Probenfoto: Daniel Behle mit dem Staatsopernchor. Foto: Staatsoper Stuttgart
Stuttgart: „LOHENGRIN“ 19.01.202 – Ein Glück auf Schwänen gebaut
Seit der Eröffnung von Viktor Schoners Direktion im September 2018 hat sich die musikalische Wiedergabe von Wagners Schwanenritter-Mythos deutlich verdichtet. Einerseits weil GMD Cornelius Meister die anfänglichen Lautstärke-Probleme in den Griff bekommen hat und das Staatsorchester Stuttgart (zuzüglich blitzsauber intonierender Blechbläser auf der Bühne) jetzt ausgewogener, vielfältiger abschattiert und in erweiterter Klarheit des Tons musiziert; andererseits weil sich auf dieser gefestigten Grundlage nun auch mehr Spannung aufbaut, die instrumentale Klangrede in noch lebhafteren Austausch mit den Singstimmen tritt. Mit Meisters sehr exakten Einsätzen und seinem intuitiven Gespür für Aufbau, Fluss und Tempi der Musik (nur das ätherisch feine Vorspiel gerät noch etwas zu schnell) ergab das in dieser letzten von drei weiteren Vorstellungen eine lebhafte, farben- und emotionsreiche Auseinandersetzung mit Wagners Klangkosmos, wofür Dirigent und Orchester bereits nach den Pausen mit einer Ovation bedacht wurden.
Der Zugewinn dieser kleinen Aufführungsserie resultierte aber auch aus einer überzeugenderen Gestaltung der Titelpartie, in der sich jetzt Daniel Behle vorstellte. Der vor allem auch als Lied-Interpret renommierte deutsche Tenor hatte erst Ende letzten Jahres in Dortmund sein Rollendebut absolviert und trat somit in schon etwas vertrauterer Form an. Behle ist das Vorbild eines klugen Sängers, der sich Zeit für die Entwicklung gelassen hat und nun so viel Körper, Unterbau und Kraft hinzugewonnen hat, ohne den lyrischen Kern seines hellen Tenors zu verlieren. Mit unverändert schlankem Tonansatz schwingt sich die Stimme ohne Mühe in die heldischen Ausbrüche. Die unangenehm hohe Tessitura der Partie wie auch die ganz natürlich eingebundenen Spitzentöne werden nie bewusst, die Stimme bleibt über alle Tücken hinweg im Fluss. Dazu kommt eine berührend verletzliche Interpretation des hier sehr unscheinbar und nur von einigen ausgestopften Schwänen begleiteten Ritters, die zuletzt unter dem Brautbett liegen und nach Elsas verbotener Fragestellung von ihm zornig heraus gezogen und gegen die Wand geschleudert werden.
In Simon Neals Telramund hat Behle einen mächtigen Kontrahenten, sowohl in der körperlich imposanten Zeichnung des schwächlich hörigen Charakters als auch in der bestechenden Plastizität und enorm expansiven Durchschlagsfähigkeit seines höhenstabilen Baritons. Auch er lässt keinerlei Zeichen einer besonderen Anstrengung vernehmen, mit der schon mancher Sänger zu kämpfen hatte.
David Steffens komplettiert das umbesetzte Herren-Trio als ungewöhnlich junger König Heinrich mit seiner Statur entsprechend bereits sehr gefestigtem vokalem Fundament, deutlicher Artikulation und sicher noch ausbaubarem Tiefenregister. Dem auffallend vornehm staffierten Heerrufer lieh wieder Shigeo Ishino seinen etwas harten und dennoch beweglich kernigen Bariton.
Unverändert auch die beiden Damen: Simone Schneider als etwas zu fraulich reife, aber in ihrer sensiblen Rollenzeichnung und mit differenziert leuchtendem sowie diesmal besonders frei strömendem Sopran ausgleichende Elsa. Und Okka von der Damerau als persönlichkeits-beeindruckende Ortrud, die Schmeichelei und Rachsucht gleichermaßen überzeugend auf der Zunge trägt. Leider gehen ihrem üppigen Mezzosopran mit drucklosen Höhen-Attacken dunklere Farben ab, die die Dämonie der friesischen Fürstentochter und auch den Kontrast zu Elsa bestärken würden.
Eine sichere Bank ist wieder einmal der Staatsopern- und Extrachor (Einstudierung: Manuel Pujol), da wird unterstützt durch den akustisch vorteilhaften, leeren farblosen und weit in die Tiefe nach hinten reichenden Bühnenraum von Raimund Orfeo Voigt ein Maximum an voluminöser Strahlkraft bei gleichzeitiger Transparenz erreicht – ein Naturereignis, das nichts mit bloßer Lautstärke zu tun hat. Dem Kollektiv gelingt es auch einer wie hier in beliebigen Allerwelts-Klamotten (Kostüme: Inga Kloempken) steckenden Masse ein Gesicht zu geben, zumal wenn es die Personenregie von Arpád Schilling zulässt. In dessen auf jeden Zauber verzichtender Visualisierung des Stoffes greift neben einigen fragwürdigen szenischen Konstellationen vor allem in den Zweier-Begegnungen eine zwischenmenschliche Ebene, die wiederum eine direkte Anteilnahme am Geschehen jenseits von Wagners Regieanweisungen ermöglichen.
Die unmittelbar stark übergreifende Vitalität der Aufführung mündete verdientermaßen in eine im Opernalltag auch nicht selbstverständlich tosende finale Begeisterung.
Udo Klebes