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STUTTGART/ Staatsoper; DON GIOVANNI als Wiederaufnahme. Hinter den Grauen bleibt Platz für Heiterkeit

27.01.2018 | Oper

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Foto: Martin Sigmund

STUTTGART/ Staatsoper: „Don Giovanni“ als Wiederaufnahme am 26.1.2018

NEBEN DEM GRAUEN BLEIBT PLATZ FÜR HEITERKEIT

Andrea Moses misstraut den Figuren in ihrer vielschichtigen Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts Meisteroper „Don Giovanni“ (Bühne und Kostüme: Christian Wiehle). Im Zentrum der Handlung steht ein Hotel, das Don Giovanni gehört und in dem auch dessen Diener Leporello arbeitet. Hier eilt der unwiderstehliche Verführer von einer Eroberung zur nächsten. Auch dort ist Don Giovanni ein Mann, der sich allen moralischen Ansprüchen bewusst verweigert. Dadurch entsteht Beziehungslosigkeit und es treten Bilder der Einsamkeit grell hervor. Da alle auf ihren eigenen Vorteil achten, lügen und manipulieren sie pausenlos. Die auf ihn fixierten Frauen lieben Don Giovanni nicht. Als Don Giovanni Donna Anna verführen will, kommt ihr Vater dazu und wird von diesem tödlich verletzt. Erst als Don Giovanni bei seiner letzten Begegnung mit Donna Annas Vater und Komtur als „Steinerner Gast“ in die Hölle gejagt und von deren Schergen niedergeknüppelt wird, scheinen die Frauen so etwas wie Mitleid für ihn zu empfinden. Mit einer Pistole begeht Don Giovanni schließlich Selbstmord.

Die Party im Hotel wird von Andrea Moses bewusst überzeichnet. Auch Walter Felsensteins Frage, was in Donna Annas Schlafzimmer geschah, erhält bei dieser Inszenierung eine gewisse Bedeutung. Auffallend ist außerdem, dass sich Orchestermusiker auf der Bühne befinden und somit aktiv ins Handlungsgeschehen eingreifen. Durch Slapstick-Einlagen bleibt neben dem Grauen viel Platz für Heiterkeit. Männer und Frauen nehmen sich gegenseitig auf die Schippe. Unterschwellig aber herrscht auch das Unheimliche, die gespenstische Welt E.T.A. Hoffmanns. Das zeigt sich vor allem in der Schluss-Szene mit dem Komtur als lebendem Toten (Choreografie: Jacqueline Davenport).

Willem Wentzel dirigiert das Staatsorchester Stuttgart bei diesem „Dramma giocoso“ höchst eindringlich und arbeitet auch die einzelnen Charaktere dieser Musik präzis heraus. Tragik, Burleske, Irdisches und Überirdisches treten so geheimnisvoll hervor. Dieser harmonische Wechsel überträgt sich auch auf die Sängerinnen und Sänger, deren gesanglicher Klangfarbenreichtum im Laufe der Vorstellung zunimmt. Christoph Müller hat den Chor zudem packend und überaus intonationsrein einstudiert.

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Copyright: Martin Sigmund

Die ungeheuren Spannungen der menschlichen Seele arbeitet vor allem der hervorragende Shigeo Ishino als Don Giovanni überzeugend heraus. Diesseitige und jenseitige Sphären werden so bewusst gestreift – das jagt dem Zuschauer vor allem im Finale eine wahre Gänsehaut über den Rücken. Da lauern die Dämonen der Hölle in jedem Winkel, auch wenn man sie auf der Bühne nicht sieht. Selbst wenn die mystischen Momente bei dieser Inszenierung zuweilen fehlen, macht Shigeo Ishino mit seinem voluminösen Bariton die Formvollendung seiner Partie ganz bewusst deutlich. Dies zeigt sich nicht nur beim Duett „Reich mir die Hand“ und der bekannten Champagnerarie, sondern auch bei Don Giovannis Ständchen „Horch auf den Klang der Zither“. Als Donna Anna gefällt Mandy Fredrich mit leuchtkräftigem Sopran, auch Stuart Jackson (Tenor) ist ein überwältigender Don Ottavio, der leidenschaftlich für seine Verlobte kämpft. Eine unheimliche Charakterstudie liefert ferner Liang Li als Komtur, dessen Bass markerschütternd durch den Saal dröhnt. Andreas Wolfs Bass-Stimme als Leporello überzeugt ebenso mit Geschmeidigkeit und klarer Phrasierung, während Ezgi Kutlu als Donna Elvira ihrer Sopranstimme ohne störendes Vibrato und aufdringliches Timbre viele emotionale Berührungspunkte verleiht. Lauryna Bendziunaite als gesanglich höchst bewegliche Zerlina und Michael Nagl als Masetto fügen sich in diese ausgezeichnete Sängerriege nahtlos ein.

