„Il trovatore“ von Giuseppe Verdi am 9.6.2024 in der Staatsoper/STUTTGART
Im Bann eines Traumas
Ernest Petti (Luna), Itzeli Jauregui (Ines9, Atalla Ayan (Manrico). Foto: Matthias Baus
Paul-Georg Dittrichs Inszenierung von Giuseppe Verdis „Il trovatore“ rückt traumatische Erfahrungen ins grelle Zentrum des Geschehens. Die schachtartige Bühne von Christof Hetzer und die Kostüme von Mona Ulrich lassen neben einem toten Pferd auch mittelalterliche Folterszenen auf der Streckband und Zombie-Soldaten aus verschiedenen Geschichtsepochen erkennen. Manchmal erscheint hier die groteske Welt Edgar Allan Poes und E.T.A. Hoffmanns. Es gibt auch Schwachstellen wie rote Luftballons, Clownsmasken und absurde Stimmen nach jedem Vorhang, die die Schriftzüge auf dem Vorhang ergänzen. Sogar zu Herzog Blaubarts Burg gibt es Assoziationen, die nicht sonderlich gelungen sind. Neben Wiederholungen von Vorgängen nimmt man Zeit und Raum immer wieder anders wahr. Drei Geschichten werden in suggestiver Weise von drei Traumata ergänzt. Die Urszene besagt, dass der jüngere Bruder des Grafen von Luna von einer schändlichen Hexe und Zigeunerin verzaubert wurde, weil er erkrankte. Man lässt die Zigeunerin auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Diese Hinrichtung löst dann ein weiteres furchtbares Ereignis aus – denn die Tochter der Zigeunerin, Azucena, will ihre hingerichtete Mutter unbedingt rächen. Hier gelingt es Dittrich durchaus, den dramaturgischen Spannungsbogen zu steigern. Azucena entführt den Buben – und an der Stelle, wo die Zigeunerin starb, findet man das Gerippe eines halb verbrannten Kindes. Azucena, die ebenfalls einen Sohn hat, wirft ihr Kind in einem Wahnsinnsanfall schließlich ebenfalls ins Feuer, nachdem sie zum Sprachrohr ihrer toten Mutter wurde. In ihrer Arie durchlebt Azucena das Trauma zum zweiten Mal, was die hervorragende Mezzosopranistin Kristina Stanek auch sehr gut verdeutlicht. Die dritte Geschichte erzählt von der großen Liebe, die die Hofdame Leonora für den Troubadour Manrico empfindet. In der letzten Szene gewinnt die Inszenierung szenische Größe, wenn sich die monumentalen Gerüstbalken in unheimlicher Weise verschieben und das gewaltige Drama beschwören. Denn im Kerker harren Azucena und Manrico des Gerichts. Es gelingt dem Sohn, die von Schreckensbildern gepeinigte Mutter zu beruhigen. Leonora erscheint, um dem Geliebten das Tor zur Freiheit zu öffnen. Dieser aber glaubt sich verraten, bis die Sterbende ihr Liebesopfer offenbart. Luna schickt Manrico zum Richtplatz und schleppt Azucena zum Fenster, um sie Zeugin der Exekution werden zu lassen. „Il trovatore“ wird hier als Episodenoper erzählt. Tagtraum, Erinnerungen und Flashbacks stehen im Zentrum. Einmal sieht man sogar die riesigen Pflanzen eines Feldes, die irgendwie dämonisch wirken. Die Figuren bewegen sich dazu wie in einem Horrorfilm. Der Abend wird ganz bewusst aus der Perspektive des Grafen Luna erzählt, man sieht gleich zu Beginn seine beiden Söhne als konkurrierende Kinder im Bühnenvordergrund. Das ist durchaus reizvoll, denn die seelischen Verletzungen der Protagonisten werden minuziös herausgearbeitet. Es gibt außerdem noch Artistinnen und Artisten, die die Hauptfiguren in seltsamer Weise begleiten. Auch hier gibt es offene szenische Fragen, de sich nicht so einfach lösen lassen. Diese Artisten erscheinen wie gespenstische Schatten, die einfach mitlaufen. Manches Detail wirkt allerdings aufgesetzt.
Selene Zanetti. Foto: Matthias Baus
Musikalisch ist diese Premiere wesentlich ergiebiger. Das liegt vor allem an dem mit Umsicht agierenden Dirigenten Antonello Manacorda, der den Reichtum von Verdis Melodien aufblühen lässt, was den Sängern zugute kommt. Unmittelbare Wärme und Empfindung zeigen neben der phänomenalen Kristina Stanek als Azucena Selene Zanetti als Leonora und Itzeli Jauregui als ihre Vertraute Inez. Mutterliebe und Rachedurst werden so auf die Spitze getrieben. Das verführerische Melos strömt hier von allen Seiten, die Rhythmik erfüllt ihre dramatische Funktion mit großer Prägnanz. Ernesto Petti brilliert als hochemotionaler Graf von Luna und Michael Nagl ist ein famoser Ferrando. Vor allem der höhensichere Tenor Atalla Ayan kann das Publikum rasch für sich gewinnen. In weiteren Rollen gefallen Piotr Gryniewicki als Ruiz, William David Halbert als alter Mann sowie Ruben Mora als Bote. Die Choreographie von Janine Grellscheid spart nicht mit Übertreibungen. Die Artistinnen und Artisten Trudi Albert, Dominik Höß, Lena Holdefer, Simox, Rudy Kintop und Daniela Wörner leisten allerdings Ausserordentliches. Sie mimen Figuren, die sich nicht vertreiben oder gar töten lassen. Das hat etwas Unerbittliches an sich, das dann doch wieder zu Verdis harter Musik passt. Elementare Kraft und leidenschaftliche Glut kommen nicht zu kurz. Farbe und Schmelz schmücken die Kantilenen nicht nur bei der Cabaletta. Die Stretta besitzt elektrisierendes Feuer, das den Hörer unmittelbasr mitreisst. Eine hervorragende Leistung bietet der Staatsopernchor Stuttgart zusammen mit dem Kinderchor der Staatsoper Stuttgart (Leitung: Manuel Pujol und Bernhard Moncado).
Foto: Matthias Baus
„Bravo“-Rufe für die Sänger und den Dirigenten, teilweise massive „Buh“-Rufe für das Regieteam.
Alexander Walther