Staatsoper Stuttgart: „JUDITHA TRIUMPHANS“ 11.2.2022 (Premiere 16.1.2022) – zwiespältige Verschiebungen
Foto: Martin Sigmund
Dieses ungewöhnliche Projekt war das erste Premieren-Opfer des der Pandemie geschuldeten Lockdowns geworden. Knapp zwei Jahre später wurde das fertig geprobte Stück nun der Öffentlichkeit präsentiert und hinterläßt bei aller tief bewegenden Schönheit der Musik und so manch szenisch aussagekräftiger Symbolik einen zwiespältigen Eindruck. Das liegt zunächst mal in der Gestalt des Werkes als Oratorium, das es trotz so mancher bildlicher Anreize zum Trotz auch bleibt, wenn es noch so sehr versucht wird als Oper erscheinen zu lassen.
Auch die Inszenierung durch Silvia Costa ist differenziert zu betrachten. Ihr Ausgangspunkt ist die Gestalt der als Mythos überlieferten jüdischen Witwe Judith nicht als individuell einzigartige Figur, sondern stellvertretend für alle Frauen. Natürlich muss ihre Tat im Laufe der Geschichte immer wieder neu betrachtet werden. Der Komponist Antonio Vivaldi setzte 1716 einen politischen Bezug zur damaligen Abwehr der Osmanen durch Venedig wie auch eine moralische Ermutigung an Frauen. Dennoch sollte die Geschichte zwischen Judith und dem gegnerischen assyrischen Feldherrn Holofernes konkret eine solche bleiben. Stattdessen zeigt die Regisseurin eine Gemeinschaft von Frauen in uniformiertem Weiß, in das sich im zweiten Teil als Symbol der mörderischen Tat Judiths ein Blutrot mischt (Kostüme: Laura Dondoli). Die später noch zu erläuternde rein weibliche Besetzung des Werkes mag dazu durchaus einen Anlass geben, dass hier alle als Gruppe für das gleiche Prinzip stehen. Männliche Attribute wie Stärke und Überlegenheit kommen so gar nicht zum Tragen, wodurch der eigentliche Konflikt bzw. die so revolutionär anmutende überwältigende Kraft der Frau gegenüber einem Mann nicht wirklich gegeben ist.
In Costas unter Mitarbeit von Maroussia Vaes konzipiertem Bühnenraum wird die Gegenüberstellung von Öffentlichkeit und Privatheit vertauscht, der Tatort Zelt in den Mittelpunkt des ersten Aktes gestellt, die Ermordung dann aber in den freien Raum einer angedeuteten Arena verlagert, wo sich auch auf einem Sockel eine übergroße Puppe des bereits kopflosen Holofernes befindet, die dann immer mehr nach unten kippt.
Solche Äußerlichkeiten beeinträchtigen letztlich nicht die rituelle Führung der Frauen bei ihren Tagesaktivitäten wie auch die poetische Aufschlüsselung der Arien als eigentliche Signalgeber für die Vorgänge, während die sonst die Handlung vorantreibenden, sehr knapp gehaltenen Rezitative fast konzertant anmutende Kommentare bleiben.
Mit Bändern, Schleiern, einer in aller Langsamkeit prozessierten Waschung (Salbung) Judiths vor der Tat sowie einer visuell ohne Blutvergießen auskommenden Veranschaulichung der Tötung des Holofernes durch eine Kopf-Attrappe des Interpreten findet Costa zu teilweise klar verständlichen, aber auch rätselhaft bleibenden Bildern.
Nun aber zur musikalischen Vorlage Vivaldis, deren rein weibliche Besetzung sich aus der Bestimmung für Venedigs Mädchenwaisenhaus Ospedale della Pietà erklärt. Die im Gegensatz zum Chorpart meist technisch anspruchsvollen Solopartien lassen darauf schließen, dass diese schulische Einrichtung über einen ausgeprägt hohen musikalischen Standard verfügt haben muss. Dass alle fünf Solisten für Mezzosopran geschrieben sind, trägt nicht gerade zur Spannung bei, zumal das Fehlen männlicher Stimmen ohnehin schon Kontraste verhindert.
