Neujahrskonzert in der Staatsoper Stuttgart. COMEBACK DER BESONDEREN ART
Neujahrskonzert mit Dennis Russell Davies am 1. Januar 2017 in der Staatsoper/STUTTGART
Als Dennis Russell Davies vor Kollegen sein Stuttgarter Programm ankündigte, meinten diese, dass bei einem solchen Repertoire niemand kommen würde. Davies vertraute jedoch auf sein bewährtes Stuttgarter Publikum – und tatsächlich, das Haus war am Neujahrstag voll besetzt, trotz der ungewöhnlichen Programmfolge Strauss, Schwertsik, Henze und Haydn. Nach 30 Jahren ist der frühere Generalmusikdirektor Davies wieder an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt. Gleich zu Beginn konnte Dennis Russell Davies als einfühlsamer Dirigent seine Zuhörer bei der „Rosenkavalier“-Suite aus dem Jahr 1945 von Richard Strauss für sich gewinnen. Dabei fiel auf, dass er als Orchesterleiter gerade die lyrischen Passagen und gewaltigen dynamischen Steigerungen besonders aufmerksam betonte. Mozart und Wagner blieben hier spürbar, verschwenderische melodische Kraft setzte sich in fulminanter Weise durch. Strahlender Glanz und zartere Tönungen ergänzten sich reizvoll, und der Zauber des „Dynamiden-Walzers“ von Josef Strauss schimmerte sphärenhaft durch. Der Geiger Wolf-Dieter Streicher betonte den Raum des Walzertraums, der sich immer mehr öffnete und ausbreitete. Celesta, Harfe und Flöten vereinigten sich zu einem schillernden Klangkosmos – besonders beim Augenblick der ersten Begegnung von Octavian und Sophie. Die Hörner verbreiteten ebenfalls eine mystisch-ekstatische Aura, bis Davies den Schluss in einen ekstatischen Staccato-Taumel versetzte. Der hochbegabte Posaunist Mike Svoboda (Amerikaner wie Dennis Russell Davies) stand anschließend im Mittelpunkt des Konzert für Posaune und Orchester op. 84 „Gemischte Gefühle“ aus dem Jahr 2001 des Wiener Komponisten Kurt Schwertsik, dessen parodistisches Talent dabei deutlich hervorstach. Neben spanischer Folklore verblüfften vor allem die grandiosen Glissando-Passagen im Finale dieses Konzerts. Die Behandlung der Posaune erinnert hier an ein Posthorn, das von einem irisierenden Orchestergewand begleitet wird. Assoziationen zu Chopin kamen dann im zarten zweiten Satz auf, wo sich die Posaunen-Kantilenen stark einprägten. Auf- und Abschwünge sowie ein kühner Dialog mit dem Flügelhorn führten dabei zu wahrhaft erstaunlichen akustischen Eruptionen. Für Mike Svoboda ist Kurt Schwertsiks Komposition übrigens neben Michael Nymans Posaunenkonzert das schwierigste Stück dieser Art, was man seinem federleichten Spiel allerdings keineswegs anmerkte.
Dies lag auch an dem fabelhaft musizierenden Staatsorchester Stuttgart, das von Dennis Russell Davies immer wieder neu angefeuert wurde. Das Erzittern der Posaune ließ Mike Svoboda ebenfalls mit nie nachlassendem Elan Revue passieren. Als Zugabe spielte Svoboda noch auf dem „Abflussrohr“ ein witziges Stück mit japanischen Erklärungen und reger Publikumsbeteiligung. Von Hans Werner Henze war die 2012 entstandene Ouvertüre zu einem Theater zu hören, es ist sein letztes Werk. Eine Woche nach der Uraufführung verstarb der in Italien lebende Komponist im Alter von 86 Jahren. Er konnte das sechsminütige Stück nicht mehr hören. Zauberei, Magie, Maskerade, Pathos und Bouffonade leben hier äusserst grell auf, was das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Dennis Russell Davies in exzellenter Weise betonte. Melos, harmonische Struktur und kühne Architektur führten zu erregenden Höhepunkten – vor allem am Ende, wo alles auf eine glühende Klimax zusteuerte. Selbst eine geheimnisvolle Verbindung zur Zwölftontechnik war herauszuhören. Ein unruhiges Wechselspiel zwischen reifer Kontrapunktik und akkordlich erscheinenden kantablen Passagen führten zu ungewöhnlichen Klangergebnissen, die vom Staatsorchester unter Davies‘ Leitung genüsslich ausgekostet wurden. So gerieten die leidenschaftlichen Streicherpassagen nie aus dem Lot. Formsinn und rhythmischer Elan paarten sich mit feiner Charakterisierung unterschiedlichster Stimmungen im Orchester. Raffinierte Mixturen der Klangfarben gingen nicht verloren. Zum Abschluss war dann noch die graziös und sensibel musizierte Sinfonie Nr. 86 in D-Dur aus dem Jahre 1786 von Joseph Haydn zu hören. Dennis Russell Davies gilt als Haydn-Spezialist, der alle Sinfonien des Meisters einspielte. Er ist der Überzeugung, dass Haydns Sinfonien meist unterschätzt werden. Er setzte sie deswegen als Abschlusspunkt auf das Programm dieses Neujahrskonzerts. Schon das warm anhebende Adagio des ersten Satzes Allegro spirituoso berührte das Publikum ungemein, wo die beiden Themen gleichermaßen überzeugend und schwerelos leicht zur Geltung kamen. Das Capriccio begeisterte zwischen pathetischem Ernst und zartem Charme, der sich immer weiter auffächerte. Die Intensität des Largo wurde gut ausgekostet. Das Trio des Menuetts gefiel als Tanz aus dem Wienerwald, Schuberts Geist ließ grüßen. Der seltsame Trugschluss im Menuett wurde vom Staatsorchester unter Davies ausgezeichnet herausgearbeitet. Das atemlose Finale mit seinen arabeskenhaften Schlenkern und pompösen Trompetenstößen löste beim Publikum schließlich Begeisterungsstürme aus.
Alexander Walther