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STUTTGART/ Staatsoper: GÖTTERDÄMMERUNG. Premiere. Hoffnungszeichen unter verdorrter Weltesche

30.01.2023 | Oper international

Staatsoper Stuttgart: „GÖTTERDÄMMERUNG“ 29.01.2023 (Premiere) – Hoffnungszeichen unter verdorrter Weltesche

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Christiane Libor (Brünnhilde). Foto: Matthias Baus

Der neue Stuttgarter Ring hat sich nach nun bald 25 Jahre nach dem letzten hiesigen Versuch vor Ort gerundet. Und wieder gelang der letzte Teil des Zyklusses als krönender oder zumindest in summa stimmiger Abschluss.

Die im Zuge der seltsamsten Regie-Erscheinungen der Rezeptionsgeschichte der letzten Jahrzehnte doch sehr skeptische Erwartung wurde von Marco Storman und seinem Team Demian Wohler (Bühne), Sara Schwartz (Kostüme), Henning Streck (Licht) und Ingo Gerlach (Dramaturgie) im Großen und Ganzen erfreulich wenig bedient, sprich die wesentlichen, zentralen Elemente bzw. Symbole der Geschichte waren tatsächlich auf der Bühne zu sehen und wurden nicht durch irritierend abwegige Chiffren ersetzt. In Kombination mit einer nicht gewaltsam und nach unsinnigen und ablenkenden Aktionen suchenden, sondern bewusst auch mal auf die Musik konzentrierten und an entsprechenden Stellen etwas Pathos zulassenden Spielregie ergibt das eine das Geschehen ohne Umwege verständlich vermittelnde zeitlose Produktion, die auch der emotionalen Spontaneität einer Live-Aufführung Rechnung trägt.

Den bildlichen Leitfaden markiert wiederholt der wie ein mahnendes Relikt über der Szenerie schwebende, mit Schläuchen und Blutspuren behaftete Stamm der einstigen Weltesche; zuerst während der Nornen-, später während der Rheintöchter-Szene, zuletzt als herab sinkende, den in einem schmalen Wassergraben in Rampennähe nach dem Ring haschenden Hagen erdrückende/einklemmende Waffe. Der bereits aus dem Schlussbild der „Walküre“ als Feuerkreis über der schlafenden Brünnhilde erscheinende Ring wird nun als leuchtendes Liebespfand zitiert.

Zwei Welten werden nebeneinander gestellt bzw. gehen ineinander über: der Naturbereich mit dem Walkürenfelsen, dessen höhlenartiger Eingang über ein paar steile Stufen zu erreichen ist, und die Innenwelt der Gibichungen in Form einer in den Wänden durchbrochenen, von Spitzbogenrudimenten und Säulen umgebenen Halle, die mit einer Kanzel und einem Buntglasfenster sowie verschiedenen Rednerpulten genauso Kirche wie Plenarsaal sein könnte, in dem jeder Erinnerung und Gegenwart nach seinen subjektiven Absichten und Interessen kund tut. Diverse historische Gemälde mit unterschiedlichen Darstellungen eines klischeehaften Heldenbildes des 19. Jahrhunderts, die die Nornen in einem hölzernen Container mit sich führen, werden dazwischen aufgestellt und dann wieder verhängt oder entfernt. Bei den Rheintöchtern, die den Nornen in der Erscheinung mit grau-silbernen Monturen und Netzhauben verblüffend ähneln, sind es dann leere Spiegelrahmen, mit denen sie den unbedarft spielerischen Siegfried necken.

Warum der freie Held aber nach dem tödlichen Streich von Hagens Speer zwar schmerzerfüllt taumelt, sich aber dann die Waffe selbst aus der Wunde reißt und als ob ihm nichts passiert wäre, die Stufen zum Walkürenfelsen erklimmt und dort mit einigen der Mannen Platz nimmt, bleibt ein Rätsel und nimmt dem folgenden Trauermarsch leider einiges von seiner betroffen machenden Wirkung. Vielleicht beantwortet jedoch das Finale dieser Inszenierung diese irritierende Variante eines womöglich unverwundbaren Helden, wenn Siegfried mit Brünnhilde auf einer Attrappe ihres Rosses Grane in eine unbestimmte Zukunft reitet. Ein hoffnungsvolles Signal für einen Neubeginn, der nicht unbedingt mit der totalen Auslöschung des Vorhergegangenen verknüpft sein muss. Hinter dem Wort Dämmerung stecken schließlich zwei mögliche Licht-Phasen.