Eine besondere Sympathie muss Vivaldi offensichtlich für Holofernes Diener Vagaus gehegt haben, denn die animierteste Musik mit den virtuosesten Arien sind ihm anvertraut, während sich die der beiden Hauptrollen in oft gleichmäßig lyrischem Fahrwasser bewegen, manchmal sehr atmosphärisch intim (mit Solo Mandoline) und seitens Judiths seelenvoll, dazwischen aber auch eher uninspiriert trocken.
Es überrascht für den hohen Anspruch des Hauses schon, wenn nur zwei der fünf Rollen wirklich erstklassiges Format haben. Diana Haller ist als Vagaus, der in einer Nebenhandlung Judiths Amme einen Antrag macht, wie eben erwähnt kompositorisch bevorzugt, so dass es ihr mit ihren ohnehin aussergewöhnlichen technischen Voraussetzungen sowie ihrer szenisch-gestalterischen Präsenz ein Leichtes war, die anderen zwar nicht gegen die Wand zu singen, aber doch weit hinter sich zu lassen. Keine rasende Koloratur, kein irrer Tonsprung, kein abrupter Wechsel vom Forte ins Piano, keine über viele Takte tragende lange Phrase ist ihr zu schwer. Ihr Mezzosopran funkelt und brilliert ohne Ende.
Nur die rollengerecht aparte Rachael Wilson als Judith vermag ihr das Wasser zu reichen – als lyrischer Gegenpol mit einigen unüberhörbaren Momenten dramatischeren Potentials. Die fein timbrierte und dynamisch nuancierende Stimme bringt immer wieder eine Spur Sinnlichkeit in so manch trockenen Abschnitt, transportiert Charisma in zum Werk passender meditativer Form. Nach Charlotte und Fricka hat sie mit dieser wieder völlig anders gelagerten Partie vokale Bandbreite bewiesen. Von ihr darf noch viel erwartet werden.
Stine Marie Fischer verfügt für Holofernes über eine passend große stattliche Erscheinung, doch mangelt es ihrem auch im Altfach eingesetzten Mezzo immer wieder an Durchsetzungskraft und durchgehend konstanter Tonqualität, auf eine überzeugende Phrase folgt wieder eine flach und unterbelichtet bleibende. Schade um ihr herausstechend dunkles Timbre, das eine ideale Grundlage für männliche Rollen bietet.
Als Lieblichkeit verbreitende Amme Abra lässt Gaia Petrone einen lediglich durchschnittlichen, zu wenig klaren, teilweise tonverquollenen Mezzosopran kleinerer Natur hören. Dass auch Linsey Coppens als Oberpriester Ozias wenig Durchsetzungskraft aufweist, belässt diesen Part unterbelichtet, kann der noch jungen im Opernstudio befindlichen Sängerin mit weichem Timbre und sauberer Stimmführung aber nicht zum Vorwurf gemacht werden. Sie ist zumindest im jetzigen Stadium ihrer Entwicklung mit dieser Rolle ungünstig bedient.
Die Damen des Staatsopernchores (Einstudierung: Bernhard Moncado) verbreiteten geschlossene Stimmgruppen-Harmonie zu ihrer gewohnten Kraft szenischer Gestaltung, können aber nur am Beginn und am Ende, wenn sich zum barock typisch besetzten Orchester Trompeten und Pauke gesellen, ihr vokales Volumen einbringen.
Am Pult des mit einer Continuo-Gruppe aus Gamben, Theorben, einer Bassviolone, Cello und Cembalo angereicherten Staatsorchesters Stuttgart waltete Benjamin Bayl mit so weit wie möglich animierend koordinierender Hand, ließ die Musik atmen und Platz für Zwischenräume. Mehr kann für Vivaldis letztlich ein Oratorium bleibendes Opus nicht getan werden. Und die szenische Komponente regte durchaus zum Nachdenken aber auch Nachsinnen an.
Recht kurzer Applaus mit Ovationen für Diana Haller und das Orchester.
Udo Klebes