Esther Dierkes (Susanna) und Michael Nagl (Figaro), dahinter Sarah-Jane Brandon (Gräfin). Copyright: Martin Sigmund
Stuttgart
„LE NOZZE DI FIGARO“ 6.12.2019 (Premiere 1.12.) – Hochzeitsvorbereitungen in IKEA-Betten
In der letzten Inszenierung am Haus wurden noch ganze Zimmer mit mehrmals vertauschten Einrichtungen hin und her geschoben, jetzt sind es nur noch mehrfache Doppelbett-Modelle aus dem Haus Ikea, die teils in nebeneinander liegenden kleinen angedeuteten Kammern die Bühne maßgeblich bestimmen (Natascha von Steiger) und den Ausgangspunkt für die zentrale Idee der Regie von Christiane Pohle verbildlichen. Susanna und Figaro als Synonym für die stereotype Planung vieler gleicher oder ähnlicher angehender Paare bei der Auswahl ihrer künftigen Einrichtung. In Serien produzierte Betten als austauschbares statt individuell zugeschnittenes Objekt eines glücklichen Lebensentwurfes! Von der Vorproduzierung eines persönlichen Glücks als Kapitalismusgedanke ist da die Rede im Programmheft. Und so tummeln sich zuerst einige andere Paare, die sich später als Verdoppelungen des Opernpersonals heraus stellen, bei der Auswahl ihrer künftigen Ehebetten und testen sie liegend aus. Für die erste Szene der Mozart-Oper nach Beaumarchais einst revolutionärem Theaterstück mag dieser Gedanke und dieser szenische Einfall ja noch passen, aber schon bald entfernen sich in der Praxis Anfangsthema und szenisch vorgegebener Verlauf mehr und mehr voneinander. Die zahlreichen Handlungs-Situationen werden in dieser Kulisse teils ad absurdum geführt, wenn Intimität anstatt Öffentlichkeit eines Bettenhauses angesagt ist. Besagte Schlafplätze müssen als Versteck für Cherubino herhalten, ehe ihn der Graf entdeckt, oder als Trampelstätte für Wutausbrüche wie z.B. Bartolos Kampf gegen Figaro ansagende Arie dienen. Ohne einen einzigen historischen Bezug, vielmehr in Gegenwarts-Kostümen von Sara Kittelmann, kommt das Hauptthema der gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Aristokratie und Bürgertum nicht mal ansatzweise zum Tragen, es bleibt lediglich Behauptung. Die beiden anderen Da Ponte-Opern Mozarts mögen zeitlos sein, hier in dieser genial konstruierten Komödie liegt der Reiz gerade darin, in älteren Gesellschafts-Konflikten gewisse Parallelen zum Heute erkennen zu können.
Der Zündstoff des Werkes kommt kaum zum Tragen, das szenische Spiel erweckt zunehmend den Eindruck eines sich Verkrampfens in diesem nicht tragbaren Regie-Konzept, eines außer Achtlassens des fein mitschwingenden Humors, den die SängerInnen zumindest teilweise in Eigeninitiative zu retten versuchen. Dieses Beispiel bietet Gelegenheit die Frage zu stellen, warum denn Inszenatoren solche Stücke überhaupt angehen, wenn sie offensichtlich nichts mit ihnen anfangen können?!
Die musikalische Seite vermochte immerhin einen Großteil des Abends zu retten, wobei die Ouvertüre in der recht bläser-knatternden und schroffen Wiedergabe durch das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Roland Kluttig mehr irritierend denn hoffnungsfroh auf die Aufführung einstimmte. Doch dieses klangliche Manko wich von einigen wenigen Momenten abgesehen bald einem geschmeidigeren, federnderen Klangbild. Der künftige Chefdirigent der Grazer Oper wusste einiges an bedeutungsvollen Elementen heraus zu modellieren, das Tempogefüge überwiegend moderat zu halten und auf die vokalen Bedingungen einzugehen.
