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STUTTGART/Staatsoper: FIDELIO. Wiederaufnahme

Klang und Raum vereint

24.03.2018 | Oper


Rebecca von Lipinski (Leonore). Copyright: A.T.Schaefer

STUTTGART /Staatsoper: FIDELIO als Wiederaufnahme am 23. 3.2018

KLANG UND RAUM VEREINT

 In der konzentrierten Regie und Dramaturgie von Jossi Wieler und Sergio Morabito (Kostüme: Nina von Mechow) wird der abgedunkelte Bühnenraum von Bert Neumann auch zum spannungsvollen Klangraum. Das Team will ganz bewusst die Fremdheit und Schwierigkeit des „Fidelio“-Librettos zulassen, was den dramaturgischen Steigerungsbögen nicht schadet. Der Hof des Staatsgefängnisses wirft zwischen Licht und Schatten ein bemerkenswertes Licht auf Florestan, der den Verbrechen des Staatsbeamten Pizarro auf der Spur war. Bevor der Minister eintrifft, will Pizarro Florestan so schnell wie möglich beseitigen. Rocco soll den Mord ausführen, möchte aber nur das Grab ausheben. Unterstützt von der in ihn verliebten Marzelline gelingt es Fidelio mit Hilfe Roccos, die Gefängnisse zu öffnen. Der Befreiungszug der Häftlinge mit geheimnisvollen Gesichtsmasken im Marschrhythmus bildet einen entscheidenden Wendepunkt in dieser Inszenierung, die auch immer wieder mit Rätseln arbeitet. Unterdessen hat Pizarro sogar Fidelios Heirat mit Marzelline zugestimmt. Im zweiten Akt steht dann der verzweifelnde Florestan im Zentrum des Geschehens – ein alternder Mann, der mit seinem Leben längst abgeschlossen hat. Ihn hält nur noch der krampfhafte Glaube an seine Frau Leonore aufrecht. Dies arbeiten Jossi Wieler und Sergio Morabito auch deutlich heraus. Leonore erkennt den Gefolterten zunächst nicht und entscheidet sich dann, ihn zu retten.

Das psychologische Kammerspiel zwischen dem sich allmählich wiedererkennenden Ehepaar gelingt dem Regieteam hier am besten.

Das Gefängnis ist hier auch ein großer Bunker in der Bühnenmitte, der durch einen Beamer geöffnet wird und einen tristen Inhalt mit blauen Müllsäcken öffenbart. In diesen Momenten gewinnt das szenische Leben auf der Bühne aber nochmals ein geradezu elektrisierendes Feuer, denn das Zusammenspiel zwischen den Gesangssolisten und dem Chor funktioniert in diesen Momenten immer besser. Hierdurch entstehen auch interessante Verbindungen zu den thematischen Entwicklungen der Musik, die Sylvain Cambreling mit dem exzellenten Staatsorchester Stuttgart in ausgezeichneter Weise enträtselt. Der C-Dur- und E-Dur-Wechsel gerät rasant – und Beethovens kämpferische Tonsprache flammt insbesondere bei Rebecca von Lipinskis robuster Darstellung der Leonore deutlich auf. Ihre Stimme besitzt neben leuchtendem Feuer metallische Spannkraft. Das Seelenleben der einzelnen Figuren wird von Sylvain Cambreling und dem Staatsorchester Stuttgart wiederholt minuziös offengelegt. Manche Geheimnisse dieser Musik begreift man so erst jetzt. Die gewaltigen dynamischen Steigerungen der Befreiungsszene erreichen natürlich auch den von Christoph Heil wieder einmal hervorragend einstudierten Staatsopernchor, der sich nach ungeheurem harmonischen Ringen ebenfalls selbst befreit. Beethoven erreicht hier die volle Größe als Menschenfreund, Kämpfer und Humanist. Dies zeigt sich vor allem bei der Großen Leonorenouvertüre Nr. 3 mit Reprise und Sonatensatz.


Erster Gefangener: Copyright: A.T.Schaefer

Michael König kann als Florestan mit seiner stimmlich hell-leuchtenden Strahlkraft das Publikum sofort für sich einnehmen. Zusammen mit Rebecca von Lipinski als Leonore gewinnt dieses Gesangspaar vor allem im Duett immer mehr an Profil und gesanglicher Beweglichkeit von Sopran und Tenor. Mit sehr wandlungsfähigem Bariton verkörpert Michael Ebbecke den Gefängnisgouverneur Don Pizarro. Ronan Collett besticht als Minister Don Fernando mit sonorem Bariton, während der rabenschwarze Bass des Roland Bracht als Kerkermeister Rocco unter die Haut geht. Josefin Feiler interpretiert dessen Tochter Marzelline mit leidenschaftlicher Emphase und bemerkenswert klangfarbenreichem Timbre. In weiteren Rollen gefallen Daniel Kluge als Pförtner Jaquino sowie Juan Pablo Marin als erster und Ulrich Wand als zweiter Gefangener. Sylvain Cambreling unterstreicht mit dem Ensemble erfolgreich den Charakter dieser freiheitstrunkenen, innerlich lodernden und jubelnden Musik vor allem im geradezu enthusiastischen C-Dur-Finale. Dabei nimmt man auch immer wieder metaphysische Momente wahr. Auch der Gegensatz zwischen Dur und Moll reflektiert musikalisch das Bühnengeschehen zwischen geheimnisvollen Lichtwechseln. Marzelline gibt in der subtilen Darstellung Josefin Feilers gleich zu Beginn ein berührendes Zeugnis ihrer Liebe zu Fidelio ab. Und in dem Quartett „Mir ist so wunderbar“ bekennen plötzlich alle Personen, was sie quält und was sie erhoffen. Die Protagonisten gewinnen seelische Größe – vor allem beim grandiosen Chorfinale mit „O, welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu haben“, wo die Gefangenen in einen regelrechten Freudenrausch fallen. Davon ist auch das Duett „O, namenlose Freude“ von Florestan und Leonore betroffen, wo der unbeschreibliche Taumel zweier Menschen zum Vorschein kommt, die sich verloren glaubten.  Zeit und Raum verschwinden für die Liebenden, Wagner ist schon spürbar. Die klare motivisch-melodische Gliederung gehört in jedem Fall zu den besonderen Stärken der Interpretation Sylvain Cambrelings, der mit dem Staatsorchester Stuttgart der Seele des Gesanges in dieser Oper gleichsam Flügel verleiht. Davon fühlen sich Sänger und Chor getragen. Klang und Raum sind hier vereint. Dies deutet die Stretta der Ouvertüre schon an.

Zum Schluss gab es berechtigten Publikumsjubel.

Alexander Walther

 

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