Joyce El-Khoury, Johannes Kammler. Foto: Staatsoper Stuttgart/ Sigmund
Stuttgart
„IPHIGENIE EN TAURIDE“ 18.2.2020 – mit ausgewechseltem Solisten-Ensemble
Eine komplett ausgetauschte Besetzung der tragenden Solisten und des Dirigenten gab zugleich die Chance einen weiteren Blick auf Krzysztof Warlikowskis letzte Saison von der Opéra National de Paris übernommene Inszenierung der Gluck-Oper zu werfen.
Ein sich im durchsichtigen Vorhang spiegelndes Publikum sowie die Ausgangsposition einer mit anderen Altersgenossinnen im Seniorenheim in die Vergangenheit zurück blickenden Iphigenie ist deutlicher Verweis und Gelegenheit in einem, die Handlung aus der Antike in die Gegenwart zu holen. In Malgorzata Szczesniaks Bühnenraum und Kostümen vollzieht sich diese Zeitverschiebung mit diversen Rückblenden hinter Glas. Anfangs dauert es etwas bis diese Vorgänge verständlich werden, doch spätestens ab dem zweiten Teil steigert sich die Inszenierung der nun mehr vorwärts drängenden Handlung parallel zur nun auch musikdramatisch griffigeren Musik zu spannender Dichte.
Joyce El-Khoury braucht als Iphigenie etwas Anlauf um ihren an sich fülligen und gut durchgebildeten Sopran voll entfalten zu können. Anfangs erscheint er auch im Hinblick auf eine noch etwas undifferenzierte Tongebung schwächer als er sich dann in den beiden letzten Akten mit nun mehr verlangten Zwischentönen behauptet, wodurch dann Ausbrüche eine umsomehr den Raum füllende Attacke gewinnen. Die bei zarterem Einsatz leicht fragil anmutende Mittellage verleiht ihrer Interpretation einen eigenen Reiz, der wiederum gut zu Iphigenies Seelenzustand passt. Hand in Hand mit einer fließenden Körpersprache ohne Aufgesetztheiten vermag sie deren Leiden, Ängste und Zwiespälte glaubhaft und berührend Ausdruck zu geben.
Die gealterte Iphigenie, die sich zunehmend in ihre Erinnerungen hinein steigert, mehrmals versucht ins Geschehen einzugreifen und zuletzt buchstäblich in die Knie geht, wird von der Schauspielerin Renate Jett wieder mit ergreifender Physiognomie verkörpert.
Als von Träumen seines Muttermordes gequälter Orest sorgt Johannes Kammler mit strammem, fundiertem, dabei beweglich und nuanciert eingesetztem Bariton für ebenso viel emotionale Beteiligung wie es Mingjie Lei als sein Freund Pylade durch einen Belcanto-Tenor mit reinem Timbre und Kraft für expressive Hingabe gelingt, ohne dadurch an konstanter klanglicher Qualität zu verlieren. Der jüngst auch am Opernhaus Zürich erfolgreich aufgetretene Chinese dürfte auch im Hinblick auf seine schauspielerische Natürlichkeit ein Hoffnungsträger für die Zukunft sein.
Michael Mayes gibt dem rasenden Herrscher Thoas mit machtvollem, leicht sprödem Bariton fast beängstigend viel Gas und boshaften Unterton. Nur gut, dass die Partie eher klein und sein Dauerforte-Einsatz somit begrenzt ist.
Mit der Verlegung der Göttin Diana (Carina Schmieger mit solidem Sopran) und des kommentierenden Chores ins Off hat sich die Regie einer szenischen Darstellung dieser Parts entzogen und darüber hinaus eine durchaus glaubwürdige Lösung für außerhalb der Handlung stehende Funktionsträger gefunden. Der somit unsichtbare Staatsopernchor Stuttgart offenbarte auch in gedämpfterer Präsenz seine besonderen Fähigkeiten an vokaler Gestaltung. (Einstudierung: Bernhard Moncado).
Christopher Moulds führte das Staatsorchester Stuttgart spannungsvoll durch alle Höhen und Tiefen des Werkes, ließ ebenso feine Nuancierung wie leicht geschärftes Zupacken walten und so die Qualitäten der Partitur gut austariert und nur gelegentlich etwas zu forsch und knallig zu ihrem Recht kommen.
Ungeachtet der Hinzufügung durch die Regie sind die Statistinnen für ihre in Mimik und Bewegung bewundernswert bühnenreifen Auftritte der Seniorinnen wieder zu erwähnen.
Starker anerkennender Applaus für eine konzeptionell zwiespältige, aber im Ergebnis lebhaft bewegende Aufführung.
Udo Klebes