Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/ Staatsoper: DON CARLOS. Premiere

Voll Glut und innerer Bewegung

28.10.2019 | Oper

Bildergebnis für stuttgart don carlo
Ksenia Dudnikova (Eboli), Goran Juric (Philipp). Copyright: Matthias Baus

 

Giuseppe Verdis „Don Carlos“ am 27.10.2019  in der Staatsoper/STUTTGART

VOLL GLUT UND INNERER BEWEGUNG

 In der Regie von Lotte de Beer konzentriert sich das Geschehen ganz auf Don Carlos und Elisabeth. Dies zeigt sich auch bei der mit Lichtkegeln und Schiebebühne aufwartenden Ausstattung von Christof Hetzer. Trotzdem bleiben bei dieser Inszenierung Fragen offen. Der Kronprinz  Spaniens lebt in einem Geflecht aus Machtbegehren und Freiheitsdrang. Seine Geliebte ist die französische Kronprinzessin Elisabeth, die aber seinen Vater Philipp II. heiratet. Vom Freund Marquis von Posa wird Carlos zum Widerstand gegen das autoritäre System angestiftet. Als er ihn zu liberaler Herrschaft überreden will, wird Posa jedoch selbst zum Parteigänger des Königs. Heimlicher Regent ist am Ende der Großinquisitor des Königreichs. Jeder Freiheitsgedanke wird jetzt im Keim erstickt. Carlos, Posa und Königin Elisabeth werden im Getriebe der Macht zerrieben.

Die Regisseurin Lotte de Beer stellt die Kinder hier in den Mittelpunkt. Sie sind der Inbegriff von Unschuld – und auch dafür, wie sehr die Menschen in unserer Gesellschaft unterdrückt werden. Dennoch befinden sich nicht viele Utensilien auf der Bühne. Der Mensch erscheint klein in einem großen Raum, vor allem beim Erscheinen des Großinquisitors. Da läuten dumpf gewaltige Glocken. Manches wirkt verfremdet und nicht immer gelungen. König Philipp mutiert zu einem jähzornigen Greis, dessen Emotionen auf die ihn umgebenden Menschen übergehen. Imaginäre Traumzustände beherrschen das Bühnengeschehen.

An der Staatsoper Stuttgart ist eine fünfaktige Fassung in französischer Sprache zu hören. Die Stuttgarter Neuproduktion beginnt dabei mit einer äusserst selten gespielten Szene aus der Pariser Urfassung des „Don Carlos“ von 1866/67. In der Stuttgarter Neuproduktion wird der letzte Teil von Verdis Ballettmusik durch Gerhard E. Winklers „Pussy-(r)-Polka“ (komponiert 2015) ersetzt. Das Finale aus Verdis „Don Carlos“-Ballettmusik wird darin wörtlich zitiert, erscheint allerdings in einem politischen Kontext. Da klingt Verdi ganz verfremdet – sicherlich nicht jedermanns Sache. Verschiedene Konflikte haben in Lotte de Beers Inszenierung den Planeten verändert, es herrscht ein politisch-ideologischer Ausnahmezustand. Die Menschen sind außerstande, mit dieser Macht richtig umzugehen. Bei der Auseinandersetzung des Großinquisitors mit dem König werden die erhängten Leichen an Seilen herabgelassen. Und bei Philipps Arie „Sie hat mich nie geliebt“ ist der König nicht alleine,  sondern wird von Elisabeths Rivalin Prinzessin Eboli im Bett als Konkubine begleitet.

Bildergebnis für stuttgart don carlo
Copyright: Matthias Baus/ Staatsoper Stuttgart

Cornelius Meister betont als umsichtiger Dirigent des Staatsorchesters Stuttgart die differenzierte Harmonik und feingliedrige Rhythmik dieser komplexen Partitur. Manche thematischen Zusammenhänge könnten hier auch noch sensibler und differenzierter herausgearbeitet werden. Kühner Klangfarbenreichtum sticht dennoch deutlich hervor. Die mystische Stimmung mit den psalmodierenden Mönchschören wird ausgezeichnet betont. Olga Busuioc überzeugt als Elisabeth von Valois mit leidenschaftlichen Kantilenen und strahlkräftigen Spitzentönen. Nicht weniger imponierend ist hier Massimo Giordano als Don Carlos, der mit dramatischer Deklamation agiert. Björn Bürger imponiert als Marquis von Posa mit voluminösem Bariton. Aber auch der Großinquisitor von Falk Struckmann agiert mit des Basses sonorer Grundgewalt und nicht ohne eine gewisse sarkastische  Ironie. Die Mezzosopranistin Ksenia Dudnikova brilliert (manchmal etwas kurzatmig) bei der ausdrucksstarken As-Dur-Kantilene „O meine Königin“ als Prinzessin Eboli. Reuevolle Erregung und heroischer Entschluss gehen hier nahtlos ineinander über. In weiteren Rollen fesseln auch darstellerisch Michael Nagl als Mönch, Carina Schmieger als Elisabeths Page Thibault, Claudia Muschio als Stimme vom Himmel und Christopher Sokolowski als famoser Graf von Lerma.

Vor allem der Staatsopernchor unter der Leitung von Manuel Pujol bietet an diesem Abend eine großartige Leistung. Die Solostimme Karls V. wird in den Gesamtklang wirkungsvoll eingebettet. Und der Moll-Trauermarsch beim Autodafe besitzt eine ergreifende Intensität. Das von einer sphärenhaften Stimme angestrebte Dur gibt dem Ganzen dann eine seraphische Aura. Packende Schlagkraft zeigt sich beim Quartett nach der Schmähung der Königin. Als erschütterndes Seelengemälde zeichnet der nuancenreiche Bassist Goran Juric die große Szene König Philipps zu Beginn des dritten Aktes, wo auch die thematischen Zusammenhänge von Cornelius Meister gut betont werden. Mit rhythmisscher Klarheit agiert das tiefe Blech beim Erscheinen des Großinquisitors. Ausgezeichnet interpretiert Olga Busuioc Elisabeths letzte Arie im Fis-Dur-Mittelteil. Schon Elisabeths Arie „Du, im irdischen Wahn befangen“ gestaltet sie mit geradezu leidenschaftlicher Emphase. Eleganz und Leichtigkeit beherrschen hier die Kantilenen in besonderer Weise. Bei ihrer Interpretation ist die Artikulation und intensive Melodik Meyerbeers herauszuhören. Die Augenblicke ekstatischer Deklamation sind wirklich bemerkenswert. Bei ihren Duetten versuchen Don Carlos und Elisabeth auch immer wieder, ihre rauschhaften Gefühle zu zügeln, was auch Cornelius Meister gut betont. Dem leidenschaftlichen c-Moll-Ausbruch der Cabaletta „Que sous mes pieds se dechire la terre“ antwortet Elisabeth mit einem pathetischen es-Moll – und nach Carlos‘ Abgang bringt sie alles zu einem strahlkräftigen Es-Dur-Abschluss. Sehr gut gelingt dem Ensemble außerdem der kurze, schauerliche Marsch zum Scheiterhaufen mit seiner gedämpften Instrumentierung, den drohenden Posaunen-Unisonos und der tröstenden Cello-Melodie. Björn Bürger als Marquis von Posa zeigt beim „Treueschwur“ auf König Philipp gesangliche Präzision.

Es gab viele „Bravo“-Rufe, aber auch „Buhs“ für das Regieteam.  

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken