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STUTTGART/ Staatsoper: MEDEA von Luigi Cherubini

Gewitterszene im Mittelpunkt

08.03.2019 | Oper

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Simone Schneider als Medea. Foto: Martin Sigmund/ Staatsoper Stuttgart

 

STUTTGART: „Medea“ von Cherubini am 7. März in der Staatsoper/STUTTGART 

GEWITTERSZENE IM MITTELPUNKT

Medea galt als Zauberin und Meisterin blutiger Riten. Sie ermordete ihre eigenen Kinder, um sich an ihrem untreuen Mann Jason zu rächen, der die korinthische Königstochter Kreusa heiraten möchte. Medea tötet diese schließlich mit einem vergifteten Kleid. Zuletzt entlädt sich der Hass des Volkes gegen die Fremden und Medea wird von der Menge zusammen mit ihrer Dienerin Neris und Jason getötet.

Der Regisseur Peter Konwitschny entfaltet dabei in seiner subtilen Inszenierung grelle Bilder, die sich tief einprägen. Gleich zu Beginn sieht man als Bühnenbild eine riesige Meereslandschaft mit Bergen im Hintergrund. Dies ist allerdings die eindringlichste szenische Lösung, wohingegen manch andere Regieeinfälle verblassen. Es fehlt zuweilen ein noch stärkerer Bezug zur Mythologie. Doch die Personenführung ist sehr gut gelungen. Männliche Dominanz und weibliches Aufbegehren stehen in dieser Aufführung im Zentrum des Geschehens (szenische Leitung der Wiederaufnahme: Anika Rutkofsky). Rache gipfelt hier in unmittelbarer Selbstzerstörung, die sich auch in einer küchenartigen Nische abspielt. Kreon sucht Medea auf und beschimpft sie als Barbarin, möchte sie des Landes verweisen.

Peter Konwitschny verfügt bei dieser aufregenden Produktion über ein hervorragendes Team von Sängerschauspielern, die das Publikum sofort in ihren Bann ziehen. Er legt auf den politischen Aspekt dieses Werkes großen Wert. Und die dialektische Betrachtungsweise steht in jedem Fall im Vordergrund. Der gesellschaftliche Kontext, der zu dieser Tragödie führt, wird dabei genau betrachtet. Medea läuft hier jedenfalls nicht Amok. Simone Schneider bleibt in der Titelrolle selbst bei den schrillsten Szenen erstaunlich ruhig. Bei der gewaltigen Gewitterszene vor der monumentalen Meereskulisse erreicht diese glutvolle Aufführung aber ihren Höhepunkt, denn der begnadete Musikdramatiker Cherubini kommt dabei voll zu seinem Recht. Wenn Medea zu den Donner-Exzessen zu lachen beginnt, jagt diese Szene dem Zuschauer Schauer über den Rücken. Man beginnt wirklich zu frösteln. Die verschiedenen Gefühle der einzelnen Figuren werden von Cherubini in eindrucksvoller Weise in den einzelnen Personen ausgedrückt. Dabei überzeugt vor allem Simone Schneider als Medea, die ihrer Stimme seelische Zerrissenheit und machtvolle Fülle gleichermaßen zu verleihen vermag. Düstere und scharf punktierte Figuren der Streicher fesseln die Zuhörer bei dieser suggestiven Wiedergabe unter der einfühlsamen Leitung von Marie Jacquot (stellvertretende Generalmusikdirektorin am Mainfrankentheater in Würzburg). Harte Unisonomotive und auch leichtfüßige Themen wechseln sich bei dieser imponierenden Wiedergabe mit dem Staatsorchester Stuttgart in virtuoser Weise ab. Auch das reizvolle, kanonische Gegeneinander von Streichern und Holzbläsern hinterlässt hier einen geradezu atemlosen Eindruck, dem sich die übrigen Sänger anschließen. Matthias Klink vermittelt als verzweifelter Jason ein aufwühlendes Charakterporträt. Zwischen leidenschaftlich aufbrausenden Geigen kann er seine voluminösen Kantilenen in facettenreicher Weise entfalten. Graziöse kontrapunktische  Figuren werden von der umsichtigen Dirigentin Marie Jacquot immer wieder in eindrucksvoller Weise herausgearbeitet. Die feinen Verästelungen der Harmonik machen bei dieser Wiedergabe aber auch den Weg  frei zu einer stetigen Steigerung von geradezu klassischer Größe. Hier überzeugt auch die kraftvolle Interpretation des von Manuel Pujol ausgezeichnet einstudierten Stuttgarter Staatsopernchores, der die dynamischen Veränderungen und Verwandlungen der Musik opulent umsetzt. Die Staccato-Attacken gehen unter die Haut. Doppelgesichtige Themen erhalten eine bemerkenswerte Bedeutung. Davon profitieren neben dem von dem markanten Bariton Shigeo Ishino machtvoll verkörperten König Kreon auch dessen Tochter Kreusa, die Josefin Feiler mit nie nachlassender gesanglicher Intensität und strahlkräftiger Sopranstimme verkörpert. Helene Schneiderman steht ihr als stark emotional agierende Dienerin Neris in nichts nach. Die deklamatorischen und rezitativischen Partien werden hier hervorragend herausgearbeitet.

