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STUTTGART/ Staatsoper: IL TROVATORE. Premiere. überstrapazierte Psychologie statt Fluss der Emotionen

13.06.2024 | Oper international

Staatsoper Stuttgart

IL TROVATORE“ 9.6. (Premiere) – überstrapazierte Psychologie statt Fluss der Emotionen

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Atalla Ayan (Manrico). Foto: Matthias Baus

Bereits die Einführung vor der Vorstellung hinterließ hinsichtlich des erklärten Inszenierungskonzepts einige Skepsis, doch es kam noch schlimmer als befürchtet und bescherte eine Klassiker-Überfrachtung, die sich gewaschen hat und während der Aufführung immer wieder Kopfschütteln auslöste. Paul Georg Dittrich und sein Team Christof Hetzer (Bühne), Mona Ulrich (Kostüme), Janine Grellscheid (Choreographie) und Ingo Gerlach (Dramaturgie) haben Verdis mit zahlreichen Klischees behaftete Oper gründlich verkopft anstatt ihre angeblich verwirrte (warum eigentlich?) und nicht immer logische Handlung klar und konzentriert zu vermitteln.

 Die blitzlichtartige Aneinanderreihung der Szenen dient ihnen als Begründung für einen stilistisch beliebigen Mischmasch zwischen Horrorfilm, Phantasiewelt, Märchen und Endzeit-Drama. Der die Bühne unnötig einengende Guckkasten mit seitlich nach hinten führenden Wänden liefert dabei in Kombination mit teils gespenstischen Lichteinstellungen und Schattenspielen eine durchaus dem Werk entsprechende Atmosphäre, doch die Gewandungen zeigen ein teils abstruses Sammelsurium von Karo-Muster Uniformen und aus Film und Literatur unterschiedlicher Epochen bekannten Charakteren, obwohl das auf einem Schauspiel von Antonio Garcia Gutiérrez fußende Werk entgegen der Behauptung des Regisseurs trotz teils größerer Zeitabstände zwischen den hier Teile genannten Akten eine stringente, zusammen gehörende Geschichte erzählt. Die Schlaglicht-Abfolge der Szenen rechtfertigt nicht sie durch mehrere Zeitalter zu jagen. Geschildert wird sie hier aus Sicht des Grafen Luna, der als einziger auch aus dem Guckkasten heraus an der Rampe agiert und am Schluss ebenfalls als einziger der vier Außenseiter-Protagonisten überlebt. Wenn sich zu den letzten Tutti-Schlägen die Bühne dreht und einen zweiten leeren Raum freigibt, in dem Luna wie in seinem eigenen Gefängnis zurück bleibt, ist zumindest das Finale symbolisch nachvollziehbar gelöst. Warum jedoch im sogenannten Gefängnisbild alle vier in gleichen roten Anzügen mit Krawatten auftreten, gehört ebenso zu den offenen Fragen wie die Klosterszene, in der Leonora als peinlich unwürdig ausstaffierte Rotkäppchen-Persiflage erscheint und sich auch sonst nicht nachvollziehbare Aktionen die Hand reichen. Auch ein verrosteter Kinderspielplatz im ersten Bild, ein abgestorbenes Maisfeld, in dem sich Leonora im Petticoat und Manrico im Safari-Look zur Trauung Bälle zuwerfen, hinterlassen reichlich fragende Blicke. Zur gravierendsten Crux der Inszenierung gerät indes der Versuch Lunas rasende Gedanken zwischen Rachedurst an Azucena und der Rivalität zu Manrico um die von beiden geliebte Leonora szenisch umzusetzen. Dafür kommt eine wie die Hauptdarsteller staffierte Gruppe von Artisten ins Spiel (ihre Kunst beherrschen sie zweifellos, doch das steht auf einem anderen Blatt), die bereits im Zigeunerlager eine Kletterwand bevölkern und sich in ihrer Darstellung zunehmend akrobatisch verselbständigen. Im vorletzten Bild wird das so weit auf die Spitze getrieben, dass die Sänger zu Nebenrollen degradiert werden. So etwas darf nicht passieren und sollten sich diese auch nicht gefallen lassen. Doch nicht nur da, auch bei der Unterbrechung der Szenen durch eine Klangcollage mit  sich überlagernden inneren Stimmen des Wahns und Traums (Texte: Heiner Müller) – wozu diese psychologisch thematische Parallele??? – und dem anfangs von Kindern statt der Soldaten übernommenen Chorpart zu Ferrandos Erzählung hätte der Dirigent Antonello Manacorda insistieren und solche Auswüchse verhindern müssen.