Ensemble-Szene: Johannes Kammler (Graf), Esther Dierkes (Susanna), Diana Haller (Cherubino) und Heinz Göhrig (Basilio). Copyright: Martin Sigmund
Mozarts Bühnenwerke werden zu Recht immer wieder als Ensemblestücke gepriesen, in diesem Sinne setzte Operndirektor Viktor Schoner fast ausschließlich auf hauseigene Kräfte sowie den Einsatz des Sänger-Nachwuchses. Allen voran der jüngst dem Opernstudio entwachsene Wiener Michael Nagl in der Titelrolle, dessen echter Bass mit zwar noch nicht sonderlich fundierter, aber doch seriöser Tiefe, einer gleichmäßigen Mittellage und drucklos ansprechenden Höhe auch den Rezitativen Ausdrucks-Gewicht und der Rolle insgesamt bewegliche Miene zu geben vermag. Etwas zurückhaltender, zumindest in der gegenüber sonst seltsamerweise auf Schonkurs eingesetzten Stimme, wirkte Esther Dierkes als lebenskluge Susanna. Ihr im Prinzip schön abgerundeter Sopran konnte sich nicht durchgehend tragfähig behaupten. Da ist Sarah-Jane Brandon als Gräfin schon ein anderes Kaliber mit edel verblendeten Sopranregistern, lyrisch fein ausschwingenden Bögen und auch in der Emphase des Aufbegehrens leichter Führung. Stramm im Zuschnitt und biegsam im Tonansatz ist Johannes Kammler als etwas hemdsärmelig gezeichneter Graf. Sein ganz klarer und sorgfältig eingesetzter Bariton gibt dem Frauenhelden die ideale vokale Statur zwischen sanftem Schmeicheln und kontrolliertem Wüten.
Einen ungewohnten Anstrich, nicht nur in der szenischen Verordnung als einen Mann spielende Frau, die dann wiederum als solche verkleidet wird, auch im vokalen Charakter verpasst Diana Haller dem immer wieder in die Quere kommenden Cherubino. Mit fast männlich dunkler Glut sind hier die beiden berühmten Canzonen des Pagen zu hören, wo sonst eher zarte und hellere, sopranlastigere Stimmen eingesetzt sind. Wie sinnlich temperamentvoll der Publikumsliebling die Rolle zum Leben erweckt und dabei nicht ganz verleugnen kann, diesem Rollenfach bereits etwas entwachsen zu sein, macht vielleicht auch das Besondere an diesem Auftritt aus.
Auch ohne die diesmal fehlende philosophierende „Capra“-Arie kann Helene Schneiderman der hier gar nicht komischen Alten, sondern etwas anbiedernd aufgeputzten Marcellina deutliche Kontur mit einigen überraschend scharfen und herrlich ironisierend gefärbten Einsätzen ihres ansonsten lieblich schönen Mezzos geben. Friedemann Röhlig ist ein potenter bass-baritonaler Bartolo, Heinz Göhrig ein amüsierend intriganter Basilio mit durchdringend charaktervollem Tenor. Matthew Anchels bewegungs-begrenzter Bass lässt den polternden Gärtner Antonio gepflegter und braver als sonst erscheinen, Claudia Muschio als Kurzhaar-Barbarina mit kräftiger als sonst dafür gewohntem lyrischem Sopran aufhorchen, und Christopher Sokolowski ist der eher unauffällig schmal-tenorale Richter Don Curzio.
Die kleine Formation des Staatsopernchores Stuttgart hat Bernhard Moncado für seine beiden Kurzauftritte wie immer als höchst kompetente Sänger-Darsteller vorbereitet.
Schade für die vertane Chance einer repertoire-gerechten Neueinstudierung des Komödien-Klassikers, den das Publikum dennoch mit hörbar einigem Vergnügen und gerechten Lobeshymnen für das musikalische Personal quittierte.
Udo Klebes