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STUTTGART/ Staatsoper: ELEKTRA“ von Richard Strauss. Die Uhr tickt gnadenlos!

31.03.2024 | Oper international

„Elektra“ von Richard Strauss am 30. März 2024 in der Staatsoper/STUTTGART

Die Uhr tickt gnadenlos!

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Foto: Martin Sigmund

Die Axt spielt in dieser suggestiven Inszenierung von Peter Konwitschny die Hauptrolle. Klytämnestra übt Rache an ihrem Mann Agamemnon wegen des Opfers ihrer Tochter Iphigenie. Und Elektra benützt den Bruder Orest zum Mord an der Mutter und deren Geliebten Aegisth, allein die Schwester Chrysothemis hat Sehnsucht nach Heim und Herd. Peter Konwitschny wählt gleich zu Beginn einen ungewöhnlichen Weg – er lässt nämlich die Kinder den brutalen Vatermord in der Badewanne mit ansehen. Elektra übt gemeinsam mit dem Bruder grausame Rache an der Mutter Klytämnestra, die von Orest schließlich erschossen wird. Elektra hilft mit dem Beil nach. Im Hintergrund tickt riesenhaft die große elektronische Uhr (Bühne und Kostüme: Hans-Joachim Schlieker; Video: Signe Krogh). Der Himmel verwandelt sich in ein dunkles Weltall, ein Sternenzelt voller ungeheurer Geheimnisse. Elektra verzichtet zuletzt auf ihren mänadischen Tanz, liegt erschöpft am Boden. Im Hintergrund erkennt man ein gewaltiges Feuerwerk, hört pausenlos das Rattern von Maschinengewehren.  Zwischendurch sieht man den blutüberströmten Leichnam Agamemnons aus dem Bad steigen, den der Schauspieler Peer Oscar Musinowski eindringlich darstellt. Ein verblüffender Einfall. Er berührt sogar Klytämnestra, die mit Elektra eine furchtbare Auseinandersetzung hat.

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Peer Oscar Musinowski, Foto: Martin Sigmund Irene Theorin.

Schon als 17jähriger Primaner hatte Richard Strauss einen Chor aus der „Elektra“ des Sophokles vertont und aufgeführt. 25 Jahre später komponierte er dann die stark mit der Psychologie spielende Neufassung Hugo von Hofmannsthals „frei nach Sophokles“. Im Jahre 1909 wurde das Werk in Dresden uraufgeführt. Trotz kleinerer szenischer Schwächen kann diese packende Inszenierung auch in der szenischen Leitung der Wiederaufnahme von Rebecca Bienek überzeugen. Elektra ist hier tatsächlich besessen von ihrem toten Vater. Musikalisch lässt Cornelius Meister das Staatsorchester Stuttgart voller Glut und Leidenschaft aufspielen, wobei die komplizierte motivische Arbeit nie zu kurz kommt. Man spürt, dass diese Musik innere Zustände spiegelt – so stechen der dissonante „Hass“-Akkord gleich zu Beginn und die lyrische Kantilene der Kindesliebe markant hervor. Das musikalische Motiv, das mit dem Namen Agamemnons verbunden ist, tritt grell in den Vordergrund. Irene Theorin kann der Elektra trotz manchmal starker Vibrato-Sequenzen durchaus hochdramatisches Gewicht geben, strahlkräftige Spitzentöne werden elektrisierend und imponierend hervorgeschleudert – und auch bei den Piano-Passagen ist sie zu differenzierten dynamischen Schattierungen fähig. Mit großen Intervallsprüngen vermag sie die Zuhörer zu fesseln. Das Explosive und Unbeherrschte dieser Figur gestaltet sie sehr gut. Den Abschluss in gewaltig reinem C-Dur beschwört Meister durchaus hypnotisch. Das Agamemnon-Thema und die melodische Intensität von Elektras Kindesliebe besticht  mit innerem Feuer. Die Grenzen der Polytonalität werden bei dieser Wiedergabe immer wieder kunstvoll ausgeleuchtet. Das Fahle, Herbe und Unerbittliche dieser Partitur könnte zwar an manchen Stellen noch deutlicher zum Vorschein kommen, doch die gewaltigen klangfarblichen Steigerungen hat Cornelius Meister als Dirigent immer souverän im Griff. Aufgrund der gut betonten kontrapunktischen Finessen wird die Gefahr der Langeweile stets gebannt. Violeta  Urmana kann der Klytämnestra mit ausdrucksvollem Mezzosopran Dämonie und Größe zugleich geben, während Simone Schneider in hervorragender Weise den leuchtend-fraulichen Charakter der Chrysothemis herausarbeitet. Hier herrscht ein wunderbar klares Es-Dur, die kantablen Motive und geschlossenen Melodiephrasen gehen unter die Haut. Beim Schlussduett mit Elektra finden die beiden Stimmen gut zueinander. Weitere Vorzüge der Klytämnestra-Szene sind die ungeheuren Steigerungen der leitmotivischen Ausdeutung seelischer Zustände ins Unermessliche. Violeta Urmana stellt das Alptraumhafte dieser Szene in beklemmender Weise heraus. Bei ihr wirkt die Gestalt der Königin jugendlicher als etwa bei Astrid Varnay – und trotzdem besitzen die alptraumhaften Zustände eine gespenstische Zeitlosigkeit. Cornelius Meister lässt das Staatsorchester aber zuweilen auch voller Leichtigkeit aufspielen und unterstreicht dadurch sogar die erstaunliche Nähe zu den „Rosenkavalier“-Klängen. Im Gespräch der Mägde wird Elektras unheimliches Wesen passend charakterisiert. Diese Mägde werden von Stine Marie Fischer, Ida Ränzlöv, Alexandra Ionis, Clare Tunney und Esther Dierkes wandlungsfähig verkörpert. Pawel  Konik verleiht der Figur des Orest ein markantes Charisma, das auch unheimliche Züge trägt. Das gleiche kann man von Aegisth sagen, den der strahlkräftige Tenor Matthias Klink voller Intensität singt. Bei der großen Soloszene der Elektra gelingt es Irene Theorin überzeugend, die Vorgänge bei der Ermordung ihres Vaters Agamemnon noch einmal seelisch zu durchleben. Mit unheimlicher Präzision wird das Fließen des Blutes und das Schleifen der Leiche des Ermordeten ausgemalt. In langen, dichten Ketten dissonanter Akkorde erklingen die Ströme von Blut, die die Rächer vergießen sollen. Den weitgeschwungenen Melodielinien des Siegestanzes wird Cornelius Meister mit dem famosen Staatsorchester Stuttgart ebenfalls ausgezeichnet gerecht. In weiteren Rollen gefallen noch Sebastian Bollacher als Pfleger des Orest, Anna Matyuschenko als Vertraute, Lena Spohn als Schleppträgerin, Alexander Efanov als junger Diener, Daniel Kaleta  als alter Diener sowie Catriona Smith als Aufseherin. Die Kinderstatisterie der Staatsoper Stuttgart stellt Elektra, Chrysothemis und Orest in passender Weise als Kinder dar. Das gleiche gilt für die Leibwächterinnen der Klytämnestra. Der Staatsopernchor Stuttgart bietet in der Einstudierung von Manuel Pujol eine fulminante Leistung. Es ist eine Inszenierung, bei der die Uhr gnadenlos tickt. Diese Wiederaufnahme ist eine Koproduktion mit Det Kongelige Teater Kopenhagen.

Viele „Bravo“-Rufe, starker Schlussapplaus. 

 

Alexander Walther

 

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