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STUTTGART/ Staatsoper: NIXON IN CHINA von John Adams. Premiere

Imaginärer Chor auf der Empore

08.04.2019 | Oper


Matthias Klink (Mao Tse-tung), Gan-ya Ben-gur Akselrod als Chiang Ch’ing (Madame Mao Tse-tung), Jarrett Ott (Chou El-lai) und Michael Mayes (Richard Nixon). Foto: Matthias Baus

Premiere „Nixon in China“ von John Adams am 7.4. 2019 in der Staatsoper/STUTTGART

IMAGINÄRER CHOR AUF DER EMPORE

Die Handlung der Oper von John Adams erzählt in der subtilen Inszenierung von Marco Storman in überaus suggestiven Bildern von der Reise des US-Präsidenten Richard Nixon nach China im Jahre 1972. Diese Reise hatte in jeder Beziehung etwas Besonderes, weil damit  zum ersten Mal ein US-Präsident chinesischen Boden betrat. Im Libretto von Alice Goodman heißt es dann auch, dass Nixon zunächst eigentlich gegen China war, dann aber plötzlich zugab, sich geirrt zu haben.

Marco Storman lässt Nixon im weiträumigen Bühnenbild von Frauke Löffel lange über den Besuch nachdenken. Zwischen mosaikartigen Bildern aus dem kommunistischen China (die auf Stahltafeln zusammengesetzt werden) ist im Zuschauerraum auf den Emporen auch der Chor postiert, unter dem transparentartig rote Tücher hängen. Bei den Gesprächen Nixons mit Mao offenbaren sich manche Geheimnisse. So bezeichnete Mao die Geschichte als „eine dreckige Sau“. Gleichzeitig ertränkt er seinen Gast fast in alkoholgesättigten Staatsbanketts. Ein beinahe musicalhaftes Rahmenprogramm und der Besuch einer kulturrevolutionären Modell-Oper tauchen die Inszenierung zuweilen in ein nahezu surrealistisches Ambiente, zumal zwischen durchsichtigen Vorhängen Choreographien zu sehen sind, die Maos gefürchtete Frau betreute. So fällt die Zeit aus dem Rahmen, man spart Grausamkeiten nicht aus. Menschen werden zu Tode gepeitscht. Alexandra Morales hat hier für die Stuttgarter Inszenierung großartige choreographische Bilder geschaffen, die unter die Haut gehen.

Im ersten Akt sieht man im Halbrund weitere imaginäre szenische Details, die teilweise von Nebelbänken umgeben sind. Im Studierzimmer von Mao Tse-tung in Peking trifft auch Nixon ein, der mit diesem neben politischen Fragen philosophische Positionen erörtert. In der Großen Halle des Volkes gerät die Inszenierung von Marco Storman  (Kostüme: Sara Schwartz; Video: Bert Zander) dann ins Monumentale und Überdimensionale, denn die „Gambei“-Rufe der Festgesellschaft beflügeln Nixons Stimmung erheblich, nachdem er zuvor noch einige private Worte mit seiner Frau Pat gewechselt hat.


Shigeo Ishino (Henry Kissinger) und Michael Mayes (Richard Nixon.). Foto: Matthias Baus

Im zweiten Akt macht sich Nixon dann zu einem Sightseeing-Programm in Peking auf. Die amerikanische First Lady beschwört eine Zukunft in Wohlstand und Fortschritt. Mit Spiegeln geht der Chor fast bedrohlich auf sie zu, die First Lady kann diese magische Beschwörung nur mit Mühe abwehren. Dann besuchen die Gäste am Abend eine Aufführung der kulturrevolutionären Ballett-Oper „Das Rote Frauenbataillon“ von Maos Frau Chiang Ch’ing. In dem Stück geht es um einen ausbeuterischen Gutsbesitzer, der ein armes Bauernmädchen gefangen hält. Auf der Flucht wird die junge Frau fast zu Tode gepeitscht. Diese Szene gehört in der Inszenierung von Storman zu den emotionalen Höhepunkten dieser Oper, denn es folgt ein gewaltiges Gewitter mit Tropensturm, dem sich die ungeheure Glorifizierung des revolutionären Kampfes anschließt.

