der Intensität von Diana Haller nur deshalb noch übertroffen wird, weil die kroatische Mezzosopranistin den Heimvorteil einer inzwischen immer größer gewordenen Fan-Gemeinde hat. Gesamtkünstlerisch betrachtet befindet sie sich mit ihrer wieder im gesamten Register wie aus einem Guss beherrschten und temperamentvollen Zeichnung der Novizin Adalgisa auf Augenhöhe mit ihrer Rivalin und dann Freundin.
Beider Duette waren auch diesmal wieder ein Fest vokaler Harmonie.
Mit Norman Reinhardt als Pollione komplettierte diesmal endlich auch ein stilistisch adäquater Tenor das Hauptrollen-Trio. Mag sein Kräftepotential auch am unteren Ende des heldisch angelegten Parts sein – der sich in einige extreme Höhen hoch schraubenden Rolle bleibt er mit kultiviert ausbalancierten und abgestuften Wechseln vom Lyrischen ins Dramatische und zurück nichts schuldig und konterkarierte so sein eher einförmig, aber konsequent selbstbewusst aufmüpfiges und damit rollenkonformes Spiel. Ein tragfähiger lyrisch geprägter Tenor mit ausreichend Fülle und sicher ausgebildetem Höhenflug, wie ihn Bellinis Belcanto verlangt.
Als Normas Vater Oroveso wirkte David Steffens auch mit Brille etwas zu jung, sein heller Bass verfügt allerdings über enormes Gewicht, weniger über einen bei aller auszudrückenden Strenge erwünschten weicheren und wärmeren Klang. Jie Zhang aus dem Staatsopernchor verfügt für die Vertraute Clotilde über erfreulich schönes Material incl. rührender Darstellung, Moritz Kallenbergs Tenor ließ auch in der kurzen Partie von Polliones Gefährte Flavio eine gute Substanz und Ausdrucksfähigkeit vernehmen, Die beiden Leid tragenden Kinder hatten in Marlene Schwind und Fred Löthe recht souverän agierende Darsteller.
Die beständig höchste Leistungsfähigkeit des Staatsopernchores Stuttgart (Einstudierung: Bernhard Mancado) als Sänger und Schauspieler bestimmte auch diesmal seinen engagierten Einsatz als zwischen Krieg und Frieden gebeutelte Glaubensschar.
Nicht ganz so forsch stürzte sich diesmal Giacomo Sagripanti in die Ouvertüre, brachte insgesamt mehr Ausgewogenheit in den Gesamtablauf und realisierte mit dem Staatsorchester Stuttgart ein zwischen schwebender Tonschönheit und unterschwelliger Dramatik gut abgemischtes Belcanto-Erlebnis unter klarer Führung der Gesangsstimmen.
Udo Klebes