Stuttgart: DORA von Bernhard Lang, UA Uraufführung 3.3.24
Foto: Martin Sigmund
Jedenfalls steht einmal eine Frau im Mittelpunkt einer neuen modernen Oper, die gerade 25 ist und sich nach dem Libretto von Frank Witzel (dieser ist wohl von der Stuttgarter Oper mit dem Komponisten zusammengebracht worden) im ‚Hotel Mama‘ einer eher Unterschicht- Familie in einer Vorstadtsiedlung ohne Perspektive lebt. Das wird aber in der Inszenierung von Elisabeth Stoeppler/Regie, Valentin Köhler/Ausstattung und Vincent Stefan/Video nahezu ignoriert, jedenfalls nicht aufgegriffen. Im 1.Akt von 5 durchgängig gespielten sitzen alle Familienmitglieder, nämlich Dora, ihre Eltern und zwei Geschwister und ca 4 andere Darsteller der ‚Neuen ‚Vocalsolisten extended‘ auf einer weissen Bank auf der sonst leeren Bühne nur mit den weißen Buchstaben DORA dahinter. Die Musik setzt mit 3 Schlagzeuggruppen in den Seitenlogen und in der der Bühne gegenueberliegenden Koenigsloge martialisch ein. Danach beschränkt sie sich im Graben auf 25 Akteurinnen des Staatsorchesters auf eine angemessene Begleitung der Singstimmen, unterbrochen von raesonierenden Synthesizern, aber rhytmisch skandiert und auch unterbrochen von sogenannten Loops,bei denen sich die Musik im Kreis dreht bzw zum Stillstand kommt.Bernhard Lang verharrt aber kaum in atonalen Ph(r)asen,seine Musik verbleibt immer ausserordentlich konsumierbar.- Inzwischen macht sich Dora zu einem Treffen mit übernatürlichen Wesen,vulgo dem Teufel auf, vielleicht gelingt es, ihr als kümmerlich empfundenes Leben mit schwarzer Magie etwas aufzupeppen. Der Teufel tritt ihr aber in der Gestalt eines Beamten gegenüber, so dass sie ihn gar nicht erkennt, und sie lässt sich von dem Seelenfaenger auch gar nicht ausfragen. Im 3.Akt drängt er sich im Landratsamt dem Sekretär Berthold mit Investitionsvorschlägen für einen brachliegenden Teich auf und ruft damit bei diesem eine Begegnung mit Dora in Erinnerung,bei der sie ihn beim Schlittschuhlaufen flüchtig geküsst hat. In seinem Vertreterlook plustert der Teufel sich vor dem armen in Dora verliebten Landtatssekretär auf und irritiert ihn zugleich (köstliche Szene, starker Disput mit dem Sekretär im himmelblauen Pullover und braunen Cordhosen). An einem ‚Teufel‘-Investor zeigt er sich aber nicht interessiert. Der mit weißen durchsichtigen Gardinen verhangene Innenraum des Landratsamt setzt an seinen Wänden neue Buchstabenkombinationen zusammen,die sich aber nur auf die Zeitfolge beziehen.
Nach acht Wochen stellt sich heraus, dass der Sekretär Berthold versucht hat ,sich in dem See zu ertränken und danach an den Rollstuhl gefesselt ist. Dora erinnert sich vage an Berthold, erahnt aber einen Zusammenhang zu ihrer Begegnung mit dem ‚Beamten‘.
Im Schlussakt nimmt sie Berzhold im Rollstuhl,der sich verbal nicht mehr verstaendlich machen kann, auf ihren Streifzug mit. In der Inszenierung kommt dieser wie ein Gottvater sitzend von der Decke herunter gefahren. Dazu erscheint nun der ‚Beamte‘ nun mephistofelischer Gestalt, nämlich wie Gustav Gründgens, aber wieder kommt kein Teufelspakt mit ‚Gretchen‘ zustande. Auch der Chor, der immer mit mythisch-mysthischen Sprüchen zur Hand war, gibt nun auf. Berthold beginnt aber, stammelnd einen Gedanken aufzugreifen, auf den Dora beim Schlagabtausch mit dem Teufel unbewusst gestossen war. Damit wendet sie sich Berthold zu, und damit steht final ein moegliches Neues im Raum. Es wird aber von der Regie eher nicht aufgegriffen, die Personen verbleiben starr in ihren figürlichen Positionen als Gottvater, Teufel und Faust/Gretchen, bekräftigt auch durch eine Marienfigur.
Das Orchester spielt natürlich äußerst virtuos und bestens präpariert im Dirigat der Australierin Elena Schwarz,die die verschiedene Klanggebilde gut austariert und zusammenzwingt. Der kleine Chor fügt sich in den Solistinnengesang bestens ein, und sein Klang generiert eine einmalige Stimmenvielfalt.
Elliott Charlton Hines, Josefin Feiler. Foto: Martin Sigmund
Der Teufel von Marcel Beekmann ist als Tenor und Countertenor unterwegs und bewegt sich in beiden Sphären nonchalant exzellent mit leicht phlegmatischem bis hin zu quasi schluchzendem Timbre. Berthold ist Elliott Charlton Hines, und als Schwarzer hier vielleicht noch doppelter Außenseiter, bringt dabei einen schönen glatten prononcierten Bariton ins Spiel. Als Schwester, Bruder,Mutter und Vater ergänzen Shannon Keegan,Dominic Große, Maria Theresa Ullrich und Stephan Boetz auch mit schauspielerischen Qualitäten.
Eindeutig im Mittelpunkt steht Josefin Feiler als Titelfigur Dora,die einen guttural gefärbten einnehmend timbrierten ausdruckkraeftigen Sopran wortwörtlich in die Waagschale werfen kann und damit zur empathischen Figur wird, mit der man mitleidet. Sie drängt sich als postromantische Heroine, am Ende auch wie eine Jeanne d’Arc gewandet, in die Reihe romantischer Vorgaengerinnen bei Wagner und R.Straus, deren Musik von Bernhard Lang an bestimmten Stellen auch ausgiebig zitiert wird.
Friedeon Rosen