Im dritten Akt setzt sich starke Ernüchterung durch, die Musik des Orchesters kommt nur noch vom Band, die Singstimmen werden vom Dirigenten Andre de Ridder auf der Bühne dirigiert. Statt in die Zukunft zu schauen, verliert man sich in der Vergangenheit. Anspielungen auf die chinesische Mondlandung schlagen Brücken zur Gegenwart. Neben der überzeugenden Inszenierung von Marco Storman fesselt auch die musikalische Leistung des hervorragenden Staatsorchesters Stuttgart unter der souveränen Leitung von Andre de Ridder. Alles wirkt hier wie aus einem Guss. Auch wenn die harmonische Struktur zuweilen an die minimalistische Musik von Philip Glass erinnert, besitzt John Adams als Komponist einen wesentlich größeren Ausdrucksradius, den Andre de Ridder ausgezeichnet herausarbeitet. Dass der Post-Minimalismus für den 1947 in Massachussetts geborenen Komponisten John Adams vor allem eine effektvolle Kompositionstechnik war, macht Andre de Ridder mit dem Staatsorchester Stuttgart in bewegender Weise deutlich. Hier löst man sich von der Technik des Serialismus. Hollywoodklischees und totalitärer Kitsch werden auch in der großflächigen Harmonik verarbeitet. John Adams arbeitet mit Patterns und Loops, Jazz-Elementen sowie Strauss- und Wagner-Zitaten. Diese Musik setzt sich aus vielen harmonischen Einzelteilen wie ein kunstvolles Mosaik zusammen. Das macht ihren besonderen Reiz aus. Auch die bewusst ekstatischen Effekte dieser Musik werden hervorragend herausgearbeitet. Adams arbeitet nämlich mit „metric modulations“, der gleichmäßige Puls von Achtelnoten hört sich wie ein Zweiertakt an. Die Klänge mit ihrer harmonischen Struktur schrauben sich in geheimnisvoller Weise nach oben. Rhythmus und Gegenrhythmus bestimmen immer wieder das reizvolle harmonische Geschehen.


Michael Mayes (Richard Nixon), Statisterie, Foto: Matthias Baus

„Nixon in China“ orientiert sich an tonalen und bitonalen Komponenten, ist melodisch und rhythmisch zunächst mit Strawinsky verwandt und geht daraufhin in eine bewusst spätromantische Phase über. Im dritten Akt kommt es neben der eindrucksvollen Auflösung des Raums auch zu einer Auflösung der Tonalität. Diese fantastische  Wirkung überträgt sich in genialer Weise auf die Sängerinnen und Sänger, die bei dieser Inszenierung Grandioses leisten. Dies zeigt sich neben Michael Mayes als Richard Nixon und Shigeo Ishino als Henry Kissinger vor allem auch bei Ida Ränzlöv als Nancy T’ang (First Secretary to Mao) und Katherine Manley als Pat Nixon. Gerade von den Sängerinnen verlangt John Adams ein Höchstmaß an Flexibilität, das auch Fiorella Hincapie als Second Secretary to Mao und Luise von Garnier als Third Secretary to Mao sehr gut einlösen.

Vor allem Matthias Klink bietet als Mao Tse-tung eine bravouröse stimmliche Leistung, die selbst cholerische Ausbrüche nuancenreich einfängt. In weiteren Rollen faszinieren mit eindringlicher Expressivität ferner Gan-ya Ben-gur Akselrod als Chiang Ch’ing (Madame Mao Tse-tung) sowie Jarrett Ott als Chou En-lai.

Staatsopernchor Stuttgart (Einstudierung: Bernhard Moncado), Staatsorchester Stuttgart und die Statisterie der Staatsoper Stuttgart bilden hier eine überwältigende Einheit, die die Zeit außer Kraft setzt und auch berührende Momente der Stille berücksichtigt. Da erfährt man dann auch chinesische Weisheiten. Zuletzt steht Michael Mayes als Richard Nixon plötzlich im Zuschauerraum und scheint darüber nachzudenken, wieviel von dem gut war, was man getan an.

Ovationen, Riesenjubel, Begeisterung. Diese Inszenierung ist vor allem auch als szenisches  Experiment geglückt.

Alexander Walther

 

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