Dies gilt auch für die weiteren Sängerdarsteller Aoife Gibney (erste Brautjungfer) und Fiorella Hincapie (zweite Brautjungfer). Die beiden Söhne von Medea und Jason werden von Jakob Sökler und Julian Bosch mit Herzblut gespielt. Sie kämpfen zunächst scherzhaft mit Leuchtstäben gegeneinander, bis sie von ihrer Mutter Medea dann auf offener Bühne umgebracht werden. Wenn der Staatsopernchor durch die plötzlich aufgerissene Türe praktisch ins Geschehen hereinbricht, entfesselt sich die imponierende Größe dieser Musik mit gewaltig-ausdrucksvollem Gestus. Daran hat die ausgezeichnete Dirigentin Marie Jacquot einen entscheidenden Anteil. Sie entfacht mit dem Staatsorchester Stuttgart immer wieder Feuer und rasende Glut. Dass die anderen Figuren nicht schemenhaft verblassen, ist dabei eindeutig ihr Verdienst. Die großartigen Chorszenen ergänzen so in farbenreicher Weise das fieberhaft musizierende Orchester. Die Sänger werden hier aber nie alleine gelassen, sondern erhalten immer genug Luft zum Atmen. So können sie sich eindrucksvoll entfalten. Die explosive Stimmung dieses nahezu 222 Jahre alten Werkes wird bei dieser Produktion jedenfalls packend eingefangen. Bei den Dialogen hat der Regisseur übrigens radikal gestrichen. Alles, was mehrfach gesagt wird, hat er konsequent weggelassen. Das verstärkt die knappe, aber fesselnde Kraft von Cherubinis Komposition. Die Spannungskurve wird dadurch automatisch gesteigert, weil die durchlaufenden Rezitative fehlen. Dass die Musik zugleich eine Verfremdung des Gesprochenen ist, lässt Marie Jacquot als Dirigentin deutlich werden. Schon die Ouvertüre in f-Moll bricht in wildester Leidenschaft über den Hörer herein. Manches erinnert sogar an Joseph Haydn. Die B-Dur-Wendung mit Chor und Arie der Kreusa verschafft hier ebenfalls ein eigenartiges Stimmungsbild, das Simone Schneider als Medea gleich bei der F-Dur-Arie „Sieh die Gattin vor dir“ in großartiger Weise aufbricht. Der Tritonus-Charakter der Arien Kreons und Medeas unterstreicht deren Unversöhnlichkeit. Und der Staatsopernchor gerät zuweilen sogar in einen bacchantischen Taumel.

So gab es für das gesamte Team zuletzt begeisterten Schlussapplaus.  

Alexander Walther       

 

 

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