Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART: Staatsoper: LA BOHÈME – Gedanken über das Kunstobjekt

26.12.2019 | Oper

Bildergebnis für staatsoper stuttgart la boheme
David Junghoon Kim als Rodolfo. Foto: Martin Sigmund

Puccinis „La Boheme“ am 26. Dezember 2019 in der Staatsoper/STUTTGART

Gedanken über das Kunstobjekt

In dieser überaus bunten und leuchtkräftigen Inszenierung von Andrea Moses wird die todkranke Mimi in Marcellos Atelier am Ende selbst zum Kunstobjekt. Die Arbeit von Andrea Moses zielt so ganz auf die Produktionszusammenhänge von Kunst ab. Dazwischen leuchtet im Bühnenbild von Stefan Strumbel (Co-Bühnenbildnerin: Susanne Gschwender) immer wieder die Überschwänglichkeit der Gefühle auf. Und die turbulenten Straßenszenen spielen dann in einer schwäbischen Stadt. Eine Kirche ist in raffinierter Weise in ein Kaufhaus eingebaut, was den großen Massenaufläufen zudem eine elektrisierende Wirkung verleiht. Das Straßenleben am Montmartre mit seinen Prostituierten und gestrandeten Playboy-Existenzen lässt die Regisseurin hier gekonnt Revue passieren. Die großen Häuserfassaden gewinnen auch im Schneetreiben eine klare Kontur. Man ahnt die Vergänglichkeit und Verlorenheit einer ganzen Generation.

Mimi wirkt dabei oft wie ein Fremdkörper, der sich mit seiner ungewohnten Umgebung schwer tut. In Marcellos Atelier sieht man viele Bildschirme, die die Modernität und Zeitlosigkeit des Inszenierungsstils noch unterstreichen. Sicherlich sind nicht alle Szenen gelungen – doch wenn der Mercedes-Stern auf dem Weihnachtsbaum vor dem Cafe Momus aufleuchtet, wird damit auch der gnadenlose Konsumismus kritisiert. Trotz aller existenziellen Not kommt sich das Liebespaar Rodolfo und Mimi in dieser manchmal recht skurrilen Pop-Art-Welt rasch näher. Und auch die zickig gezeichnete, grell-blonde Musetta gerät angesichts von Mimis Todeskampf in einen überwältigenden Gefühlssog, der sie und die anderen Protagonisten nicht mehr loslässt. Überhaupt sind die Schluss-Szenen mit der sterbenden Mimi hier am besten gelungen. In großen Video-Sequenzen von Adrian Langenbach und Anne Bolick gewinnt Mimis Todeskampf im Künstleratelier eine ungewöhnliche Intensität, die unter die Haut geht. Andrea Moses hat keine Furcht vor Emotionen, ein großer dramatischer Bogen ist dabei durchaus festzustellen. Der dritte Akt wird so zu einer ergreifenden Auseinandersetzung mit dem Tod, was ihr besonders gut gelungen ist. Die Problematik des Künstlerdaseins wird so auf die Spitze getrieben. Das Brutale der Handlung und die Verzweiflung der beiden Männer zu Beginn der Oper legt die Inszenierung schonungslos offen.

Bildergebnis für staatsoper stuttgart la boheme
Foto: Martin Sigmund

Auch die Kostüme von Anna Eiermann überzeugen aufgrund ihres Einfallsreichtums. Unter der pulsierenden Leitung von Christopher Schmitz musiziert das Staatsorchester Stuttgart mit viel Einfühlungsvermögen, selbst wenn das Zusammenspiel der einzelnen Orchestergruppen zuweilen noch homogener sein könnte. Die dramatischen und stimmungsvollen Elemente werden so gleichermaßen eindringlich ausgereizt. Auch die unglaubliche Fülle kleiner Themen und Motive zeigt immer wieder eine erstaunliche Präzision, die sich in überzeugender Weise auf die Sängerinnen und Sänger überträgt. Die bewegliche Rhythmik lässt sich dabei in keine starre Metren pressen.

David Junghoon Kim agiert als Rodolfo mit großer gesanglicher Strahlkraft, die seiner Tenorstimme starke innere Stabilität verleiht. Olga Busuioc ist eine leidenschaftliche Mimi, die sowohl dem Parlando- als auch dem Arioso-Charakter dieser Musik überzeugend gerecht wird. Die Spitzentöne ihrer Sopranstimme wirken nie aufgesetzt, sondern klingen sehr natürlich, unverbraucht und höchst erfrischend. Und die Liebesszene zwischen Rodolfo und Mimi zeigt hier eine erstaunliche Zartheit, die die Zuhörer bewegt. Der Dirigent Christopher Schmitz besitzt dabei viel Einfühlungsvermögen.

In weiteren Rollen fesseln Elliott Carlton Hines als Schaungard, Johannes Kammler als Marcello, Goran Juric als Colline, Matthew Anchel als Benoit und vor allem die ungemein stimmgewaltige und klangfarblich wandlungsfähige Aoife Gibney als divenhafte Musetta. Der Musetta-Walzer klingt dabei ungewöhnlich beschwingt. Das Duett von Rodolfo und Marcello sowie das bewegende Mantellied des bassgewaltigen Philosophen Colline zeigen harmonische Vielschichtigkeit. Die Macht der Erinnerungsmotive kommt präzis zum Vorschein. Zum fabelhaft aufeinander abgestimmten Ensemble zählen ferner Alois Riedel als famoser Parpignol, Sasa Vrabac als Alcindoro, Kristian Metzner als Sergeant, Ulrich Frisch als Zöllner sowie Alexander Efanov als Pflaumenverkäufer.

Der von Bernhard Moncado kompakt einstudierte Staatsopernchor Stuttgart sowie der Kinderchor der Staatsoper Stuttgart zeigen bei den Massenszenen eine ausgezeichnete Leistung. Und die durchkomponierte dramatische Großform offenbart bei dieser Aufführung starke Wirkung. Die szenische Leitung der Wiederaufnahme hat Carmen C. Kruse. Dass Puccini eben nicht „der Verdi des kleinen Mannes“ ist, macht diese Vorstellung deutlich. Jubel und Ovationen.            

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken