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STUTTGART/ Staatsoper: DIE ZAUBERFLÖTE. Wiederaufnahme. Bildliche Poesie statt Worte

18.01.2024 | Oper international

Staatsoper Stuttgart

„DIE ZAUBERFLÖTE“ 20.01. (WA-Premiere 16.1.2024) – Bildliche Poesie statt Worte

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Björn Bürger (Papageno), Kyriacki Sirlantzi (Papagena). Foto: Martin Sigmund)

Die im November 2012 an der Komischen Oper Berlin aus der Taufe gehobene Inszenierung von Mozarts opus summum als Gemeinschaftsarbeit von Barrie Kosky und der britischen Theatertruppe „1927“ (bestehend aus Suzanne Andrade und Paul Barritt) stellt hinsichtlich ihrer Verbreitung sicher einen Rekord auf, denn seither wurde diese Produktion von mehr als 20 Bühnen in aller Welt übernommen und hatte im Oktober 2020 ihre Premiere an der Stuttgarter Staatsoper. Damals allerdings unter Pandemie-Bedingungen mit etlichen Einschränkungen hinsichtlich der Positionierung der Sänger. Während diese an verteilten Plätzen im Zuschauerraum Stellung nahmen, agierten Tänzer und Tänzerinnen an ihrer Stelle auf der Bühne. Bei der jetzigen Wiederaufnahme wurden diese nicht mehr benötigt, die ursprüngliche Gestalt feierte damit ihre hiesige Premiere. Und die zeichnet sich speziell durch die Streichung der gesprochenen Dialoge aus, an deren Stelle kurze Stichwort gebende Sätze auf der dauerhaft als Kulisse dienenden, weit vorne platzierten Leinwand erscheinen und die szenischen Vorgänge, aber auch Gedanken und Gefühle in einem durchgängigen Animations-Film gezeigt werden. Es handelt sich also um keine zusätzliche und inzwischen ermüdend oft bediente, eher störend ablenkende Ebene der Inszenierung, vielmehr ist dieser Film die Inszenierung selbst. Angelehnt an den erwähnten Namen der Theatertruppe bedient sie sich dieser Techniken des damals florierenden Stummfilms, in den nun die Sänger, von Esther Bialas stilvoll in Kostüme der 20er Jahre eingekleidet, als Darsteller integriert sind, in dem sie aus wechselnden Türklappen auf schmale Vorsprünge treten. Ihr Aktionsradius mag dabei verständlicherweise eingeschränkt sein, dennoch wirken sie nicht brav hingestellt, müssen vielmehr ihre Bewegungen immer wieder sekundengenau auf die filmischen Vorgänge einstellen, wenn z.B. Monostatos eine Meute wilder Hunde an der Leine führt oder Tamino sich aus den Fängen der als Spinne umhüllten Königin der Nacht mit Fußtritten zu befreien sucht. 

Der anfängliche Gedanke, dass sich die fehlenden Dialoge als unentbehrlicher Bestandsteil dieses gegensätzlichste Welten verschweißenden Werks erweisen könnten, verblasst mit Zunahme der Aufführung, weil sich erstens die in der Mehrzahl befindlichen Sänger mit fremder Muttersprache nicht mit deutscher Artikulation plagen müssen und – wesentlicher – sich die Bilderwelt des Animationsfilms als phantasiereich, poetisch und klar verständlich erweist. So können selbst kleinere Kinder einen Zugang zu der Handlung finden, die bei aller oberflächlichen Einfachheit tiefer in den Prozess des Erwachsenwerdens durch Prüfungen eindringt. Neben der schon genannten königlichen Spinne, werden die drei Knaben von Schmetterlingsflügeln in einem Gondelkorb getragen, als wilde, von der Musik besänftigte Tiere springen und hüpfen u.a. Ringelschwanz-Äffchen mit Lanzen und rosa Elefanten. Schlagwörter wie Tugend und Gerechtigkeit werden symbolisch illustriert, bei ihren Prüfungen scheinen Pamina und Tamino u.a. über Hausdächer zu gleiten. Zuletzt werden auch Papagenos einfache Bedürfnisse erfüllt, in dem ein Cocktail mit Strohhalm erscheint und zum gefundenen Weibchen comicartig animiert eine ganze Kinderschar beider Licht-Spot umrahmt. Für all das, was sich dem Textbuch gemäß szenisch nur schwer umsetzen lässt, hat das Regie-Team Sinn gebende und damit auch für jedermann verständliche Lösungen gefunden, die nie das Gefühl einer Dominanz gegenüber der Macht der Musik aufkommen lassen.

