Staatsoper Stuttgart: „MADAMA BUTTERFLY“ 8.+24.10. 2021 – Starkes Zentrum auf fast leerer Bühne
Die beiden Amerikaner: Giorgio Berrugi (Pinkerton) und Serban Vasile (Sharpless). Foto: A.T.Schaefer
Die fast ganz ohne Ausstattung auskommende, auf ein raffiniertes Licht- und Spiegelkonzept aufgebaute (Bühne: Karl Kneidl) und ansonsten ganz auf die Personen in zeitlosen Kostümen (Silke Willrett) konzentrierte Inszenierung von Monique Wagemakers steuert mit dieser erneuten Aufführungsserie 15 Jahre nach der Premiere auch bald auf die 100. Vorstellung hin. Die Repertoire-Tauglichkeit für wechselnde Besetzungen sowie die Beliebtheit des Werkes beim Publikum sind sichere Garanten dafür, dass dieses nahestehende Jubiläum auch tatsächlich stattfinden wird.
In der Titelrolle gab jetzt die auch bereits Met-erprobte Kubanerin Elizabeth Caballero ihr Hausdebut und bildete wirklich das durchgehend alle Blicke auf sich ziehende Zentrum der Handlung, wie es seit der Premieren-Interpretin Karine Babajanyan keine andere Sängerin mehr in dieser Intensität geschafft hatte: mit ungeheurer körperlicher Spannung, die immer wieder an die flexible Bewegungsgabe einer Tänzerin erinnert, der schonungslosen Hingabe an das bis in die Fingerspitzen ausdifferenzierte Spiel der kleinen Dinge im Zuge von Cio-Cio-Sans unbeirrbarem Glauben an die Rückkehr ihres Mannes sowie einer am gleichen Strang ziehenden vokalen Entäußerung vom sanftesten Proklamieren bis zum verzweifelten Forte. Dabei ist der zuverlässig klar ansprechende Sopran mit leicht dunklem Einschlag beim ersten Eindruck eher zarterer Natur, doch entpuppt er sich bald als Organ mit verblüffender Tragfähigkeit und einer gleichzeitig schlank und doch üppig strömenden Kraft in den Ausbrüchen und melodischen Gipfeln. Nur gelegentlich weist ein leichtes Vibrato in den Zwischenlagen auf die Gefahr hin, dass die Stimme solchen Beanspruchungen doch nicht beständig gewachsen sein könnte. Doch wer mag sich schon einer attraktiven gehaltvollen Stimme in Verbindung mit geballter Emotionalität entziehen? Weitere Begegnungen mit ihr sind jedenfalls wünschenswert.
Im Laufe dieser Serie hatte es Frau Caballero gleich mit zwei verschiedenen männlichen Hauptrollen-Partnern zu tun. Zuerst mit dem ebenfalls Met-erprobten Giorgio Berrugi als Pinkerton mit großer Erscheinung, durchscheinend transparentem und in den Lagen ausgeglichenem Tenor ohne besonderes Timbre-Merkmal, aber mit hinreichend Gefühl und Nuancierungsfähigkeit sowie glaubhafter Reue bei der Rückkehr. Zwei Wochen später stand ihr der eher klein gewachsene Sizilianer Ivan Magri als Ehemann gegenüber – ein etwas mehr Farben und vor allem mehr Schmelz aufweisender Tenor, der zugunsten des Ausdrucks auch mal Ungenauigkeiten riskierte und in seinem verzweifelten Abschied und selbst noch in den drei finalen Butterfly-Rufen bewegend viel Ergriffenheit mitschwingen ließ.
Als Konsul Sharpless (der trotz weniger einprägsamer melodischer Äußerungen eigentlichen männlichen Hauptrolle) war zunächst der Rumäne Serban Vasile mit rundum warm sämigem, in der Höhe etwas an Markanz und Kern verlierendem Bariton, feiner musikalischer Phrasierung, doch als Figur etwas unprätentiös, zu erleben. Da ist Ensemble-Mitglied Jarrett Ott aus ganz anderem Holz geschnitzt. Allein sein Auftreten, die Bühnenpräsenz sind so tragend, dass er die Würde seines Amtes ohne einen Ton zu singen glaubhaft macht. Kommt dazu noch der in den tieferen Lagen männlich sonore und in den Höhen klangreiche und gut gestützte Bariton, ergibt das das Ideal des vergeblich um Cio-Cio-Sans Aufklärung ringenden und über ihre Reaktionen zutiefst bewegten Vermittlers.
Maria Theresa Ullrich zieht als fast freundschaftliche Dienerin Suzuki mit feiner Gestaltung und viel Berührung mitschwingen lassendem hellem Mezzosopran viele Sympathien auf sich. Torsten Hofmann ist ein mit dem Italienischen manchmal kämpfender, charaktertenoral scharfer Goro, der den Blick auffallend oft weg vom Spiel in Richtung des Dirigenten wirft. Jorge Ruvalcaba aus dem Opernstudio zeichnet einen noch etwas brav um Cio-Cio-Sans Gunst ringenden Fürsten Yamadori, Gerard Farreras donnert den Zorn des Priester-Onkels mit gebotener Wucht und Simone Jackel ist eine durchaus mitfühlende Kate Pinkerton, die die fremde japanische Welt beständig filmt und am Schluss den Fokus ganz auf das von der Mutter weg geschickte Kind (sehr tapfer: Yuna Liebehenschel) richtet, das im Zeitlupentempo Richtung Kamera läuft und zuletzt ganz groß projiziert auf den Hintergrund zu sehen ist. Ein stets starkes, zusätzlich erschütterndes Ende.
Letale Schlußszene: Elizabeth Caballero (Cio-Cio San) und Yuna Liebehenschel (das Kind). Foto: A.T. Schaefer
Der Staatsopernchor (Einstudierung: Bernhard Moncado) war für die Hochzeitsszene sicher vorbereitet. Der bislang hauptsächlich in seiner Heimat Italien aktiv gewesene Valerio Galli leitete das Staatsorchester Stuttgart nicht immer ganz präzise und die Lautstärken gegenüber den Sängern nicht durchweg abfedernd durch die stimmungsvollen Puccini-Valeurs, sorgte aber für einen fließenden und geschickten Aufbau der melodischen Entfaltungen.
Auch mit gewissen musikalischen Einschränkungen gab es zuletzt an beiden Abenden genügend Grund zur Freude und dementsprechender Akklamation des Publikums.
Udo Klebes