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Patrick Zielke (Hagen) und die Mannen. Foto: Matthias Baus

Im musikalischen Bereich lastete die größte Spannung sicher auf GMD Cornelius Meister, der nach seinem unter Zeitnot erfolgten und vielfach kritisierten Stück-Debut bei den letztjährigen Bayreuther Festspielen nun gründlicher an die Einstudierung heran gehen konnte. Das war auch deutlich hörbar. Wagners hier kunstvoll verflochtene und zusammengeführte Themen-Motive des gesamten „Ring“ lässt er mit dem in allen Gruppen auf der Höhe seines Könnens befindenden Staatsorchester Stuttgart (geringe Intonations-Schwächen bei den heiklen Hörner-Einsätzen am Beginn des 3.Aktes seien der Vollständigkeit halber erwähnt) in aller gebotenen Dynamik und Präzision entfalten und vermeidet Tempodehnungen genauso wie übereiltes Vorwärtsdrängen. Der Eindruck gelegentlich etwas zu massiv aufgebauter Blechbläser-Akkorde könnte auch eine platzbedingte Erscheinung der schwierigen Akustik des Hauses sein. Vor allem gelingt es ihm zwischen ruhigem Fluss und größeren Eruptionen Spannung aufzubauen und den Gesangsstimmen gegenüber dem Orchester genügend (Frei-)Raum zu gewähren.

Das gilt auch für den Staatsopernchor Stuttgart (Einstudierung: Manuel Pujol), zumal die Herren in den ungemein  präzisen, deutlichst artikulierten und klangeinheitlich runden Einsätzen der in antikisch anmutenden Umhängen als wie ihr Anhänger an Hagen orientierte Mannen auch darstellerisch lebhaft integriert sind.

Umjubelter vokaler Mittelpunkt ist Patrick Zielke, der hier mit der besonderen Herausforderung konfrontiert ist, sowohl Hagen als auch Alberich Stimme und Gestalt zu verleihen. Der Vater als inneres, an seine Forderungen mahnendes Gewissen ist ein zunächst fragwürdiger, aber in der Umsetzung überzeugender und durch Zielkes Interpretationsgeschick faszinierender Einfall. In einem Moment schläfrig zusammen gesackt mit mattem, aber stets tonfestem, dann aufgerichtet mit kernig üppigem Bass entsteht der verblüffende Dialog in einer Person. Auch sonst überragt der groß gewachsene Bassist im langen (Verschwörer-)Mantel, Blondhaar und Brille mit vielfach veränderbarem Tonfall zwischen verführerischer Wärme und düsterer Macht bei nie forciertem Einsatz das als Ganzes auf hohem Niveau wirkende Ensemble.

Christiane Libor ist eine starke, der Brünnhilde entsprechende Sympathieträgerin, die sich gleich anfangs mit impulsiver Höhenattacke, die manchmal etwas spitz, aber mitreißend gerät, vorstellt, ehe sie später, speziell im Schlussgesang in leiseren Momenten auch eine ungewohnt zurückhaltende, dabei durchgehend tragfähig bleibende und den Text fein auslotende Interpretation einlegt. Und mit ihrem dramatischen Sopran mit dunkelsatter Tiefe in der Verinnerlichung ihrer Emotionen ebenso stark ist wie im anfänglichen Hoffnungsjubel und in ihrer späteren Rache-Emphase.

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Daniel Kirch (Siegfried), Patrick Zielke (Hagen). Foto: Daniel Kirch

Daniel Kirchs heldische Züge aufweisender, im Grunde eher das Zwischenfach bedienender Tenor mit bisweilen etwas grellen Anflügen im Timbre verfügt über die erforderliche (Höhen-)Kraft wie auch das Vermögen den unbekümmert naiven und neckisch grinsenden Siegfried mit Herzenslust zu spielen. Wie er erscheint auch der mit ihm in Blutsbrüderschaft verbundene Gunther im rostroten Hosen/Jacken-Look nebst blonder Perücke, und wird von Shigeo Ishino mit manchmal etwas hart ausschwingendem, aber im Vortrag sehr sonorem und plastisch deklamierendem Bariton rollengerecht geformt. Esther Dierkes ist eine jugendliche, leicht verführbare Gutrune mit volumen-bedingt in Wagner-Gefilden noch nicht ganz beheimatetem, aber doch mit einigen leuchtenden Tönen Akzente setzendem Sopran. Stine Marie Fischer präsentiert sich als, obwohl vom Material her gemäßigt dramatischem Mezzo/Alt-Potenzial eine intensive Waltraute, die ihre flehenden Worte an Brünnhilde mit optimaler Verdichtung von Ausdruck und schlanker klanglicher Fülle richtet. Nicht selbstverständlich sind in der gesamtkünstlerischen Qualität durchweg so homogene Besetzungen der beiden Frauen-Trios. Nicole Piccolominis erste Norn bietet dunklen urtümlichen Glanz, Ida Ränzlöv s quellfrischer heller Mezzosopran und Betsy Hornes Sopranleichtigkeit grenzen sich als ihre Schwestern jeweils deutlich voneinander ab und bilden doch eine Einheit. Erstaunlich hoch ist die Textverständlichkeit, auch bei den drei locker beweglichen und vokal adäquaten Rheintöchtern (Eliza Boom, Linsey Coppens und Martina Mikelic).

Erfreulicherweise wurde die gut abgestufte Publikumsbelohnung für das musikalische Personal beim Erscheinen des Regie-Teams nicht mit Missfallen konterkariert. Kein BUH für eine szenische Auseinandersetzung mit Wagners Werk ist eine wohl seltene Auszeichnung und sollte von den Betreffenden auch als Lob verstanden werden.

 Udo Klebes

 

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