Simone Schneider, Okka von der Damerau. Foto: Matthias Baus
„Lohengrin“ von Richard Wagner in der Staatsoper Stuttgart am 12.1.2020
Am Ende kein Wunder
In der Inszenierung von Arpad Schilling und dem schlichten Bühnenbild von Raimund Orfeo Voigt bleibt viel Raum für die Psychologie der Partitur. Eine leere Box und ein schwarzer Schacht illustrieren das komplexe Geschehen um die unglückliche Liebe zwischen Elsa und Lohengrin, der ihr Retter sein will und am Ende scheitert. Stark ist das Gegenspieler-Paar Ortrud und Telramund gezeichnet, die bei der Wiederaufnahme (szenische Leitung: Judith Lebiez) sogar noch an Profil gewonnen haben. Die Kostüme von Tina Kloempken (Mitarbeit Kostüme: Saskia Schneider) beschreiben den Prozess der allmählichen Veränderung hin zur Jetztzeit durchaus suggestiv. Eine Sonderrolle nehmen die Schwäne in dieser nicht immer ganz überzeugenden Inszenierung ein. Zum einen werden sie mit blauen „Wassertüchern“ auf den Kreidekreis gelegt, zum anderen überreicht Lohengrin Elsa gleich zu Beginn einen Schwan. Nach der Ermordung Telramunds und dem Verrat Elsas bricht Lohengrin zur Verwandlungsmusik auf offener Bühne zusammen, zieht die Schwäne wutentbrannt unter dem Ehebett hervor und wirft sie von sich. König Heinrich, der das Reich einigen will, hat hier große Mühe, die miteinander verfeindeten Menschenmassen zusammenzuhalten. Besonders überzeugend werden allerdings die Szenen zwischen Ortrud und Telramund gestaltet, hier entfaltet sich zuweilen auch dämonische Größe aufgrund einer glaubwürdigen Personenführung. Bei der Wiederkunft von Elsas Bruder Gottfried geschieht aber am Ende kein Wunder, er wird dem Volk von Ortrud als echte Herrscher-Alternative vorgestellt. Lohengrin ist dabei kein Übermensch, sondern ein ganz normaler Zeitgenosse, der mit den unglücklichen Begleitumständen allerdings überfordert ist.
Okka von der Damerau. Foto: Staatsoper Stuttgart/ Matthias Baus
Soziale Vorgänge werden bei Arpad Schillings Inszenierung durchaus facettenreich beleuchtet. Deutlich wird aber auch, dass er als Regisseur an Führungsfiguren zweifelt. Eine einzelne Person kann keine Gesellschaft verändern. Man kann nicht verbergen, woher man kommt. Die Gesellschaft ist bei seiner Inszenierung jedenfalls komplett aus dem Gleichgewicht geraten. Es ist eine Männergesellschaft, in der Frauen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Elsa und Ortrud begehren gegen diese Ordnungsmacht allerdings gewaltig auf. Dies kommt eindrucksvoll zur Geltung. Elsa zückt nach Lohengrins Abgang zuletzt sogar ein Messer gegen diese Gesellschaft, die immer bedrohlicher auf sie zukommt. Das ist ein starkes Bild. Gleichzeitig empfinden die Brabanter den Sieg über Telramund als ihren eigenen Sieg. Lohengrin macht den Menschen auch deutlich, dass man sich in einer Notlage helfen kann. Schilling möchte bei „Lohengrin“ im Gegensatz zu Wagner keinen Auserwählten zeigen. Die Gemeinschaft braucht nur einen symbolischen Vertreter. Wagner sah in Ortrud die Frau, die sich politisch engagiert, was auch Arpad Schilling hervorhebt. Lohengrin versucht, vollkommen zu sein, was nicht gelingen will. Er bleibt immer auf Distanz zu den Menschen, was sein Scheitern beschleunigt. Für Schilling fußt die ganze Geschichte auf Gottfrieds Tod. Deswegen steht bei ihm am Ende die Desorientierung des Menschen im Mittelpunkt. Gleichzeitig vermisst man hier aber das Visionäre, das Wagners Werk ausmacht. Plastisch kommt jedoch am Schluss Ortruds Triumph zum Vorschein, die es genießt, dass Lohengrin seine Rolle abgegeben hat.
Musikalisch kann diese Aufführung in mehr als einer Hinsicht begeistern. Zum einen gibt Daniel Behle als Lohengrin mit strahlkräftigem Tenor ein überragendes Debüt, zum anderen verleiht Simone Schneider als Elsa von Brabant ihrer Rolle eine berührende Seelentiefe, die unter die Haut geht. Grandios und gewaltig zugleich werden auch die schwierigen Rollen von Ortrud und Telramund von Okka von der Damerau und Simon Neal gestaltet. In weiteren Rollen gefallen David Steffens als Heinrich der Vogler mit nicht immer gleich ausgeglichener stimmlicher Balance, Shigeo Ishino als Heerrufer des Königs, Torsten Hofmann als erster Edler, Heinz Göhrig als zweiter Edler, Andrew Bogard als dritter Edler und Jasper Leever als vierter Edler. Dazu gesellen sich die stimmlich homogenen vier Edelknaben Noriko Kuniyoshi, Heike Beckmann, Simone Jackel und Lucy Williams.
Cornelius Meister hat sich im Vergleich zur Premiere im September 2018 zusammen mit dem Staatsorchester Stuttgart sogar noch gesteigert. Die Verschmelzung des melodischen Materials zu einem organischen Ganzen gelingt sehr gut. Daniel Behle beleuchtet als Lohengrin das lichte A-Dur mit geradezu sphärenhafter Schwerelosigkeit – und Simone Schneider kann als Elsa ihrem Wesensausdruck in B-Dur unterschiedlichste Klangfarben entlocken. Die unheimliche fis-Moll-Welt von Ortrud und Telramund erhält bei dieser präzisen Interpretation ebenfalls deutliches Gewicht. David Steffens lässt als König Heinricht sein C-Dur majestätisch erstrahlen. Hervorragend hat Manuel Pujol wieder den Staatsopernchor Stuttgart einstudiert, dessen Kantilenen mit eherner Macht erklingen. Die Erinnerungsmotive betont Cornelius Meister bei seiner Wiedergabe sehr ausdrucksvoll. Dadurch erhält die wichtige Klangsymbolik ein deutliches Gewicht. Auch der oft geheimnisvollen Themenbildung gibt Cornelius Meister breiten Raum. So gab es zuletzt große und verdiente Ovationen für das gesamte Team. Der spätere „Märchenkönig“ Ludwig II. verließ diese Oper übrigens tränenüberströmt vor Rührung. Interessant ist auch, dass Wagner zur Komposition des „Lohengrin“ durch einen Kuraufenthalt angeregt wurde, den er mit Frau, Hund und Papagei im Jahre 1845 in Marienbad verbrachte.
Alexander Walther