Auch in musikalischer Hinsicht vermochte er nicht die Kohlen aus dem Feuer zu holen, kamen von ihm nicht die Impulse, die von einem Landsmann Verdis erwartet werden dürfen. Vor allem das Feuer dieser Partitur und die emotionale Spontaneität, für die der Dirigent der vorhergehenden Neuinszenierung Nicola Luisotti so lebhaft in Erinnerung geblieben ist, blieben zumindest phasenweise auf der Strecke. Mit dem gut präparierten Staatsorchester Stuttgart gelang eine wohl solide, aber nur selten Akzente setzende und zündende Funken schlagende Umsetzung. Der Staatsopernchor Stuttgart (Einstudierung: Manuel Pujol) kann sich trotz überwiegend merkwürdiger Spielanweisungen (der Zigeunerchor, der von seiner direkten Präsenz lebt, hinter!!! der Bühne, das ist auch akustisch problematisch) zum Glück mit viel Verve, Intensität, ausgeglichener Intonation und situationsgemäßer Nuancierung voll behaupten.

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Ernesto Petti (Luna), Kristina Stanek (Acuzena)). Foto: Matthias Baus

Der hier im Mittelpunkt stehende Graf Luna ist mit Ernesto Petti gesamtkünstlerisch bombig besetzt. Wie von Testosteron gesteuert in der Fülle seines baritonalen Materials, kernig männlich im Timbre, weitem Legato-Atem, spannkräftig attackiertem Höhenregister und expressiv in der darstellerischen Verausgabung, sollte der noch junge Sänger doch aufpassen sein Potenzial zu früh zu verheizen. Dass sein Bruder Manrico keine Chancen gegen ihn hat, heißt aber glücklicherweise nicht, dass Atalla Ayan bei seinem gespannt erwarteten Rollendebut auf verlorenem Posten stand. Mit dem Schmelz seines attraktiv sinnlichen Tenors, der durchgängig sicher unter Kontrolle gehaltenen und doch so beherzt vom Gefühl gesteuerten Führung weiß er die mit großen Erwartungen verbundene Partie nuanciert(er als in seinen Anfangsjahren) auszufüllen. Nur bei der gefürchteten Stretta wirkte er noch etwas gehemmt und brachte sie noch etwas vorsichtig und kurzatmig zum Abschluss.

Die beiden Damen vervollständigten das Quartett ausgezeichneter Interpreten, die vielfach zitiert wohl bei diesem Werk für einen vollen Erfolg ausreichen. Selene Zanetti ließ bei ihrer ersten Leonora in keinem Moment einen noch gebremsten Einsatz erkennen. In der idealen Verbindung ihrer lyrischen und dramatischen Veranlagung, bleibt sie der Partie, von einer noch etwas unergiebigen Tiefe abgesehen, nichts an Dringlichkeit, an jederzeit souveräner Beherrschung bis hin zu Koloraturen und Trillern sowie sensibler Vermittlung schuldig. Für die z.Tl. ihrer Figur nicht angemessene Kostümierung kann sie einem nur leid tun.

Im äußerst dünn besetzten Reservoir an dramatischen Mezzosopranen ist Kristina Stanek mit ihrer üppigen und doch immer schlank expressiv geführten Stimme ein willkommener Zuwachs. Helle und dunkle Farben mischen sich in ihrem intensiven, die quälenden Erinnerungen beklemmend nachvollziehenden Vortrag zu einer dichten Auslotung ihres umfangreichen Registers, das an beiden Enden keine Grenzen überschreitet.

Profund im Ton, in der vollen Höhe immer deutlicher zum Bariton tendierend, gibt Michael Nagl dem Hauptmann Ferrando prägnante, aber auch fragwürdig agierende Gestalt. Itzeli Jauregui ist mit ihrem dunkel leuchtenden Mezzosopran für die Stichwortgeberin Inez fast eine Luxusbesetzung, Piotr Gryniewickis versiert klingender Tenor den kurzen Einwürfen des Getreuen Ruiz angemessen.

Die Hauptakteure wurden ebenso verdient gefeiert wie das Regieteam mit einem Buhkonzert, vermischt mit Gegenstimmen, abgestraft. Statt dieser reichlich überflüssigen Premiere hätte eine Wiederaufnahme der bisherigen, überaus werkdienlichen Inszenierung von Nicolas Brieger aus dem Jahr 2001 bessere Dienste geleistet.

 Udo Klebes

 

 

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