Auch musikalisch betrachtet ist von einer runden Vorstellung die Rede. Die Sänger profitieren speziell während ihrer Arien von ihren minimierten Aktions-Möglichkeiten. So auch die als Königin der Nacht debutierende Alma Ruoqi Sun aus dem Opernstudio – eine auf Anhieb bemerkenswerte Leistung des lyrisch grundierten, aber ausreichend fundamentierten Soprans mit ruhiger Stimmführung und sicherer Höhen-Artistik. David Steffens gibt ihrem Antipoden Sarastro gesetztes vokales Format mit sämig strömendem Bass, der in der Tiefe erden dunkel, wenn auch nicht wirklich schwarz ist, wie es in der Fachsprache so schön heißt. Zudem leiht er seine Stimme auch dem aus dem Off tönenden Sprecher.

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Mingjie Lei (Tamino) und die drei Knaben. Foto: Martin Sigmund

Mingjie Lei gibt Tamino mit kultiviert attraktivem Tenor die Noblesse eines Prinzen. Nur im Forte neigte die Stimme an diesem Abend zu etwas zu viel Druck, wodurch sie leicht an Klangschönheit verlor. Claudia Muschios herben Liebreiz verströmender Sopran vereint als Pamina Piano-Innigkeit und bereits ins Zwischenfach verweisende üppige Breite mit emotionaler Anteilnahme.

Bei Björn Bürgers Papageno schien die spielerische Einengung auch auf seinen potenten Bariton abgefärbt zu haben, so dass es ihm für diese Rolle etwas an Lockerheit und Charme fehlte – Eigenschaften, die speziell bei diesem Sänger sonst so gut zum Tragen kommen. Die Rolle des Vogelfängers erscheint letztlich als einzige, die durch dieses Regiekonzept, speziell auch wegen des fehlenden Sprechtextes in ihrem wesentlichen Naturell eingeschränkt und in ihrer Wirkung benachteiligt wird. Dennoch bleibt sie ein Sympathieträger, weshalb Bürger neben den drei vorzüglichen Abgesandten des Tölzer Knabenchors am stärksten gefeiert wird. Seine Papagena im gerupften Federkleid ist Kyriaki Sirlantzi mit passend zart leichtem Sopran.

Die drei individuell typisierten Damen harmonieren vokal ideal mit abgestuften Klangfarben: Lucia Tumminelli, Maria Theresa Ullrich und Itzeli Jáuregui. Dem Nosferatu-bösartig maskierten Monostatos gibt Heinz Göhrig mit inzwischen im Volumen reduzierten, aber immer noch charakteristisch ausgeprägtem Tenor das erforderliche Profil. Die beiden Geharnischten, ebenso wie Sarastro und seine Gemeinschaft in langen schwarzen Mänteln und Zylinder erscheinend, sind mit Moritz Kallenberg und Andrew Bogard ausdrucksvoll gewichtig besetzt.

Der Staatsopernchor Stuttgart, einstudiert von Bernhard Moncado, gab seinen Einsätzen, z.T. aus dem seitlichen Zuschauerraum, z.T. von der Hinterbühne, später und zuletzt auch an der Bühnenrampe, die gewohnt sichere Klangfülle und Mischung der Stimmgruppen.

Das Staatsorchester Stuttgart steuerte zu dieser unterhaltsamen Szene unter Leitung von George Petrou einen passen frischen, in den Tempi überwiegend zügigen, wo erwünscht auch etwas getrageneren Mozart-Klang bei, der sich weder sogenannter historischer Aufführungs-Praxen bedient, aber auch keiner romantisierten Lesart frönt, sondern alle darin verschmolzenen Ebenen natürlich aus sich erstehen lässt.

Bühne und Graben zogen somit gemeinsam am Strang und sorgten für einen (durch den Wegfall der Dialoge zusätzlich verknappte Spieldauer) kurzweiligen Ablauf, der in reichlich Begeisterung mündete.

Udo Klebes

 

 

 

 

 

 

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