Willem Wentzel gelingt die Komtur-Szene mit dem Staatsorchester Stuttgart am besten, denn in den unheilvoll kreisenden Tonarten und chromatischen Gängen gibt es wirklich kein Halten mehr. Alles stürzt in bodenloses d-Moll, das umso gewaltiger hervorragt. Hier öffnet sich wahrhaft das Chaos eines unendlichen Raumes ohne harmonische Schwerkraft. Eine Tatsache, die den Sängerinnen und Sängern zugute kommt, denn sie werden dabei von den Harmonien des Orchesters wunderbar getragen. Das zeigt sich auch bei den wie in Wellenbewegungen auf- und niedersteigenden Sechzehntelgängen, die schon bei der Ouvertüre auffallen. Hier wird der Weg verdeutlicht, den der Komtur zurücklegte, um der Einladung seines Mörders nachzukommen. Harmoniefortschreitungen und schwerer punktierter Rhythmus treten hervor. Als er Don Giovanni die Hand bietet, löst sich der Komtur von jenem unbeweglichen Rhythmus. Dies kommt bei der Wiedergabe ebenfalls leuchtkräftig zum Vorschein. Und in der synkopisch-wogenden Bewegung zeigt sich auch immer wieder der „steinerne Rhythmus“. Als er die Einladung des Komturs annimmt, wirft Don Giovanni die lastenden Schicksalsschläge ab: „Das Herz in meiner Brust ist fest, ich habe keine Furcht, ich werde kommen!“ Gerade diese Szene verdeutlicht Shigeo Ishino als Don Giovanni souverän. Das ist der Höhepunkt der gesamten Aufführung, da gefriert dem Publikum das Blut in den Adern. Denn Don Giovanni schwingt sich zum letzten Mal verzweifelt zu heroischer Größe auf, wie es Luigi Dallapiccola formulierte.

Kantabilität und Geschlossenheit zeichnen bei dieser Aufführung nicht nur die Gesangsstimmen aus, sondern vor allem auch die leidenschaftlichen Unisono-Ausbrüche des Staatsorchesters (Hammerklavier: Dorothea Schwarz). Diese Intensität des Tönens und der sich verwandelnden Energie in unglaubliche Spannungsmomente zeichnen diese Interpretation aus. Und im eröffnenden C-Dur des Andantes löst sich diese enorme Spannung wieder auf. Willem Wentzel lässt jedoch auch deutlich werden, wie sich nach Hermann Aberts Worten „die kalte Hand des Todes“ auf alle Beteiligten legt und jedes tätige Handeln lähmt. Gleichzeitig durchlebt gerade Donna Anna endlose Welten des Schmerzes, bis die Kräfte sie verlassen und sie ohnmächtig niedersinkt. Mandy Fredrich hat hier einen ganz starken Moment. Auch ihre kraftvoll und leidenschaftlich vorwärtsdrängenden Impulse und der Deklamationsfluss sind bei dieser Interpretation beispielhaft. Das zeigt sich auch durch die eindringlich herausgearbeitete Geste der ersten Violinen. Die Musiker hören hier ganz genau aufeinander, was dem Geschehen auf der Bühne zugute kommt. Bei Elviras Auftrittsarte „Ah chi mi dice mai“ bricht in Ezgi Kutlus Wiedergabe die flammende Empörung umso deutlicher hervor, sie reisst damit das gesamte Orchester mit. Und Lauryna Bendziunaite macht als Zerlina bei ihrer Arie „Vedrai carino“ deutlich, wie hier die eigentliche Versöhnung stattfindet. Fazit: Es ist eine immer noch sehenswerte Inszenierung, auch wenn manche Momente des Unheimlichen und Fantastischen nicht immer deutlich genug zum Vorschein kommen. Das Publikum war jedenfalls begeistert.

Alexander Walther  

 

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